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«Queerfeindliche Straftaten erhalten kaum Aufmerksamkeit»

Das BMI richtet ein Expertengremium ein mit Verbänden u.a. aus Berlin, Köln und Sachsen

Foto: Unsplash

Für den 20. September hat das Innenministerium zur Auftaktsitzung des Arbeitsgremiums «Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt» eingeladen. Eingerichtet werden soll ein unabhängiges Expertengremium aus Wissenschaft, Praxis und LGBTIQ-Gemeinschaft.

Das erste Treffen findet am Dienstagnachmittag als Online-Sitzung statt. Das BMI macht noch ein Geheimnis daraus, wer Teil des Gremiums sein soll, aber MANNSCHAFT hat erfahren, dass neben MANEO sowie L-Support aus Berlin und Rubicon aus Köln auch die Fachstelle LAG Queeres Netzwerk Sachsen dazu gehört. Dort freut man sich sehr über die Einladung. «Wir erhoffen uns, dass durch ein unabhängiges Gremium bundesweite Strategien erarbeitet bzw. begleitet werden sowie weitere Finanzierungsquellen für Community-Arbeit, Sensibilisierung, Weiterbildung, Kampagnen und Präventionsmassnahmen in den Bundesländern», teilte Britta Borrego, die Geschäftsleitende Bildungsreferentin der Fachstelle, auf MANNSCHAFT-Anfrage mit.

2019 hatte die LAG eine Studie zu Gewalterfahrungen von LGBTIQ veröffentlicht, die bundesweit rezipiert wurde (MANNSCHAFT berichtete). Diese habe deutlich gemacht, «dass Beleidigungen, Bedrohungen und körperliche Gewalt zu den Alltagserfahrungen von queeren Menschen in Sachsen gehören und nur ein sehr geringer Anteil davon bei Polizei bzw Justiz angezeigt wird». Die im Juli 2022 veröffentlichte Studie zu Lebenslagen von LGBTIQ in Sachsen im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung zeichne ein ähnliches Bild. «Die Diskrepanz zwischen Hell- und Dunkelfeld tritt also erneut sehr deutlich hervor. Wir können als Selbstvertretungsgremium somit für ein Bundesland sprechen, in welchem die bundesweite Lage gerade sehr spezifisch nachfühlbar ist.»

Wir bedauern sehr, dass Strong! nicht berücksichtig wurde.

Die Erwartungen an das Gremium und der Druck sind hoch. Wie schnell kann es Gremium überhaupt Ergebnisse liefern, wollten wir aus Sachsen wissen. «Ja, die aktuellen transfeindlichen Übergriffe in Münster und Bremen erschüttern uns – queerfeindliche Straftaten sind jedoch leider alltäglich, und sie erhalten kaum eine gebührende, mediale noch gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Wie gesagt, Ideen und Vorschläge zur Verbesserung der Situation liegen bereits vor.» Eine Bündelung, Ergänzung, Weiterentwicklung und finanzielle Untersetzung müsse nun zügig geschehen, so Borrego.


Freude in Sachsen, Enttäuschung in Bayern. Die Fachstelle Strong! im Münchner Sub ist nicht eingeladen. Michael Plaß und Bettina Glöggler, die die Strong! führen, erklärten gegenüber MANNSCHAFT: Man begrüsse die Initiative des BMI zur Gründung des Arbeitsgremiums «Bekämpfung homophober und trans*feindlicher Gewalt» sehr. Aber: «Wir bedauern sehr, dass Strong! dabei leider nicht berücksichtig wurde.»


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Gerade weil die Kooperationen der Community mit Polizei und Justiz aufgrund der föderalen Strukturen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich seien, wäre die Beteiligung des einzigen bayernweiten Hilfeangebotes eine Bereicherung für dieses Gremium gewesen, so Plaß und Glöggler.


Doch unterschieden sich die Lebenssituationen der von Hate Crimes betroffenen LGBTIQ nicht nur hinsichtlich der Voraussetzungen im jeweiligen Bundesland – auch innerhalb der Zielgruppen der LGBTIQ gebe es unterschiedliche Bedarfe. «Die tägliche Arbeit von Strong! zeigt, dass gerade trans, inter und nicht-binäre Personen besonders häufig Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind, die viel zu häufig nicht als solche erkannt oder unter Homosexuellenfeindlichkeit subsummiert wird.» Dabei sei es für die Betroffenen von zentraler Bedeutung, dass negative Erlebnisse aufgrund des Geschlechts nicht als Homophobie missverstanden würden.

Weiter heisst es aus München: «Wir wünschen uns vom Gremium darüber hinaus eine intersektionale Perspektive. Unsere Zielgruppen sind häufig nicht ,nur‘ lesbisch, schwul oder trans sondern beides. Und beispielsweise kann ein schwuler trans Mann auch Rassismus ausgesetzt sein oder Diskriminierung erleben, wenn er etwa HIV-positiv ist.»

Ein besonderes Augenmerk erforderten die Lebenssituationen von LGBTIQ-Geflüchteten, Jugendlichen, Kindern und Senior*innen, für die nach Fällen von Hate Crimes viel zu selten zielgruppengerechte Schutzräume zur Verfügung stehen.

Auf jeden Fall freue man sich in München über das neue Arbeitsgremium. «Es wird eine wichtige und kompetente Rolle in der bundesweiten Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTIQ spielen. Strong! steht den Verantwortlichen mit seiner Expertise gerne zur Seite, sollte Bedarf bestehen.»

Ende August war in Münster ein trans Mann geschlagen worden, als er einen 20 Jahre alten Mann beim CSD bat, zwei Lesben nicht mehr zu beschimpfen und zu bedrohen. Der Pöbler soll Malte daraufhin mindestens einmal mit der Faust geschlagen haben, sodass er stürzte. Fünf Tage später erlag Malte C. an seinen Verletzungen (MANNSCHAFT berichtete).


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