Sahra Wagenknecht macht «skurrile Minderheiten» verächtlich

An diesem Mittwoch erscheint ihr neues Buch: «Die Selbstgerechten»

Sahra Wagenknecht (Linke) (Foto: Marcel Kusch/dpa)
Sahra Wagenknecht (Linke) (Foto: Marcel Kusch/dpa)

Frank Laubenburg ist Bundessprecher bei DIE LINKE.queer. Bereits letzte Woche hatte er via Facebook queerfeindliche Passagen des neuen Buches von Sahra Wagenknecht kritisiert. Nun ist es erschienen, Laubenburg hat es für uns gelesen.

Etwa wenn Wagenknecht von «immer kleineren und immer skurrileren Minderheiten» spricht, die den Anspruch hätten, «ein Opfer zu sein» und behauptet «sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Ethnie dagegen funktionieren immer», dann verlasse das nicht nur den Boden von Respekt und Bewusstsein. Es sei unerträglich und mit dem Selbstverständnis, mit den Werten und Zielen der Partei DIE LINKE nicht vereinbar, so Laubenburg.

Für MANNSCHAFT bespricht Frank Laubenburg nun das Buch von Sahra Wagenknecht «Die Selbstgerechten» in einem Gastbeitrag*:

«Es gibt kein gemeinsames Interesse der Nachfahren von Einwanderern aus muslimischen Ländern oder der Homosexuellen oder gar der Frauen, das über die rechtliche Gleichstellung und generelle Nichtdiskriminierung hinausgeht», schreibt Sahra Wagenknecht in ihrem neuen Buch «Die Selbstgerechten». Ja, ist so. Homosexuelle möchten nicht einfach abgestochen, Frauen wollen nicht vergewaltigt und Migrant*innen nicht erschossen werden. Wagenknecht nennt das in ihrem Buch abwertend «Lifestyle»-Fragen. Menschen ohne Lifestyle allerdings gibt es nur auf Friedhöfen.

Schablonenhaft und moralisierend konstruiert Wagenknecht einen Gegensatz zwischen dem homosexuellen Lastwagenfahrer, der aufgrund der Lohndumping-Konkurrenz in der Europäischen Union diese ganz anders bewerte als der homosexuelle Politikstudent, dem seine Eltern ein Auslandssemester in einem EU-Staat finanzieren. Da würden «Lifestyle-Linke» gemeinsame Interessen konstruieren, «wo es überhaupt keine gibt».

Anschlussfähig an rechte Diskurse Das von Wagenknecht selbst kurz zuvor noch benannte gemeinsame Interesse auf Nicht-Diskriminierung gibt es also doch nicht? Man weiss es nicht, denn Wagenknecht verzichtet in ihrem Buch darauf, stringent zu argumentieren und verwendete Begriffe («Lifestyle-Linke», «Linksliberalismus», «Identitätspolitik») eindeutig zu definieren. So kann sie diese Begriffe recht beliebig und widersprüchlich verwenden. Sie macht Menschen verächtlich («Skurrile Minderheiten», «individuelle Marotten») und betont wenig später, gegen Diskriminierung eintreten zu wollen. Was hängen bleibt, ist ein Raunen, ein Getuschel, mit dem die gesellschaftlichen Kämpfe um Emanzipation und für Grund- und Freiheitsrechte diskreditiert wird – und anschlussfähig an rechte Diskurse ist.

Widerlich ist das nicht nur vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt gegen queere Menschen, die Wagenknecht mit ihrer Wortwahl befördert, sondern auch, weil es so notwendig ist, darüber zu diskutieren, wie queere Bewegungen auf soziale Ungleichheit reagieren.

Denn das, was alle derzeit pandemiebedingt an Lebensqualität vermissen (geschlossene Clubs, Kinos, Restaurants und Events), ist für Queers, die von Hartz IV leben, Lebensrealität auch ohne Pandemie. Individuelle Emanzipation bedarf sozialer Absicherung, um sie leben zu können. Die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit bei trans Personen, die schlechtere Bezahlung lohnabhängig beschäftigter queerer Menschen und die hohe Altersarmutsquote bei lesbischen Frauen sind Themen, die in den queeren Debatten immer noch zu wenig präsent sind. Wagenknecht ver- und behindert diese wichtige Diskussion, indem sie Ressentiments verbreitet und bewusst zulässt, dass gesellschaftliche Minderheiten dafür verantwortlich gemacht werden, dass in der Bundesrepublik soziale Ungerechtigkeit herrscht.

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

Nachtrag: Am Samstag wurde Wagenknrecht zur Spitzenkandidatin der NRW-Linken für den Bundestag nominiert. Nun hat sich nach scharfer parteiinterner Kritik an ihrem neuen Buch hat sich die ehemalige Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht gegen Vereinnahmungsversuche der AfD verwahrt. «Mein Buch zielt darauf, dass die Linke wieder mehr Rückhalt gewinnt. Das wäre ein echter Beitrag zur Schwächung der rechten Parteien, während abgehobene Identitätsdebatten sie eher stärker machen», sagte Wagenknecht dem Spiegel. «Dass die jetzt kalte Füsse kriegen und versuchen, mich durch Vereinnahmung zu diskreditieren, zeigt nur, dass sie verstehen, worum es geht.»



Einige AfD-Politiker, unter anderem der Landtagsabgeordnete Daniel Roi aus Sachsen-Anhalt, nutzen Zitate aus Wagenknechts Buch, um für die AfD zu werben. In Sachsen-Anhalt ist am 6. Juni Landtagswahl. Auch der AfD-Landesverband in Nordrhein-Westfalen twitterte Wagenknecht-Zitate und bekam daraufhin Zustimmung. (mit dpa)

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