Schwul auf dem Land: «Menschen haben ein falsches Bild von Farmern»
Jamie und Daniel geben Einblicke in das Leben, die Liebe und den Wandel auf einer australischen Farm
Jamie Pepper und Daniel Knight leben auf einer Farm in Australien: auf 1’600 Hektar, zwischen Merinoschafen und Rindern, auf teils verbrannter Erde. Was sie sich wünschen, ist eine Welt ohne Buschfeuer und ohne Coming-outs.
Von: Merlin Gröber
Als Jamie Pepper den Rauch riechen konnte, war es zu spät. «Das Feuer kam von dort hinten», sagt der 30-Jährige und deutet über einen mit Wellblech gedeckten Schuppen in die Ferne. Jamie ist Farmer im Süden Australiens und betreibt mit seinem Lebensgefährten Daniel Knight einen 1’600 Hektar grossen Hof in der Nähe von Hamilton, rund vier Stunden Autofahrt westlich von Melbourne.
«200 Hektar Weideland hat das Buschfeuer vernichtet – allein auf unserer Farm»
Daniel Knight
«Heiss, trocken und windig – es war der perfekte Sommertag für ein Buschfeuer», sagt Daniel, der neben Jamie in der Einfahrt des Hofes steht und in Richtung mehrerer Hügel deutet auf denen Erde, schwarz und verkohlt, zwischen frisch gepflanztem Gras hindurchschimmert. «200 Hektar Weideland hat das Buschfeuer vernichtet – allein auf unserer Farm.» Und dann waren da noch die Tiere.
Kleine Community in weiter Ferne Dürren, Buschfeuer, eine kleine Community – schwule Farmer wie Jamie und Daniel stehen in Australien vor vielen Herausforderungen. Sie treiben Rinder und Schafe mit Quads über die Weiden, verkaufen sie auf dem Viehmarkt an den Höchstbietenden und hoffen, dass das nächste Buschfeuer ihren Hof verschont. Wollen sie feiern gehen, müssen sie weit fahren. Ans Aufhören denken die beiden trotzdem nicht. Wie ist es, am anderen Ende der Welt als offen homosexuelles Paar eine Farm zu betreiben?
«Hier auf dem Land ist es schwierig, schwule Männer kennenzulernen», sagt Jamie und schlendert zu einem Quad, einem geländegängigen Fahrzeug, das neben einer Tanksäule steht, von der blaue Farbe blättert. «Noch schwieriger ist es, jemanden zu finden, der gern auf einer Farm lebt».
Jamie wuchs auf dem Hof seiner Eltern auf, besuchte in der nächstgrösseren Stadt die Schule und arbeitete anschliessend auf verschiedenen Farmen. Vor acht Jahren kehrte er auf den elterlichen Hof zurück und übernahm den Betrieb in der Nähe von Hamilton, einer Kleinstadt im Bundesstatt Victoria, die wegen ihrer engen Verbindung zur Schafzucht auch «Wool Capital of the World» genannt wird.
Erst nach der Schule habe er erkannt, dass er schwul sei. «Gegenüber meinen Eltern habe ich mich mit 19 geoutet». Wirklich überrascht seien sie nicht gewesen: Anders als seine Brüder habe er, Jamie, schon immer lieber gelesen als Rugby gespielt, «weniger maskuline Hobbies» verfolgt. «Ich glaube, eine Rolle hat auch gespielt, dass meine Mutter nur 20 Jahre älter ist als ich».
Die jüngere Generation gehe mit Homosexualität entspannter um, auch auf dem Land. Es habe sich viel verändert in den vergangenen Jahren: «Heute dürften Daniel und ich sogar heiraten.» Der Weg hin zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Australien war lang: Zwar erlaubte Tasmanien bereits 2004 als erster Bundesstaat die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare.
Auf Bundesebene verhinderten jedoch konservativ geführte Regierungen in den kommenden Jahren die Ehe für alle – bis sich das gesellschaftliche Klima wandelte und der Druck auf die Politik wuchs. 2017 fand eine Volksbefragung zur gleichgeschlechtlichen Ehe statt, am 15. November desselben Jahres wurde das Ergebnis veröffentlicht: 61,6 Prozent stimmten mit Ja (MANNSCHAFT berichtete). Zwei Wochen später erlaubte der australische Senat die Öffnung der Ehe, eine Woche später das Repräsentantenhaus (MANNSCHAFT berichtete). Seither können in Australien gleichgeschlechtliche Paare, ähnlich wie in vielen europäischen Ländern, heiraten.
Das falsche Bild von den Farmern Nachdem Jamie den Tank aufgefüllt und den Zapfhahn zurück an die Tanksäule gehängt hat, wartet er, bis Daniel sich neben ihm aufs Quad setzt. «Wir müssen ein paar Rinder auf eine neue Weide treiben», sagt Jamie, lässt den Motor anspringen und rollt über eine frisch geschotterte Strasse zwischen den Hügeln mit der verkohlten Erde hindurch.
«Nachdem der verheerende Brand im vergangenen Jahr all das zerstört hatte, konnten wir den Hof neu organisieren», erklärt er und deutet auf die Schotterstrasse und neue Zäune, die rechts und links entlang des Weges verlaufen. «Früher waren hier insgesamt sechs Höfe, die nach dem Ersten Weltkrieg an heimgekehrte Soldaten verteilt wurden.»
Jamies Familie kaufte nach und nach Flächen hinzu, die Farm, inzwischen seit mehr als hundert Jahren im Familienbesitz, wurde zu einem Fleckenteppich aus Weideflächen. Als der Brand Zäune und Wiesen vernichtete, teilte Jamie die Flächen neu auf und machte sie einfacher zugänglich.
«Die Menschen haben ein falsches Bild von Farmern.»
Jamie Pepper
«Probleme hier auf dem Land, weil ich schwul bin, gab es nie», sagt er. Inzwischen stehen Daniel und er auf einer Weide, die sich über einen Hügel erstreckt. Neben einem Teich grasen mehrere Dutzend Schafe, dahinter liegen Rinder mit braun-weissem Fell im Gras. «Die Menschen haben ein falsches Bild von Farmern», fährt Jamie fort und lässt das Quad langsam auf die Rinder zurollen, bis sie sich in Bewegung setzen.
«Wenn du als Farmer in Australien überleben willst, musst du progressiv und offen für Neuerungen sein». Wer an alten Denkweisen festhalte, komme nicht voran – das gelte auch für gesellschaftliche Veränderungen. Durch die zunehmende Akzeptanz verschiedener Lebensweisen würden sich mehr Menschen outen, auch im ländlichen Raum. «Selbst in einer kleinen Farmstadt wie Hamilton gibt es inzwischen einige homosexuelle Menschen, die sich outen.»
Hinter Malta, Kanada und der Schweiz Die vielfältige Demografie, die Kultur und strenge Antidiskriminierungsgesetze machen Australien zu einem schwulenfreundlichen Land – und einem beliebten Reiseziel: Der Spartacus International Gay Guide, ein Reiseführer für schwule Männer, der seit 2012 den Gay Travel Index herausbringt, platzierte Australien 2023 auf dem vierten Platz, hinter Malta, Kanada und der Schweiz.
Der Index misst die rechtliche Situation und die Lebensbedingungen für Mitglieder der queeren Community im jeweiligen Land. Anfang 2023 fand in Sydney ausserdem die World Pride statt – das erste Mal in der südlichen Hemisphäre. Nicht nur wegen solchen Veranstaltungen und dem Mardi Gras, einem seit 1978 jährlich im Februar stattfindenden dreiwöchigen Schwulen- und Lesbenfestival (MANNSCHAFT berichtete), gilt Sydney als eine der LGBTIQ-freundlichsten Städte der Welt.
«Wir haben das Glück in einer Zeit zu leben, in der wir sein dürfen, wer wir wollen.»
Daniel Knight
«Wir haben das Glück in einer Zeit zu leben, in der wir sein dürfen, wer wir wollen», sagt Daniel. Der 33-Jährige stammt aus Neuseeland und wurde an der Westküste der Südinsel auf einem Milchbauernhof gross. Inzwischen arbeitet Daniel in der Agrarabteilung einer Bank – und hilft Jamie auf der Farm.
«Was die Akzeptanz von homosexuellen Menschen angeht, war Neuseeland Australien zu meiner Jugend ein Jahrzehnt voraus. Das lag vermutlich am Grössenunterschied der Länder». Neuseeland ist kleiner, das Gefühl Teil einer Community zu sein sei grösser. Heute gebe es zwischen den Ländern kaum mehr Unterschiede. «Nur das Wetter, das ist hier in Australien besser», sagt Daniel und lacht.
Was gegen die Einsamkeit hilft Nachdem die Rinder auf eine Weide mit frischem Gras getrottet sind, fahren Jamie und Daniel zurück zum Farmhaus. Im Woolshed, dem «Wollschuppen», einem langgezogenen Bau aus Holzbalken und Wellblech, sortiert Jamie die Wolle der insgesamt 1500 Merinoschafe, die auf der Farm grasen – eine langwierige und teils einsame Arbeit.
Hilfreich für das einsame Leben auf dem Land seien die sozialen Medien. Apps wie Snapchat, so Jamie, könnten helfen, dass Farmer wie er sich weniger einsam fühlen. «Durch die sozialen Medien kann ich mich mit anderen gleichgesinnten Farmern über persönliche und professionelle Probleme austauschen, die Welt rückt dadurch näher zusammen.»
Aus einer Ecke des Schuppens nimmt Jamie einen Ballen Wolle und wirft ihn auf ein Gestell aus Eisenstangen, das aussieht wie ein riesiger Grill. Behutsam zupft er die Wolle auseinander, prüft, wie fein die Fasern sind. «Die grösste Herausforderung für mich als schwuler Farmer ist nicht die Diskriminierung durch meine sexuelle Orientierung», sagt er und nimmt einen neuen Büschel Wolle in die Hand.
Die alltägliche Arbeit und Buschfeuer, wie das im vergangenen Sommer, das drei Schafe und vier Kühe verbrannte, seien viel präsenter in seiner Wahrnehmung. Trotzdem sei es wichtig über sexuelle Orientierung im Kontext seiner Arbeit als Farmer zu sprechen, auch um andere zu ermutigen sich zu outen.
«Am besten wäre es, wenn sich niemand als schwul outen müsste», sagt Daniel, der neben Jamie am Metallgrill steht und Wolle zupft. «Ideal wäre eine Welt, in der unterschiedliche sexuelle Orientierungen so normal sind, dass man gar nicht mehr darüber sprechen muss.» Daniel hofft, dass schwule Männer wie er in 50 Jahren ihre Partner mit nach Hause nehmen können, ohne sich vorher zu outen. So weit sei die Welt aber noch nicht. «Deswegen müssen wir andere ermutigen. Und wir müssen darüber sprechen.»
An britischen Schulen war es bis 2003 verboten, positiv über Homosexualität zu sprechen. Regisseurin Georgia Oakley drehte einen Spielfilm darüber und ist damit aktueller denn je (MANNSCHAFT+).
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