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Queere Soldat*innen rehabilitieren – Grüne wollen Nachbesserungen

Der Stichtag soll u.a. von 2001 auf das Jahr 2010 geändert werden

homosexuelle soldaten
Symbolfoto: AdobeStock

Das Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten (SoldRehaHomG) soll bis Ende Mai in Kraft treten. Es wird auch grundsätzlich von den Grünen begrüsst, aber einige Minister*innen und Senator*innen fordern nun Nachbesserungen – etwa höhere Entschädigungszahlungen.

Die Diskriminierung von queeren Soldat*innen hatte in der Bundeswehr System. Über Jahrzehnte galten homosexuelle Männer in der Truppe als «Sicherheitsrisiko» sie wurden ausgemustert oder entlassen, waren Thema für Witze und abfällige Bemerkungen. Aufstiegschancen: Fehlanzeige (MANNSCHAFT berichtete).

Im Sommer hatte sich Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) für die jahrzehntelange systematische Diskriminierung homosexueller Soldaten in der Bundeswehr entschuldigt und das Gesetz zur Rehabilitierung angekündigt (MANNSCHAFT berichtete).

Umso begrüssenswerter, dass die Bundesregierung nach anfänglichem Zögern jetzt ein Gesetzesvorhaben eingebracht habe, das auf die Rehabilitierung von Soldat*innen zielt, die aufgrund einvernehmlicher homosexueller Handlungen, aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung oder aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität staatlich verantwortetes Unrecht erlitten haben, meinen die Grünen.


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So sehr dieser Vorstoss im Grundanliegen unterstützenswert sei, so bedenklich erwiesen sich die noch bestehenden Regelungslücken, erklärt nun eine Gruppe von Grünen-Politiker*innen.

Die Interessenvertretung queerer Angehöriger der Bundeswehr begrüsst die Initiative. «QueerBw setzt sich seit der Gründung für eine vollumfängliche Rehabilitierung und echte Entschädigung ein. Angehörige der Bundeswehr, die staatlich diskriminiert und verfolgt wurden, verdienen eine ehrliche Aufarbeitung. Das Ziel der parlamentarischen Befassung sollte nicht das Finden des Minimalkonsens sein, sondern die Beseitigung jahrzehntelanger Diskriminierung inklusive der direkten finanziellen Folgen», so der QueerBW-Vorsitzende Sven Bäring gegenüber MANNSCHAFT.

QueerBw habe bereits im Oktober ein 2-Säulen-Modell vorgeschlagen, das neben einer Pauschalentschädigung, die unkompliziert zu beantragen ist, eine Individuallösung vorsieht, wenn Betroffene konkrete finanzielle Schädigungen nachweisen können.


Es geht um konkrete Schicksale.

«Wenn Betroffene Unterlagen haben, die nachweisen, dass sie aufgrund ihrer ‚homophilen Veranlagung‘ nicht mehr befördert wurden und deshalb nun weniger Rente erhalten, verblasst die symbolische Entschädigung mit der nächsten Rente. Die Zeit für Symbolpolitik ist vorbei. Es geht um konkrete Schicksale. Wer bereit war das höchste Gut, die Unversehrtheit seines Lebens, dem Staat zu geben, dem gebührt der nötige Respekt», so Bäring weiter.

Diese vier Punkte werden von den Grünen genannt:

1. Im Gesetzentwurf können Rehabilitierungs- oder Entschädigungsansprüche nur für vor dem 3. Juli 2000 erfolgte Verurteilungen oder Benachteiligungen geltend gemacht werden; denn an jenem Datum sei der Erlass aufgehoben worden, der für Soldat*innen «mit homosexuellen Neigungen» Beförderungen ausschloss und diverse Einsatz- und Verwendungsbeschränkungen bis hin zur Entlassung vorsah. Es ist aber realitätsfremd, davon auszugehen, dass mit dem formalen Ende der Diskriminierung auch ein tatsächliches Ende einherging. Wir fordern daher eine Anpassung des Stichtages auf das Jahr 2010.

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2. Die Entschädigungssumme ist zu niedrig. Gemessen am häufig lebenslangen Schaden, den staatlich verantwortetes Unrecht betroffenen Soldat*innen zufügte, ist eine Entschädigungssumme von maximal 6.000 Euro schlicht zu gering. Wir müssen bedenken, dass diese Biografien – denken wir an die Fälle der Entlassung aus dem Dienst oder anderer vergleichbarer Beeinträchtigungen der Erwerbsbiografie – oftmals weitreichende Einschläge erfahren haben. Wir fordern daher eine Anpassung der pauschalen Entschädigungssumme nach oben sowie eine Härtefallregelung, die über die pauschale Entschädigungshöhe hinaus individuelle Ausgleichszahlungen für einen nachweisbar erlittenen finanziellen Schaden erlaubt.

3. Zu Benachteiligungen, die Soldat*innen allein aufgrund ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität erlitten haben und die daher aus heutiger Sicht unrechtmässig sind, zählen auch ausgebliebene Beförderungen. Ein Ausgleich dieser unrechtmässigen Benachteiligung ist aus unserer Sicht zwingend. Man fordere daher die Möglichkeit einer nachträglichen Beförderung mit daraus resultierenden erhöhten Renten- und Pensionsansprüchen.

4. Es bedarf in umfassenderem Masse einer historischen Aufarbeitung staatlich verantworteten Unrechts, sowie der Bildungsarbeit und Prävention. Manche Fälle von Benachteiligung aufgrund homosexueller Handlungen oder aufgrund der geschlechtlichen Identität können Soldat*innen heute nicht mehr nachweisen. Viele entgingen offener Benachteiligung auch nur, weil sie lebenslang ihre Identität versteckten und dafür erhebliche psychosoziale Beeinträchtigungen in Kauf nahmen. Mit Blick auf solche Fälle sowie die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Diskriminierung innerhalb der deutschen Streitkräfte fordern wir Formen einerKollektiventschädigung.

Zu den Unterzeichner*innen der Erklärung gehören Dirk Adams (Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz Freistaat Thüringen) Canan Bayram (Bundestagsfraktion B’90/Die Grünen) Dirk Behrendt (Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin) Anna Gallina (Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz Freie und Hansestadt Hamburg) Katja Keul (Bundestagsfraktion B’90/Die Grünen, rechtspolitische Sprecherin) Katja Meier (Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung Freistaat Sachsen) und Manuela Rottmann (Bundestagsfraktion B’90/Die Grünen.

In der nächsten Ausgabe der MANNSCHAFT porträtieren wir einen Soldaten, der Anfang der 1960er wegen seiner Homosexualität unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen wurde. Hier geht’s zum Shop.


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