London bekommt erstes LGBTIQ-Nationalmuseum
Queer Britain hat nach fünf Jahren Vorbereitung seine Pforten fürs Publikum geöffnet
London hat ein erstes LGBTIQ-Museum – es nennt sich Queer Britain und präsentiert eine «exquisite Montage von Geschichte, Kultur und Pride», so aufgestellt, dass sich «die Welt daran erfreuen kann», berichtet die Zeitschrift Outlook.
Das Museum am Granary Square war fünf Jahre lang «work in progress». Jetzt wurde es endlich in einem historischen Backsteingebäude aus dem 19. Jahrhundert hinterm Bahnhof King’s Cross eröffnet.
Outlook nennt die erste Ausstellung ein «Sammelsurium» aus Kunstwerken, Kostümen und Photographien. Die als Ziel haben, die Entwicklung(en) der Queer Community sichtbar zu machen – und deren Einfluss bzw. Wirkung auf die Gesamtgesellschaft nachzuzeichnen. (MANNSCHAFT berichtete über die Grundsteinlegung in New York für ein neues LGBTIQ-Museum, das 2024 eröffnen soll.)
Das Spektrum reicht von cross-dressed Persönlichkeiten aus dem Viktorianischen Zeitalter bis zu den jüngsten Pride-Märschen und will vor allem einer jüngeren LGBTIQ-Generation zeigen, dass sie Teil einer langen Entwicklung sind … und nicht so etwas wie die «ersten» Queers, denen nur die Steinzeit vorangegangen war. Der Museumsbesuch ist kostenfrei.
«Blockbuster-Ausstellung rund um queere Themen» Direktor und Mitbegründer des Museums ist Joseph Galliano, der früher fürs Magazin Gay Times arbeitete. Er suchte jahrelang nach einem passenden Format, um seine eigene aktivistische Arbeit sichtbarer machen zu können. 2017 kam ihm der Gedanke, dass man doch eine dauerhafte «Blockbuster-Ausstellung rund um queere Themen» zeigen könnte. Also zur gleichen Zeit, als in Grossbritannien anlässlich des 50. Jahrestags der Entkriminalisierung von Homosexualität viele temporäre Ausstellung (wie z.B. «Queer British Art 1861-1967» im Tate Museum) zu sehen waren.
Galliano schaffte er anschliessend, mit der Hilfe verschiedener LGBTIQ-Organisationen und Kontakten aus seinem Netzwerk mehr als 500 Spender*innen zu finden, um diese Ausstellung zu gestalten.
Es sind Privatpersonen, die das Museum finanzieren über Mitgliedschaftsprogramme. Ausserdem wird das Museum direkt von zwei Firmen gefördert und über Kooperationen mit Unternehmen.
Es sind vier Ausstellungsräume geplant, ein Museumsshop, Büroflächen und – später – Räumlichkeiten für Workshops und Bildungsprogramme. (MANNSCHAFT berichtete, dass Facebook Fotos mit queeren Inhalten aus Museen sperrte, wegen Verstosses gegen vermeintliche Gemeinschaftsstandards.)
«Queer Royalty» 2021 hatte das Museum den Queer Britain Madame F Award ausgeschrieben. Ein Porträt des Künstlers David Hoyle – geschaffen von Sadie Lee – gewann den 1. Preis, weil es Hoyles «Otherness» und «Fabulousness» perfekt einfange. Hoyle werde von vielen als «Queer Royalty» gesehen, heisst es in der Begründung, er sei gleichzeitig «erhebend, herausfordernd, euphorisch und unbequem». Das Bild von Hoyle ist jetzt zusammen mit den weiteren Preisgewinner*innen im Museum zu sehen. U. a. Paul Harfleets «Birds Can Fly», das den 2. Preis gewann.
Ansonsten geht es, wie gesagt, um Geschichte und geschichtlichen Kontext. Etwa um die Politikerin Maureen Colquhoun von der Labour Party, die 1977 von ihrer eigenen Partei «rausgewählt» wurde, weil sie «zu feministische» Vorstellungen hatte. Es geht natürlich auch um die Einführung der Ehe-für-alle in England, Wales und Schottland 2014.
Auf der Homepage des Museums kann man lesen, man wolle «ein wichtiger Ort für alle» sein, «unabhängig von Sexualität und Gender-Identität». Denn «alle» sollen hier etwas lernen können über «die Kultur, in die sie hineingeboren wurden, die sie gewählt haben oder versuchen zu verstehen». Damit solle der «Stammbaum der Nation» vervollständigt werden. (MANNSCHAFT berichtete über entsprechende Vorhaben am Hygiene-Museum in Dresden.)
LGBTIQ nicht nur am Rande von Geschichtsbüchern behandeln Warum das wichtig ist? «Queere Menschen haben jeden Teil unserer Kultur beeinflusst, aber allzu oft wurden ihre Lebensläufe nur am Rande von Geschichtsbüchern behandelt. Wertvolle Geschichten und Kunstgegenstände gegen verloren. Und einmal weg, werden sie vielleicht nie wieder gefunden. Wir geben diesen Gegenständen einen Raum, wo die bewahrt, entdeckt und gefeiert werden», heisst es von Seiten von Queer Britain.
Zum Kuratorium gehören Personen von der Imaan Muslim LGBTQI Group, vom People’s History Museum, Anwälte, die für Diversität und Inklusion kämpfen, Künstler*innen und Finanzspezialist*innen und Mitarbeiter*innen von HIV-Organisationen.
Zur Eröffnung Anfang Mai kamen fast 500 Personen, um die erste Ausstellung zu feiern. Damit bekommt Grossbritannien nun ein Pendant zum GLBT History Museum in San Francisco, zum Leslie-Lohman Museum in New York (das aber weniger der Geschichte als queerer Kunst verpflichtet ist), nicht zu vergessen das Museum für Sexuelle Diversität in São Paulo – und das Schwule Museum in Berlin, das 1985 eröffnete und somit mit weitem Abstand das erste seiner Art war. Und lange blieb. (MANNSCHAFT berichtete über Pläne für ein Queeres Museum in Wien.)
«A Little Gay History: Desire and Diversity Across the World» Während man sich in Berlin inzwischen von der Idee eines «schwulen Heimatmuseums» verabschiedet hat und die Institution aktivistischer aufgestellt hat, liefert Queer Britain jetzt das, was das SMU in den Anfangsjahren unter Leitung von Wolfgang Theis und Andreas Sternweiler tat. Man darf gespannt sein, auf die weitere Entwicklung und auf die ersten Publikationen.
Übrigens: Während das Deutsche Historische Museum in Berlin sich nach der «Homosexualität_en»-Ausstellung nicht mehr mit LGBTIQ im Kontext der Dauerausstellung beschäftigt hat, weil man das Thema ja vermeintlich nun «abgearbeitet» hat, veröffentlichte das British Museum gleich um die Ecke vom neuen Queer Britain Museum schon 2013 einen Katalog mit dem Titel «A Little Gay History: Desire and Diversity Across the World», worin verschiedene Objekte der eigenen Dauerausstellung aus «Gay»-Perspektive vorgestellt werden.
Das ist nach wie vor wegweisend – und andernorts nur sehr vereinzelt und vorsichtig kopiert worden. (MANNSCHAFT berichtete über die Zweite-Blick-Ausstellung im Bode-Museum Berlin.)
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