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Queere Geschlossenheit statt Grabenkämpfen und Häme!

Wenn alte Rechnungen beglichen werden sollen

Grabenkämpfe
Symbolbild: Baylee Gramling/Unsplash

Es hat sich in der LGBTIQ-Community ein Klima etabliert, in dem Akteure sich je nach Partei-Zugehörigkeit mit heftigen und persönlichen Vorwürfen überziehen, kritisiert unser Autor in seinem Kommentar*. Und warnt: Am Ende profitiert die AfD.

«Wenn es dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis zum Tanzen.» Das, was unsere Community früher schlagkräftig und erfolgreich machte – Geschlossenheit und Einigkeit – scheint heute nicht mehr zu gelten. Zunehmend gibt es Grabenkämpfe untereinander, die am Ende nur unseren Feinden helfen. Eine Renaissance der Geschlossenheit ist dringend notwendig. Ein Appell!

Gerade sitze ich im Zug auf der Heimfahrt von Berlin nach Bayern. Eine ereignisreiche Woche mit einer internationalen Konferenz des Amsterdam Networks und einer Kuratorium-Sitzung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld liegen hinter mir. Begleitet von dem Polit-Krimi im Abgeordnetenhaus mit der Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters am Donnerstag. Nachdem das dann doch noch im dritten Wahlgang funktioniert hat, bekommt Berlin also eine neue Regierung und gemäss Koalitionsvertrag auch «eine*n Queer-Beauftragte*n der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt». Und diesen Posten soll es auch in jedem Bezirk geben. Da kann man mit Blick aus Bayern nur neidvoll den Hut ziehen.

In Bayern stehen im Oktober Landtagswahlen an, mit trüben Aussichten aus queerpolitischer Perspektive. Nach momentanem Stand der Umfragen scheint die amtierende Koalition aus CSU und Freien Wählern nicht gefährdet, eine Regierungsbildung ohne die CSU ausgeschlossen, eine erneute Alleinregierung der CSU nicht unmöglich. Und damit wird es dann auch in der nächsten Legislatur in Bayern keinen queeren Aktionsplan oder eine*n Queer-Beauftragte*n in Bayern geben. Den Skandal, dass Bayern inzwischen das einzige Bundesland ist, das keinen Aktionsplan für LSBTIQ-Lebensweisen hat, feiert diese konservative Koalition vielmehr als Alleinstellungsmerkmal. In Bayern gehen halt die Uhren anders. Meistens falsch aber manchmal auch richtig.



Klaus Lederer zieht Bilanz: «Ein Queer-Beauftragter braucht Unabhängigkeit und ein Budget» (MANNSCHAFT+)


Für Letzteres ein Beispiel: zur anstehenden CSD-Saison in Bayern haben sich alle bayerischen CSD-Organisationen verpflichtet, die Forderung nach einem Landesaktionsplan für queere Lebensweisen als gemeinsames Thema festzulegen. Diese Verabredung ging zügig vonstatten, und zeigt die Geschlossenheit einer Community, die politisch und gesellschaftlich mehr Gegenwind erfährt.

Wenn ich dagegen die Diskussionen und Streitereien um den CSD in Berlin der letzten Jahre Revue passieren lasse, muss ich manchmal doch mit dem Kopf schütteln. Wie lange muss man eigentlich zurückgehen, um ein Jahr zu finden, indem die Pride Parade nicht Gegenstand heftigster Debatten war, die alle nach einer gewissen Zeit in niveaulosen Streitereien und Anschuldigungen endeten. Und natürlich ist es fast schon eine Berliner Tradition, im Nachgang nachzutreten und das Engagement der Beteiligten mit Häme zu übergiessen. Es hat sich ein Klima etabliert in welchen die üblichen Verdächtigen je nach Zugehörigkeit der einen oder anderen Seite sich mit heftigen und persönlichen Vorwürfen überziehen.


Unsere Community lebt von der Vielfalt und diese Vielfalt muss auch ihren Ausdruck finden. Selbstverständlich auch in unterschiedlichen Meinungen und Einschätzungen, über die man sich bestimmt trefflich streiten kann. Aber am Ende manchmal auch akzeptieren muss, dass man nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt und die unterschiedlichen Positionen akzeptiert, ohne jene persönlich anzugreifen, die sie vertreten. Dazu scheint aber leider niemand mehr fähig oder Willens zu sein. Die persönliche Verletzung und Beschädigung des Gegenübers werden nicht nur hingenommen, sondern allzu oft auch gezielt gewollt. Und es erweckt den Eindruck, dass somit alte Rechnungen beglichen werden sollen.


Details werden bekannt: Was das geplante Selbstbestimmungsgesetz regelt. Wann es in Kraft tritt, ist noch unklar 


Ich will diese Entwicklung an zwei Beispielen, eines etwas älter und eines ganz aktuell, illustrieren.
Als Mitglied des Kuratoriums in der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bin ich um die Vorgänge bei der Neubesetzung um den Posten des geschäftsführenden Vorstandes bestens informiert. Allein die Tatsache, dass diese Stiftung im Bundesjustizministerium angesiedelt ist, sollte klarmachen, dass hier jederzeit viele Jurist*innen darüber schauen, dass alles rechtlich einwandfrei und unangreifbar geregelt wird. So war das auch in diesem Fall, von der Ausschreibung bis zur endgültigen Vergabe des Postens. Die üblen Unterstellungen die kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses, fast einem Tsunami gleich, über die Stiftung und ihren neuen Vorstand, Helmut Metzner, hinweggerollt sind, hatten schon eine besondere negative Qualität. Die geäusserten Unterstellungen waren allesamt ebenso boshaft wie unhaltbar.

Fast genau ein Jahr später, wiederholt sich das unwürdige Schauspiel. Diesmal geht es also um den oben erwähnten Posten des/der Queer-Beauftragten für das Land Berlin. Kaum war Koalitionsvertrag veröffentlicht, begann nicht nur die Spekulation darum, wer dieses Amt bekleiden könnte, sondern auch die öffentliche Herabwürdigung von möglichen Kandidat*innen. Noch bevor das Ergebnis der Mitgliederbefragung der SPD bekannt gegeben wurde, und es unklar war, ob es überhaupt zu dieser Regierungsbildung kommt, wurden die Gräben ausgehoben und die Geschütze in Stellung gebracht. Das knappe Ergebnis der Mitgliederbefragung, und die notwendigen drei Wahlgänge, die dann zur Regierungsbildung führten, zeigen, wie wackelig die ganze Sache war.

Dessen ungeachtet, wurde aber gleich, nachdem der Koalitionsvertrag bekannt war, in den sozialen Medien von wohl informierten Community-Mitgliedern wild drauflos spekuliert, wer es werden könnte und warum der- oder diejenige es nicht werden sollte. Und nach dem Motto «Der frühe Vogel fängt den Wurm» gab es auch eine bemerkenswerte und voller Elan vorgetragene Bewerbung eines queeren Aktivisten, der auch gleich mal mit einer eigenen (!) Petition, die ihn in Amt und Würden bringen sollte, unterlegt wurde. Spätestens da wussten Menschen, die in den letzten Jahren nicht auf einer einsamen Farm in Kanada gelebt haben: Es ist Zeit für Popcorn, die nächste Show beginnt.

Aber am 22. April (das Ergebnis der Mitgliederbefragung der SPD lag noch nicht vor!) schlug einem aber ein Artikel in der Berliner Zeitung, für den Sebastian Ahlefeld (FDP) verantwortlich zeichnete, das Popcorn aus der Hand. Ziel seiner bösartigen und unhaltbaren Unterstellungen und kruden Argumentation war Alfonso Pantisano, der nach Meinung Ahlefelds unter keinen Umständen Queer-Beauftragter werden dürfte. Von «Posten Geschacher» und «lukrativen Versorgungsposten» und «Partei Geklüngel» der SPD war die Rede. Die persönliche Qualifikation und Integrität Pantisanos wurde in Frage gestellt und wort- und bildgewaltig «belegt».

Das gleiche Muster wie damals bei Helmut Metzner, der sich in der FDP engagierte hatte und angeblich seinem Parteifreund, dem neuen Bundesjustizminister aus den Reihen der FDP, seinen Posten verdankte. Eine Lüge, die mit der Wahrheit ungefähr so viel zu tun hat, wie die Behauptung Elefanten können fliegen.

Danke allerdings dafür, dass jegliche mögliche Seriosität des Artikels in der Berliner Zeitung von vornherein vom Autor ausgeschlossen wurde indem die Überschrift lautete: «Queer-Beauftragter von Berlin: Er sollte aus der Community, nicht einer Partei kommen.» Da hatte wohl jemand den 1. April verschlafen und wollte ihn drei Wochen später nachholen.

Sich in einer demokratischen Partei und in der LGBTIQ-Community zu engagieren, schliesst sich also aus? Wer diese Meinung vertritt, hat die letzten 30 Jahre der queeren Emanzipationsbewegung verschlafen. Volker Beck, Klaus Wowereit und Guido Westerwelle lassen grüssen, um nur die Spitze des Eisbergs zu benennen. Von den unzähligen Aktivist*innen die sich in den queeren Partei-Organisationen engagiert haben, ganz zu schweigen.

Und wer Pantisano unterstellt, er käme nicht aus der Community, hat wohl die grossen Demos, die er mit Enough is Enough organisiert hat, verschlafen oder bei seinen sonstigen, oft bis an die Grenzen der Selbstaufopferung gehenden Einsätzen bei LGBTIQ Themen bewusst weggeschaut. Und ist auch definitiv auf keinem LSVD-Verbandstag der letzten 5 Jahre gewesen, wo Pantisano sich im Bundesvorstand engagiert hat. Meine Empfehlung: Ahlefelds Artikel sollte man sich besser für eine mögliche neue Pandemie aufheben, wenn mal wieder das Toilettenpapier knapp wird.

Ja, ich kenne sowohl Helmut Metzner und Alfonso Pantisano aus meiner Zeit als Bundesvorstand im LSVD. Das soll hier nicht unter den Tisch fallen. Und ich war derjenige, der beide dazu überredet hat, sich in unserem Verband zu engagieren. Und das war gut so! Deshalb würde ich nicht zögern, für Alfons Pantisano meine Hand ins Feuer zu legen, dass er diese Aufgabe bestens erfüllen würde. So, wie heute klar ist, dass Helmut Metzner ein Gewinn für die Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ist. Beides Paradebeispiele dafür, dass man sich in einer Partei engagieren kann, ohne Parteisoldat zu sein.

Wenn die AfD an die Macht kommt, müssen wir uns um Queer-Beauftragte keine Gedanken mehr machen.

Ob es Pantisano am Ende wird, wissen bestimmt andere, ich nicht. Und wie diese Stelle besetzt wird, entscheiden andere und nicht ich. Aber sollte es wider Erwarten eine positive Überraschung bei den Landtagswahlen in Bayern geben, die dazu führt, dass wir einen queeren Aktionsplan und eine*n queere*n Landes-Beauftragte*n bekommen: Alfonso, du wärst herzlich eingeladen! Entscheiden würden das aber auch wieder andere.

Hören wir also bitte, bitte endlich damit auf, uns als eine Community zu entwickeln, die respektlos und würdelos miteinander umgeht. Lasst uns streiten um die richtigen Wege und besten Lösungen für unsere Anliegen, aber nie dabei aus den Augen verlieren, wo unsere Feinde sind. Den «Luxus» von Zickereien und Selbstzerstörung können wir uns heutzutage nicht leisten! Schauen wir nicht auf die Zugehörigkeit in demokratischen Parteien von verdienten und engagierten Aktivist*innen der Community, sondern lieber auf die bedrohlichen Prozentzahlen der AfD. Wenn diese Partei an die Macht kommt, müssen wir uns um Queer-Beauftragte keine Gedanken mehr machen, dann haben wir ganz andere Sorgen. Bitte, seid in Eurer Vielfalt einig und respektvoll!


*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


Amandla Stenberg

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