«Tagesthemen»-Moderator Helge Fuhst spricht über LGBTIQ-Sichtbarkeit
Der ARD-Journalist war mit Ehemann zu Gast beim «Salon Schinkelplatz»
Dass der 38-jährige Chefredakteur von «Tagesschau» und «Tagesthemen» mit einem Mann verheiratet ist und einen PrOut@Work-Preis bekam, wurde bislang kaum öffentlich beachtet. Nun sprach Helge Fuhst über seine Homosexualität in einer neuen Talkshow.
Natürlich werden die meisten in Deutschland Helge Fuhst irgendwie kennen – er ist schliesslich seit Oktober 2019 Zweiter Chefredakteur von «ARD aktuell», d.h. er ist für die «Tagesschau» und «Tagesthemen» verantwortlich. Ab und an steht er in den «Tagesthemen» auch selbst vor der Kamera und moderiert. So dass sein Gesicht vielen vertraut ist.
Wer sich schon mal gefragt hat, wer dieser Helge Fuhst eigentlich ist – der bei den «Tagesthemen» u.a. dadurch auffällt, dass er schonmal ein lindgrünes Hemd mit roter Krawatte trägt, was Ingo Zamperoni in all den Jahren trotz aller «Casualness» noch nie getan hat –, der könnte bei Wikipedia über den Satz stolpern: «Helge Fuhst ist offen homosexuell und wurde 2021 von der Stiftung PrOut@Work in der Kategorie PROUT in Media Art Culture mit dem ersten Platz ausgezeichnet. Er ist verheiratet und lebt in Hamburg.»
Auf seiner eigenen Homepage helgefuhst.de steht zwar nur «ist verheiratet und lebt in Hamburg und Berlin», aber direkt darunter findet sich ein Hinweis auf «mehr» mit einem Verweis auf Wikipedia. Man darf also annehmen, dass die Informationen dort von ihm gutgeheissen werden.
Keine Namen, keine Details, keine Bilder Nun ist es schon einigermassen erstaunlich, dass einer der wichtigsten Medienmacher Deutschlands – und eines der neuen bekannten Nachrichtengesichter – «offen homosexuell» ist, aber niemand darüber berichtet. Und damit sind auch die gängigen LGBTIQ-Nachrichtenportale gemeint. Nicht mal zur Nominierung auf Platz 1 und zur Überreichung des PrOut@Work-Preises letztes Jahr gab es irgendwo in der queeren Nachrichtenwelt einen grösseren Hintergrundbericht.
Nur zum Vergleich: Als der SRF-Nachrichtenmann Michael Rauchenstein in der Schweizer Illustrierten sagte «Ich bin schwul» gab es umgehend Schlagzeilen und viel Beifall von allen Seiten (MANNSCHAFT berichtete). Auch in den USA lassen sich etliche LGBTIQ-Nachrichtenpersönlichkeiten bewusst medial hervorheben mit News zu ihrem Privatleben, inklusive der Geburt von Kindern, man denke an Anderson Cooper von CNN.
Googelt man Fuhsts Namen und sucht nach Hinweisen auf Privates, findet man zwar Fotos von ihm und seinem Bruder, auch regelmässig den Verweis auf einen Ehemann. Aber sonst: nichts. Keine Namen, keine Details, keine Bilder. Auch keine Geburt von Kindern. Stille. Als würde sich die deutsche Öffentlichkeit – und hier ist auch die mediale LGBTIQ-Öffentlichkeit gemeint – nicht dafür interessieren, dass eine so bedeutende Person des öffentlichen Lebens schwul ist.
Liegt das daran, dass es niemand mitbekommen hat? Kann es sein, dass sich LGBTIQ-Nachrichtenportale einfach nicht vorstellen können – nach all den Dramen um Jens Riva -, dass ein ARD-Nachrichtenchef nicht-heterosexuell sein könnte? Fragen über Fragen, auf die zuletzt Johannes Kram in seiner mit Florian Ludewig geschrieben «Operette für zwei schwule Tenöre» versuchte, eine humoritische Antwort zu geben:
Zu Gast bei Manuel Kochs neuer Talkshow Angesichts der bisherigen Stille war es schon eine kleine Sensation, dass der TV-Moderator und Wirtschaftsexperte Manuel Koch diese Woche Helge Fuhst zu sich in seine neue Sendung «Salon Schinkelplatz» eingeladen hat. Die gibt es seit Sommer 2022, aber das Gespräch mit Fuhst wird das erste sein, das als Video auf Youtube sowie weiteren Webseiten bzw. Podcasts veröffentlicht wird am 4. November.
Koch war 2021 ebenfalls einer der Nominierten bei PrOut@Work und kennt Fuhst sowie dessen Ehemann schon länger. Er lud den ARD-Nachrichtenmann ein, um offiziell über die Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland zu sprechen, aber auch, um Fuhst zu fragen, wie wichtig ihm LGBTIQ-Sichtbarkeit in den Medien ist und wie viel Privates er bereit ist, für solche Sichtbarkeit zu opfern.
MANNSCHAFT war zu dem Talk am Montagabend in Berlin-Mitte eingeladen, um das Event hautnah mitzuerleben. Helge Fuhst erschien im sportiven Anzug, mit Happy Socks, weissen Turnschuhen und einem T-Shirt, auf dem der David-Bowie-Spruch zu lesen war: «Tomorrow belongs to those who can hear it coming.» Ein gutes Motto, um über die queere Zukunft der Nachrichtenwelt zu sinnieren.
Im einstündigen Gespräch mit Koch ging es natürlich erst einmal um allgemeinere Fragen rund um ARD und ZDF, darum, wieso für diese so viele Milliarden nötig sind, wo die BBC nur einen Bruchteil der Summe benötigt und trotzdem exzellentes Programm bietet (manche würde sagen ein besseres). Es ging um das RBB-Desaster von 2022 und um vieles mehr. Nachzuhören und -sehen ist all das dann in der vollständigen Sendung.
Doch dann schwenkte Koch um zum Thema Diversity. Fuhst entgegnete, dass es in der ARD-Nachrichtenredaktion wichtig sei, Gesichter ins Team zu bekommen, die einen Mix darstellen aus unterschiedlichen Altersgruppen, Hintergründen und Geschichten. Wörtlich hiess es: «Es sollten nicht alle im Team den gleichen Lebenslauf mitbringen.» Nur so könne man ausgewogene Nachrichtenberichterstattung produzieren.
Daraufhin erwähnte Koch, dass Fuhst ja seit sechs Jahren verheiratet sei mit dem Mann, mit dem er seit zehn Jahren zusammenlebe. Ist dieser Aspekt für den ARD-Vielfaltsmix ebenfalls wichtig? Anfangs wich Fuhst dem Thema aus und erklärte lediglich, dass es sein Wunsch sei, dass «es so normal wird, dass man nicht mehr drüber reden muss». Er meinte auch, dass «wir» riesig stolz sein könnten, was sich in Deutschland in Bezug auf LGBTIQ alles verändert habe in den letzten Jahren, speziell erwähnte er die Ehe für alle.
«Ja, so ist es» Aber Koch liess nicht locker und hakte nochmals nach, was es für Fuhst bedeute, ein offen schwules Gesicht in den Nachrichten zu sein. Fuhst erklärte daraufhin, dass er sich früher selbst immer wieder gefragt habe, wo es denn Vorbilder an nicht-heterosexuellen Personen in den Medien gab. Gerade in Medien wie «Tagesschau» und «Tagesthemen», die für sich reklamierten, «weltoffen» zu sein.
Helge Fuhst hätte sich als Jugendlicher jemanden in den Nachrichten gewünscht, über den nicht nur getuschelt wird
Er hätte sich früher entsprechende Sichtbarkeit gewünscht, «jemanden, über den nicht nur getuschelt wird». Er hätte es auch toll gefunden, damals jemanden zu sehen, der einfach sagt: «Ja, so ist es!»
Daran orientiert, sagt Fuhst heute über sich selbst: «Ja, so ist es.» Er hat sich aber mit seinem Mann entschlossen, den Rest Privatangelegenheit sein zu lassen. Zwar kann man beide zusammen auf verschiedenen Instagram-Posts im Urlaub sehen, wenn man wirklich sucht (und den Namen des Ehemanns kennt).
Fuhst versteckt seinen Partner auch nicht, wie das lockere und unverkrampfte Zusammentreffen mit Gästen beim «Salon Schinkelplatz» beweist. Aber die beiden Männer treten nicht medienwirksam gemeinsam auf, es gibt keine Homestorys oder Roter-Teppich-Momente. Zu MANNSCHAFT sagte der Ehemann auf Nachfrage, er schliesse einen entsprechenden Schritt für die Zukunft nicht aus. Aber aktuell seien beide eben nicht an diesem Punkt.
Moderator Manuel Koch sagte zu MANNSCHAFT nach der Aufzeichnung der Sendung: «Ich selbst habe auch erst mit 35 begonnen, mich öffentlich zu LGBTIQ-Themen zu äussern und sichtbar damit in der Öffentlichkeit zu sein. Mein damaliger Partner wollte aber nie gerne auf Fotos, alle in meiner Umgebung kannten ihn aber natürlich. Mein letzter Partner war ganz natürlich auf meinen Social-Media-Posts zu sehen. Wir haben nie etwas versteckt. Also ich denke, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss.»
Weiter erklärt Koch: «Gerade bei Menschen, von denen eh so viel öffentlich ist, verstehe ich es total, wenn man sich eine gewisse Privatsphäre erhalten möchte. Ich persönlich finde es aber trotzdem wichtig, dass Dinge einfach immer selbstverständlicher werden. Und so sollte man vielleicht irgendwann einfach den Schritt gehen und sich auch öffentlich mit seinem Partner zeigen.»
«Keine Zusammenarbeit wegen sexueller Orientierung» Zur Frage der LGBTIQ-Sichtbarkeit in Nachrichten und Nachrichtenredaktionen, aber auch in der Wirtschaftswelt, sagt Koch zu MANNSCHAFT: «Ich bin seit meiner Kindheit tief in der Medienwelt verwurzelt und arbeite seit Jahren in der Finanzwelt als Journalist. Beides sind zwei Branchen, in denen es eher wenig geoutete Führungspersönlichkeiten gibt. Ich kenne selbst heute noch Moderatoren und auch CEOs, die nach aussen verheiratet sind, aber privat schwul leben. Für mich wäre das undenkbar.»
Aus eigener Erfahrung ergänzt Koch: «Seitdem ich offen lebe, fühle ich mich erst so richtig angekommen und happy. Seit knapp sechs Jahren habe ich aber auch mein eigenes kleines Medienunternehmen, das sehr erfolgreich läuft. Ich muss keinem Chef mehr etwas beweisen und ziehe einfach mein eigenes Ding durch. Ich habe wenig schlechte Erfahrungen direkt gemacht. Ein Kollege meinte mal, dass ein Finanzexperte einer Bank zu ihm gesagt hätte, dass er mit mir wegen meiner sexuellen Orientierung nicht zusammenarbeiten würde. Leider hab‘ ich nie erfahren, wer es war. Die Person hätte ich gerne drauf angesprochen.»
Apropos Ansprechen: Fuhst antwortete auf die Frage, was ihm als Journalist besonders schwerfalle, dass das Gespräche bzw. Interviews zu LGBTIQ-Themen seien mit Personen, von denen er wisse, dass sie LGBTIQ ablehnen. Dabei die journalistische Neutralitätspflicht zu wahren, sei eine Herausforderung. Selbst wenn es immer darum gehe, eine Vielfalt der Perspektiven und Meinungen zuzulassen.
Zum Abschluss des Talks kam Koch aufs Thema gendersensible Sprache in den Nachrichten (MANNSCHAFT berichtete). Fuhst erklärte, dass die ARD-Nachrichtenredaktion sich entschlossen habe, in den linear ausgestrahlten Sendungen auf Gendersternchen und ähnliches zu verzichten. Dass aber in den diversen Social-Media-Formaten – also Instagram und Tiktok – entsprechende Sprache sehr wohl verwendet werde, einfach weil das jüngere Publikum dort dies als Selbstverständlichkeit erwarte.
Womit wir wieder beim David-Bowie-Spruch wären: «Tomorrow belongs to those who hear it coming.»
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