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«Schiedsrichter zu sein ist meine Berufung»

Jesús Tomillero gilt als Spaniens erster offen schwuler Schiedsrichter im Fussball. Aufgrund seiner Sexualität wird er auf und abseits des Spielfelds mit Beschimpfungen und Morddrohungen konfrontiert. Curdin Seeli telefonierte mit dem 21-Jährigen aus Cádiz.

Jesús, im Mai bist du als Schiedsrichter zurückgetreten. Warum?
Ich habe den Druck nicht mehr ertragen. Die Beschimpfungen der Zuschauer, das Gelächter, die Pfiffe – alles wegen meiner sexuellen Orientierung, nicht wegen der Art, wie ich Fussballspiele leitete. So entschied ich im Frühling, Anzeige zu erstatten. Zudem wollte mich die andalusische Fussballvereinigung damals nicht unterstützen. Man riet mir davon ab, meine Geschichte zum Thema zu machen. Die Vereinigung der Schiedsrichter schritt insofern ein, als es Strafen von fünfzig Euro für gewisse Fans gab, die mich angriffen. Das war aber nicht genug, verändert hat sich nichts.

Weshalb bist du im September wieder als Schiedsrichter zurückgekehrt?
Es kam zu einer Einigung mit dem andalusischen Fussballverband und einer Regelung, dass sie hinter mir respektive LGBT-Sportlern und -Schiedsrichtern und deren Gleichstellung stehen und Diskriminierung jeglicher Form ahnden würden. Für mich ist Spiele zu leiten das, was ich am liebsten mache, daher wollte ich natürlich zurückkehren.

Im September kehrte Jesus auf das Spielfeld zurück, trotz Beschimpfungen und Morddrohungen. (Foto: Jesus Tomillero)

Bei deiner Rückkehr ist es aber wieder zu Beschimpfungen gekommen…
Ja, das erste Spiel vom 10. September war schlimm. Ich wurde ausgepfiffen. Man beleidigte und beschimpfte mich. Ich wurde bedroht. Am Schlimmsten war, dass mich auch ein Schiedsrichterkollege hier aus Cádiz angriff.


Hast du vor deiner Rückkehr am 10. September mit solchen negativen Reaktionen gerechnet?
Nein. Ich habe erwartet, dass nach der ganzen medialen Aufmerksamkeit und den vielen Interviews und Gesprächen mehr Respekt vorhanden sein würde. Ich ging davon aus, dass die Menschen anders reagieren würden, nachdem sie erfahren hatten, wie gross mein Leiden als schwuler Schiedsrichter war. Dass ich nicht für meine sexuelle Orientierung, sondern für meine Leistung als Schiedsrichter Aufmerksamkeit bekommen soll.

Wirst du auch auf der Strasse belästigt?
Ja, vor kurzem spazierte ich mit meinem Freund durch das Quartier und es wurde mit Eiern nach uns geworfen. Auch das, was Leute auf meiner Facebook- und Twitter­seite posten und kommentieren ist krass. Es kam sogar zu Morddrohungen. Es ist furchtbar. Und das alles im 21. Jahrhundert. Kaum zu glauben, unfair und traurig.

Wie geht es dir?
Ich habe Angst. In den Tagen nach den ersten Morddrohungen konnte ich kaum schlafen. Zum Glück habe ich jetzt Polizeischutz und einen Leibwächter.


Nicht ohne die Regenbogenschnürsenkel! Für sein Spiel im Oktober postete Jesus ein Bild seiner Stollenschuhe auf Instagram.

Sprechen wir etwas über die Welt des Fussballs. Wie begann deine Faszination für den Sport?
Fussball an sich interessiert mich nicht sonderlich, ich spiele auch nicht selber Fussball. Ich schaue natürlich Spiele von Barça und Real, das übliche. Was ich liebe, ist das Pfeifen von Spielen. Das Leiten der Partien, das ist meine Berufung.

Wie hast du dazu gefunden?
Es begann früh, ich war elf Jahre alt. Mein Bruder spielte ein Freundschaftsspiel, ich begleitete ihn, so kam ich dazu.

Wie geht es nun weiter? Wirst du wieder Spiele leiten?
Ja, letztes Wochenende habe ich neuerlich ein Spiel gepfiffen. Gott sei Dank gab es nur einen Zwischenfall mit einem Fan, der mich beschimpfte. Wir konnten aber durch­greifen.

Wann hast du erstmals ein Spiel als offen schwuler Schiedsrichter gepfiffen?
Vor zwei Jahren.

«Ich habe eineinhalb Jahre geschwiegen und zu Hause geheult.»

Kam es von Anfang an zu Diskriminierungen und Anfeindungen?
Ja, von Anfang an. Ich habe eineinhalb Jahre geschwiegen und zu Hause geheult. Dieses Frühjahr konnte und wollte ich mir auf dem Spielfeld nicht weiter Respektlosigkeiten anhören. Es war genug. So entschied ich mich, Anzeige zu erstatten.

In den Medien haben wir vernommen, dass du mit dem Europäischen Parlament in Kontakt stehst hinsichtlich deines Falles. Was geschieht da?
Ja, durch meine Anzeige und meinen publik gewordenen Fall wurde die spanische wie die europäische Politik auf die Problematik von LGBT-Menschen im Fussball und im Sport generell aufmerksam. Das europäische Parlament und die FIFA haben mich eingeladen, und ich habe an einer Sitzung des europäischen Parlaments teilgenommen. Im Parlament wurde in einem Diskurs besprochen, dass Europa die Wiege des Sports und des Fussballs sei und es gerade deshalb wichtig sei, auch rechtlich ein Vorbild zu sein, was den Kampf gegen Diskriminierung angehe. Es ist nun soweit, dass das europäische Parlament ein Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung von LGBT-Menschen im Sport verabschieden wird.

Was wollten sie von dir wissen?
Ich habe das Gesetz vorgeschlagen und habe von meinem Fall erzählt.

«Fussball ist eine eingesessene Sportart und eine Welt der Machos. Es gibt viel Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.»

Wieso hat die Fussballwelt so grosse Schwierigkeiten mit Homosexualität?
Fussball ist eine eingesessene Sportart und eine Welt der Machos. Es gibt viel Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Bisher haben Klubs leider einfach darüber hinweggesehen. Hier in Spanien verhalten sich auch Spieler so – nicht nur Fans – und es passiert nichts. Für das Land ist das ein Armutszeugnis. Für mich persönlich ist es wichtig, dass ich wie jeder andere auch meinen Job machen und meiner Passion folgen kann und an meiner Leistung, nicht an meiner sexuellen Orientierung bemessen werde. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Wie verhält sich deine Familie in dieser schwierigen Zeit?
Mein Freund steht hinter mir und unterstützt mich in allem. Ebenso meine Familie. Natürlich haben sie gesagt, ob ich nicht einfach aufhören wolle, wenn die Reaktionen so massiv ausfielen. Als ich sagte, dass Schiedsrichter zu sein mein Leben sei, haben sie sich hinter mich gestellt. Sie unterstützen mich auf dem Weg, den ich nun gehe. Ihre Unterstützung ist fundamental.

Anfang dieses Jahres beschloss Jesus, nicht länger zu schweigen, und erstattete Anzeige. (Foto: Jesus Tomillero)

Was sind deine nächsten Pläne?
Ein spanischer Verlag wird ein Buch über mein bisheriges Leben herausgeben. Ich bin 21 Jahre alt und es ist schon viel passiert!  Ich habe schon viele schwierige Phasen in meinem Leben durchgemacht. Das Buch soll anderen Betroffenen, die Ähnliches erleben und schweigen, helfen und ihnen Hoffnung geben. Mit dem Gewinn aus dem Buchverkauf möchte ich mich für LGBT-Menschen einsetzen, nicht nur im Sport, sondern generell.

Hast du einen Lebenstraum?
Ich freue mich auf die Publikation des Buches. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass wir alle akzeptiert werden in dem, was wir machen, und nicht dafür bewertet werden, wer wir sind. Ich wünsche mir, dass der Druck auf Homosexuelle im Sport verschwindet und wir frei leben und wählen können, sei das im Sport oder anderswo.


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