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Wohlstand und Toleranz gehen nicht Hand in Hand

Auch in Demokratien ist Vielfalt in Gefahr, zeigt eine Studie

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(Symbolbild: Betzy Arosemena/ Unsplash)

Vielfach wurde angenommen: Werden Länder wohlhabender, nehmen Toleranz und Offenheit zu. Analysen zeigen nun, dass das nicht zwingend der Fall ist.

Die Wertvorstellungen westlicher und anderer Gesellschaften unterscheiden sich einer Studie zufolge zunehmend. In den vergangenen 40 Jahren seien sich Länder im Zuge von Globalisierung, Massenmedien und der Verbreitung von Technologien zwar in vielen Aspekten ähnlicher geworden – kulturelle Werte zählten jedoch nicht zwingend dazu, berichten US-Forscher im Fachmagazin Nature Communications über Ergebnisse wiederholter Umfragen unter rund 400’000 Menschen in 76 Ländern.


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Demnach haben sich die Wertorientierungen insbesondere für Toleranz und Offenheit in den vergangenen vier Jahrzehnten zwischen Ländern auf verschiedenen Kontinenten auseinanderentwickelt. Innerhalb von Kontinenten wurden sie ähnlicher. Die Daten zeigen auch, dass sich die Wertorientierungen westlicher Länder mit hohem Einkommen besonders von denen anderer Länder unterscheiden.


Eine Theorie besagt den Forschenden zufolge, dass mit zunehmender Modernisierung und ökonomischem Wohlstand weltweit verstärkt liberale, individualistische Werte, die persönliche Rechte und Freiheiten betonen, übernommen werden. Insbesondere in asiatischen und afrikanischen Ländern ist dieser Zusammenhang aber viel weniger ausgeprägt als im Westen, wie die Studie nun zeigt. Die zunehmende Wertekluft könne Konsequenzen für die politische Polarisierung und internationale Konflikte haben, warnt das Forschungsduo Joshua Conrad Jackson und Danila Medvedev.

«Wenn die kulturellen Differenzen bei Einstellungen und Werten zunehmen, die religiöse Intoleranz wächst und gleichzeitig die Bereitschaft zur Kooperation in wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fragen abnimmt, dann können Konflikte innergesellschaftlich oder auch zwischen Gesellschaften stark zunehmen, bis hin zu militärischen Auseinandersetzungen», erklärte Roland Verwiebe von der Universität Potsdam, der selbst nicht an der Studie beteiligt war.

Das Autorenduo aus Chicago hatte Daten des World Values Survey zwischen 1981 und 2022 ausgewertet. Erfasst wurden kulturelle Unterschiede bei 40 Werten, verbunden etwa mit Offenheit, Gehorsam und Glauben. Demnach gibt es grosse Differenzen etwa bei der Beurteilung, wie wichtig es ist, Kinder religiöse Überzeugungen zu lehren und sie zu Gehorsam zu erziehen.


Die Entwicklung von Wohlstand bedeute nicht automatisch eine Angleichung von Werten, so die Forschenden. Er sei beispielsweise in Hongkong und Kanada zwischen 2000 und 2020 ähnlich gestiegen, die Akzeptanz von Homosexualität habe aber in Kanada schneller zugenommen. Auf hohe Leistungsbereitschaft von Kindern werde in Kanada inzwischen weniger, in Hongkong hingegen deutlich mehr Wert gelegt.

Zwar sehe er Einschränkungen bei der Vergleichbarkeit der Messbedingungen in den einzelnen Ländern, sagte Verwiebe, Professor für Sozialstrukturanalyse und soziale Ungleichheit. «Gleichzeitig ist aufgrund der Verwendung von sehr vielen Datenpunkten von einer sehr hohen Robustheit der Ergebnisse auszugehen, und die berichteten Trends der weltweiten Divergenz von Werten halte ich für sehr plausibel.» Es hätten sich neue Spaltungslinien zwischen westlich geprägten, sehr wohlhabenden europäischen Ländern einerseits und asiatischen und afrikanischen Staaten andererseits herausgebildet.


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Zudem gebe es eine weitere wesentliche Entwicklung: «Die liberalen Demokratien europäischer Prägung befinden sich weltweit zunehmend in der Defensive; in Teilen nimmt ihre Akzeptanz auch in stark demokratisch geprägten Gesellschaften deutlich ab, etwa in den Niederlanden, Frankreich, den USA und Deutschland.» Die Demokratie beruhe auf dem Ausverhandeln von Interessendifferenzen, auf Akzeptanz von Meinungsunterschieden. «Ist die Demokratie auf dem Rückzug, nimmt die Intoleranz zu.»

Auch Constanze Beierlein von der Hochschule Hamm-Lippstadt erklärte, es sei weltweit zu sehen, dass Demokratien als Ausdruck emanzipatorischer Werte unter Druck geraten und dass auch in Europa autoritäre Einstellungen und Parteien Zulauf finden, in Deutschland etwa die AfD. «Wir haben bereits erlebt, dass sich europäische Länder, wie beispielsweise Ungarn, dann politisch umorientieren und auch den Kontakt zu anderen autoritären Regimen ausbauen.»

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