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Rekord bei Prides – aber auch bei Hassgewalt gegen LGBTIQ

Dieses Jahr werden in Deutschland werden wohl an die 4 Mio. Menschen durch CSDs direkt mobilisiert

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Symboldbild: Sina Schuldt/dpa

Spitze bei der Anzahl und den Teilnehmenden, aber auch bei den Übergriffen gegen sie: Die Christopher Street Days, deren Saison 2023 bald endet, zeigen ein zwiespältiges Bild der deutschen Gesellschaft.

Von: Gregor Tholl, dpa

So viele Pride-Veranstaltungen und Pride-Besuchende wie 2023 sind in Deutschland noch nie gezählt worden. Mehr als 140 Veranstaltungen zähle man dieses Jahr, teilt der Verein CSD Deutschland als Dachverband der Gruppen und Vereine mit, die Christopher Street Days organisieren.

Doch kaum einer verging ohne Meldungen über Gewalt gegen Teilnehmende, Handgreiflichkeiten, Pöbeleien, Anfeindungen. Die grossen CSDs waren im Juli und August. Im September und sogar Oktober folgen noch welche, meist eher kleinere.


«Ende des Jahres werden es an die vier Millionen Menschen gewesen sein, die durch die CSDs direkt mobilisiert wurden. Das ist die höchste Zahl, die wir jemals erreicht haben», sagt Vorstandsmitglied und Pressesprecher Kai Bölle. Drei dieser vier Millionen verfolgten demnach die Demos am Rande oder hörten sich die Kundgebungen an, eine Million Menschen werden aktiv teilgenommen haben.


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Der CSD-Deutschland-Verein zählt 76 CSD-Organisationen als Mitglieder. Vor 20 Jahren gab es nach seinen Angaben etwa 30 CSDs in Deutschland, vor 10 Jahren dann etwa 50. «Was wie eine reine Erfolgsgeschichte klingt, kommt jedoch auch mit Schattenseiten daher», betont Bölle. «Wir registrieren zunehmend offene Gewalt auch direkt im Umfeld von CSDs oder im Zuge des Rahmenprogramms.»


Auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), zeigte sich kürzlich beunruhigt: «Zunehmend gibt es auch Übergriffe im Rahmen von CSDs.» Angeheizt von gezielten Kampagnen richte sich Gewalt gegen sichtbares queeres Leben und solle einschüchtern.

Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: «Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend. Allein im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als 1’400 Straftaten registriert. Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an.»

Der #CSD in #Münster heute war anders als alle CSDs.

Vor einem Jahr wurde Malte C. tödlich verletzt, als er sich einem Angreifer in den Weg gestellt hat, der Besucherinnen des CSD attackierte.

Dieser Mut bleibt unvergessen. pic.twitter.com/J5KAUARrib

— Sven Lehmann (@svenlehmann) August 26, 2023

Strittig bis in die Community hinein ist immer wieder, aus welchem gesellschaftlichen Milieu die Täter bei antiqueerer Hassgewalt hauptsächlich kommen. Ausserdem wird oft darüber spekuliert, ob nur deshalb mehr Zwischenfälle passierten, weil auch mehr Veranstaltungen mit eben viel mehr Menschen stattfinden als früher.


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Dass es mehr registrierte Vorfälle gebe, komme auch von gestiegener Sensibilität, heisst es vom Verein CSD Deutschland. Doch Homo- und Transphobie stecke tief in den Köpfen vieler Bürger*innen. Und diese Ablehnung werde derzeit von Hetzkampagnen gezielt aktiviert, sagt Bölle. Täter seien meist Männer. Oft werde behauptet, CSDs verstärkten eine sogenannte LGBTIQ-Ideologie. «Das ist ein Mittel der Umkehr. Denn um Ideologie geht es eben gerade diesen Akteur*innen.»

Vor allem auf dem Land ist die Zahl der CSDs stark angestiegen. Die Präsenz und Sichtbarkeit in der Fläche ist von besonderer Bedeutung

«Vor allem auf dem Land ist die Zahl der CSDs stark angestiegen. Die Präsenz und Sichtbarkeit in der Fläche ist von besonderer Bedeutung», sagt Bölle. In Bayern zum Beispiel seien neben den langjährigen Veranstaltungen in München und Nürnberg mehr als 25 weitere CSDs ins Leben gerufen worden. Gerade in kleineren Städten sei Sichtbarkeit wichtig. Dort, wo es lange keine oder nur wenige Schutzräume gegeben habe, wo man eben in die grossen Städte gefahren sei, um seine Identität leben zu können, gebe es mehr und mehr Engagierte, die das ändern und sich eben in ihrer Heimat wohl und sicher fühlen wollten.

«Das Ausweichen auf die Anonymität und damit Sicherheit von Köln, Berlin, Hamburg oder München wird als Last statt als Alternative bewertet. Was es ja auch ist. Ein Ausweichen und Flüchten», sagt Bölle. Beeindruckende Zahlen aus Hamburg, Köln und Berlin mit jeweils um die 65’000 Demonstrant*innen und mehreren Hunderttausend Besucher*innen – in Köln gar über einer Million (MANNSCHAFT berichtete) – seien wichtig und medienwirksam. «Doch die meisten CSDs bringen eben auf dem Land eher jeweils um die 2’500 Menschen auf die Strasse.»

 

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Auffällig ist die deutlich breitere Beteiligung – etwa von Kommunen (Verwaltungen), Kirchengemeinden, Amateur- und Profisportvereinen, Feuerwehren und Rettungsdiensten, Unternehmen und sogar der Polizei, wie es vom Verein CSD Deutschland heisst. «Sogar» bezieht sich hier auf die Tatsache, dass es gerade in Deutschland historisch bedingt in der queeren Szene häufig Vorbehalte gegenüber der Polizei gibt.

Bis vor knapp 30 Jahren galt Homosexualität in Deutschland unter Umständen als strafbar. Der mehr als 100 Jahre alte Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs wurde erst 1994 offiziell gestrichen.

Heute seien es meist LGBTIQ in den jeweiligen Organisationen, die dort Netzwerke bildeten und dann die Teilnahme ihrer Arbeitgeber*innen, Vereins oder Gemeinwesens bei einem CSD initiierten, berichtet der Dachverband. Dass das dann aber zugelassen und unterstützt werde, sei ein wichtiges Zeichen. «LGBTIQ werden immer eine Minderheit sein und sind damit darauf angewiesen, dass die Zivilgesellschaft sich für sie als Minderheit mit einsetzt.»

Vor einem Jahr wurde Malte C. tödlich verletzt. Felix Adrian Schäper vom Verein Trans*-Inter*-Münster spricht über die Folgen für den Verein, in dem auch Malte war (MANNSCHAFT berichtete).


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