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«In der Szene sind Bauchmuskeln wichtiger als ein Gesicht»

Ein kritischer Blick auf die schwule Szene in Österreich

Österreich
Innsbruck mit Regenbogenflaggen (Foto: AdobeStock)

Anfang September wurden bei einer Demonstration von Corona-Massnahmen-Gegner öffentlich eine Regenbogenflagge zerrissen und Homosexuelle pauschal als Kinderschänder bezeichnet (MANNSCHAFT berichtete). Von aussen gibt es viel Solidarität mit der Community. Aber wie steht es um die Offenheit und Toleranz innerhalb der schwulen Szene?

Offenheit, Toleranz, Weitblick – All das zeichnet die österreichische Gay Community aus. Jeder ist, wie er ist. Jeder kann sein, wie er will. Und das ist gut so. Es ist uns ganz gleich, wie andere aussehen, sich verhalten und leben. Friede, Freude, Eierkuchen. Eine heile Welt. Aber entspricht das tatsächlich unserer Realität? Wie offen und tolerant ist die Community wirklich? Wir haben einen kritischen Blick auf die österreichische Szene geworfen und bei ein paar Mitgliedern nachgefragt.

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Bei Paraden und Demos treten wir in Österreich gerne als starke Gemeinschaft auf, doch viele Homosexuelle haben ein gespaltenes Verhältnis zur Community, meint der 35-jährige Gerald. Der Innenarchitekt lebt in Wien.

«Als homosexueller Mann bin ich natürlich mit Leib und Seele Teil der österreichischen Community. Warum nur partiell? Ich fühle mich oft bewertet, nicht dazu passend und aussenseitig. In einer schnelllebigen Welt wie unserer und in Zeiten von Grindr, Tinder und Co. funktionieren Kennenlernen und oft auch Sex sehr maschinell. Bauchmuskeln und Penis sind wichtiger als ein Gesicht, und Vögeln gibt es fast ausschliesslich ohne zwischenmenschliche Verbindung. Da lege ich lieber Hand an und warte auf etwas Echtes.»


Keine Frage. Wir leben in einer oberflächlichen Welt, die durch virtuelle Katalysatoren selektiert wird. Auf Datingapps legen wir peinlichst fest, was wir genau suchen: muskulös oder schlank, Beziehung oder Bettgeschichte, aktiv oder passiv. Nur wer unseren Suchkriterien entspricht, bekommt uns vielleicht auch live zu sehen. Aber ist das nicht überall so? Oder andersrum: Ist Österreich oberflächlicher und engstirniger als andere Länder? Dominik ist 34 und arbeitet als Pflegeleiter in Wien.

«Österreich ist kleinstrukturiert. Aufgrund der geographischen Gegebenheiten gibt es viele abgelegene Orte, kleine Gemeinden und wenige grosse Städte. Natürlich ist die Community in Städten wie Wien oder Graz stärker vertreten als am Land. Ich würde aber nicht sagen, dass Österreich weniger offen ist», so Dominik. «New York, Berlin oder Wien – ich sehe hier überall Parallelen in der Gay Community.»

Warum sollte es in Österreich anders sein? In Wahrheit ist auch Österreichs Community eine Gruppe Individuen, deren kleinster gemeinsamer Nenner die sexuelle Orientierung ist. Das war`s dann schon wieder mit pauschalen Gemeinsamkeiten. Nicht jeder Schwule wählt grün (das zeigt diese Umfrage aus dem Sommer 2019 – MANNSCHAFT berichtete). Nicht jeder Schwule befürwortet die gleichgeschlechtliche Ehe (die gilt seit 2019 in Österreich – MANNSCHAFT berichtete). Nicht jeder Schwule outet sich. Nicht jeder Schwule ist tolerant und weltoffen. Das ist in Österreich so und auf der ganzen Welt.


Statistiken und Zahlen zur Offenheit innerhalb der Gay Community in Österreich gibt es nicht. Dass Diskriminierung innerhalb der Szene aber durchaus ein Thema ist, haben wahrscheinlich viele Österreicher schon selbst erlebt.

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«In der Schwulenszene selbst gibt es Diskriminierung, aber es gibt auch viele die dagegen ankämpfen, die Offenheit leben und die Vielfalt innerhalb der Community fördern», meint Martin. Der 36-Jährige arbeitet als Kellner in Niederösterreich. «Wie die gesamte Gesellschaft wird auch die LGBTIQ-Szene immer offener. Das ist wichtig, denn wie sollen wir für Gleichberechtigung kämpfen und stehen, wenn wir uns selbst mit Belanglosigkeiten befassen.»


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