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Ohne «unmensch­liche Hürden» – Selbst­bestimmungs­gesetz kommt!

Im Bundestag wurde leidenschaftlich für das Gesetz geworben, aber auch dagegen gehetzt

Selbstbestimmungsgesetz
Tessa Ganserer (Bündnis 90/Die Grünen) und Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, umarmen sich am Rande der namentlichen Abstimmung zum Selbstbestimmungsgesetz (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Bundestag hat am Freitag grünes Licht für das neue Selbstbestimmungsgesetz gegeben. Das bislang geltende Transsexuellengesetz ist damit Geschichte. Für Betroffene ist es ein Meilenstein.

Nach einer teils hochemotionalen Debatte hat der Bundestag grünes Licht für das neue Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung gegeben. Das Plenum stimmte am Freitag in namentlicher Abstimmung mehrheitlich für das Gesetz, mit dem die Änderung von Geschlechtseinträgen auf dem Amt künftig deutlich leichter werden soll als bisher. Bei insgesamt 636 abgegebenen Stimmen votierten 374 Abgeordnete für das Gesetz. Mit Nein stimmten 251, elf Abgeordnete enthielten sich. Unterstützung für das Gesetz der Koalition kam aus der Gruppe Die Linke. Union, AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) lehnten eine Zustimmung klar ab. Mehrere Verbände der LGBTIQ-Community äusserten am Freitag grosse Freude und Erleichterung über die Entscheidung des Bundestags.


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Mit dem neuen Gesetz soll es leichter werden, seinen Geschlechtseintrag und Vornamen auf dem Amt ändern zu lassen. Es sieht vor, dass Menschen ab 1. November dieses Jahres die entsprechende Änderung per Erklärung gegenüber dem Standesamt vornehmen können. Die bisherige Pflicht, eine ärztliche Bescheinigung und mehrere Gutachten dafür vorzulegen, soll wegfallen. Auch braucht es künftig keine gerichtlichen Entscheidungen mehr.


Die Erleichterungen betreffen vor allem trans, inter und nicht-binäre Menschen, die bislang hohe Hürden und kostspielige Verfahren durchlaufen mussten, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen.


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Bundesjustizminister Marco Buschmann begrüsste die Entscheidung des Bundestags und sprach von einem «wohlabgewogenen Beschluss». Bislang behandele der Staat transgeschlechtliche Menschen, die ihren Eintrag ändern lassen wollen, wie «Kranke», erklärte der FDP-Politiker. «Mit dem Grundrecht auf Achtung der geschlechtlichen Identität» sei das schwer in Einklang zu bringen, sagte er weiter. Das neue Gesetz korrigiere diesen Missstand und löse das bislang geltende Transsexuellengesetz ab. Immer wieder hatte das Bundesverfassungsgericht die bis dato geltende Rechtslage in Teilen für verfassungswidrig erklärt und auf die demütigende Situation für Betroffene hingewiesen.


Auch andere Länder hätten schon ähnliche Regelungen, erklärte Buschmann. Zugleich betonte er, dass die Neuregelung nicht zu Lasten jener gehen werde, die das Gesetz nicht direkt betreffe. Die Vertragsfreiheit und das Hausrecht blieben davon unberührt. Buschmann spielte damit auf Situationen an, in denen beispielsweise die Betreiber von Saunen künftig auch weiterhin darüber entscheiden dürfen, wem sie Zutritt gewähren und wem nicht – in Ausübung ihres Hausrechts. Konkret geht es etwa um die Frage, ob künftig auch trans Frauen Damensaunen besuchen dürfen und das Selbstbestimmungsgesetz mögliche Konflikte in diesem Bereich befördern könnte. «Es gibt zahlreiche Vorkehrungen gegen Möglichkeiten des Missbrauchs – und seien sie noch so fernliegend», versicherte Buschmann dazu.

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Der Bundesverband Trans* e.V. lobte das neue Gesetz als Meilenstein. «Es ist schwer in Worte zu fassen, was dieses Gesetz für Menschen bedeutet, die jahrelang auf dessen Verabschiedung gewartet haben», erklärte Verbandsmitglied Kalle Hümpfner dazu. Viel Beifall kam auch aus der Gruppe Die Linke. Die Vorsitzende Janine Wissler wies darauf hin, dass das Selbstbestimmungsgesetz Erleichterungen «für eine der am stärksten diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft» bringe.

Trans Personen erleben es immer wieder, dass ihre Würde zur Verhandlungssache gemacht wird.

Mit den Demütigungen sei nun Schluss, erklärte auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, in einer emotionalen Debatte am Freitag im Bundestag (MANNSCHAFT berichtete). Das Transsexuellengesetz habe genug Leid verursacht. Die Grünen-Abgeordnete Nyke Slawik, selber trans, schilderte, wie schwer es für sie damals gewesen sei, ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. 2000 Euro habe sie dafür zahlen müssen – Geld, das sie gerne stattdessen in ihren Führerschein oder den Umzug in eine neue Wohnung investiert hätte. Trans Personen würden immer wieder erleben, dass ihre «Würde zur Verhandlungssache gemacht wird», erklärte sie. Mit diesen «unmenschlichen Hürden» sei nun Schluss.

Aus der Opposition kam dagegen scharfe Kritik. Die CDU-Abgeordnete Mareike Wulf (CDU) warf der Regierungskoalition vor, dass mit dem Gesetz künftig jede*r Bürger*in den Geschlechtseintrag auf dem Amt ändern lassen könne, ohne dafür eine nähere Begründung zu nennen.

Die AfD fand erwartungsgemäss drastische Worte. Den Rechtspopulist*innen dürften die einleitenden Worte von Petra Pau gegolten haben. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages hatte gemahnt, dass hoffentlich eine Aussprache möglich sein werde, in dem Kolleg*innn des Hauses nicht persönlich angegriffen und auf Diffamierungen und Beleidigungen von Personengruppen verzichtet würden. «Insbesondere erwartete ich die Achtung der geschlechtlichen identität der Mitglieder des Hauses», so Pau.

«Jeder soll plötzlich irgendwie alles sein können», rief der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt. Er sprach von «ideologischem Unfug», von einer «Infanitilisierung des aktuellen poitschen Mainstreams» und von «Transextremisten». Ein Mann, so Reichardt, «werde» nicht zur Frau, «wenn er eine Perücke trägt». Das Gesetzesvorhaben wäre lustig, wenn es nicht so tragisch wäre. Es sei ein «aberwitziges Gesetz», das seine Fraktion vollumfänglich ablehne. Denn, wie Rechte gerne warnen: Die Kinder müssen geschützt werden.

Wagenknecht nennt das Gesetz «frauenfeindlich»
Auch die Abgeordnete Sahra Wagenknecht sorgte mit ihren Äusserungen für Aufregung im Saal. «Ihr Gesetz ist frauenfeindlich und Ihr Gesetz macht Eltern und Kindern zu Versuchskaninchen einer Ideologie, von der nur die Pharma-Lobby und die Pharmaindustrie profitiert», befand die Vorsitzende der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die Neuregelungen würden zwar keine chirurgischen Eingriffe betreffen, sie würden aber «die Weichen dafür stellen», warf sie der Regierung vor. «Und das halten wir für verantwortungslos.»

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