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«Der zweite Blick: Spielarten der Liebe» – Revolution im Museum

Das Bode Museum in Berlin zeigt als erstes staatliches Museum in Deutschland homosexuelle Hintergründe in der Kunst- und Religionsgeschichte, inklusive einem «schwulen» Jesus

Giambolognas «Mars Gradivus», um 1580, Bronze (Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Jörg P. Anders)

Als erstes der Staatlichen Museen zu Berlin wird das renommierte Bode Museum – das zur Museumsinsel der deutschen Hauptstadt gehört und somit zum Weltkulturerbe der UNESCO – im Rahmen seiner Skulpturensammlung und seiner Sammlung Byzantinischer Kunst ab 5. September eine «integrierte» und dauerhafte LGBTIQ-Ausstellung zeigen. Titel: «Der zweite Blick: Spielarten der Liebe.» Man kann das eine überfällige Revolution in der deutschen Museumslandschaft nennen.

Die Idee dahinter ist recht einfach und wurde in der Vergangenheit bereits von anderen grossen Museen der Welt umgesetzt, etwa vom Prado in Madrid, anlässlich von Gay Pride 2017, oder vom British Museum in London. Worum geht es bzw. wie geht es? In jeder bedeutenden Sammlung zu Kunst und Geschichte gibt es Themen, die irgendwie etwas mit LGBTIQ zu tun haben, entweder, weil die Künstler homoerotisch veranlagt oder queer waren, weil die dargestellte Geschichte entsprechende Aspekte berührt oder weil der ursprüngliche Sammler oder Auftragsgeber des Werks im weitesten Sinn homosexuell ist oder gerüchteweise dafür gehalten wird. (Im historischen Kontext ist Homosexualität schwer eindeutig nachzuweisen.) Natürlich gibt es auch Werke, die homoerotisch veranlagte Menschen besonders angesprochen haben und damit einen besonderen Platz in der LGBTIQ-Geschichte einnehmen, z. B. der von Pfeilen durchbohrte halbnackte Heilige Sebastian.

Die Vorderseite des Katalogs zu «Der zweite Blick: Spielarten der Liebe» (Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst)

Im Regelfall gehen Museen in ihrer Objektbeschriftung über solche LGBTIQ-Hintergründe stillschweigend hinweg. Lange galt es entweder als «anstössig» so etwas überhaupt zu benennen, oder es wurde behauptet, es sei «unwichtig» (wie jüngst in der Lotte-Laserstein-Ausstellung in der Berlinischen Galerie). Oder es wurde und wird gezielt weggelassen, um keine sogenannte «Homo-Propaganda» zu betreiben.

A Little Gay History
Das British Museum bietet seinen Besuchern seit Jahren ein kleines Buch an, das «A Little Gay History» heisst und ausgewählte Objekte aus der Sammlung mit LGBTIQ-Hintergrund versieht. Man kann also mit dem Buch in der Hand gezielt zu Exponaten in den Abteilungen gehen und lesen, was auf den generellen Texttafeln nicht (!) erzählt wird.


Das Prado griff diese Idee auf und markierte in seiner Dauerausstellung 30 Kunstwerke, zu denen es ebenfalls eine gezielte LGBTIQ-Geschichte erzählte. Der Titel: «La Miranda del Otro: Enscenarios para la Difernencia», ungefähr übersetzt: «Der andere Blick. Inszenierungen des Andersseins». Dieser Themenrundgang – für den das Prado kein einiges Kunstwerk umstellen musste und der quasi minimalsten Aufwand bedeutete – entfaltete grosse internationale PR-Wirkung. Sogar die New York Times berichtete enthusiastisch über die Aktion.

Das Bode Museum auf der Museumsinsel Berlin (Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Bernd Weingart)

Bemerkenswerterweise kamen deutsche Museumsleute nicht auf die Idee, das Konzept zu kopieren. Es wäre ein Leichtes, etwa im Deutschen Historischen Museum bei einer Dauerausstellung zu 1000 Jahren deutscher Geschichte die verschiedenen LGBTIQ-Aspekte bewusst zu markieren und als gesonderten Themen-Parcours anzubieten. Womit selbstredend auch allen anderen Besuchern gezeigt würde: LGBTIQ-Geschichte ist Teil der «allgemeinen» Geschichte und nichts, was man verstecken muss. Das DHM hätte eine solche Aktion starten können, direkt im Anschluss an seine vielbeachtete Ausstellung «Homosexualität_en» 2015. Doch damals hiess es, man habe das Thema ja jetzt mit einer Sonderausstellung abgedeckt, damit sei es für die nächsten Jahrzehnte vom Tisch.

Da musste also erst die Kuratorin María López-Fanjul y Díez del Corral aus Spanien nach Berlin kommen und solch ein Projekt selbst in die Hand nehmen. Ihr Plan ist es, im Bode Museum eine ganze Reihe von Themen-Parcours anzubieten, bei denen Besucher innerhalb der Dauerausstellung – die mehr oder weniger unverrückbar ist – auf bestimmte Aspekte hingewiesen werden, wie bei einer thematischen Sonderführung. Zum Auftakt der Reihe gibt es ab 5. September nun «Der zweite Blick: Spielarten der Liebe». Ein deutliches Signal, nach dem Motto «LGBTIQ first».


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Grenzüberschreitungen
Dafür hat María López-Fanjul y Díez del Corral mit ihrem Team fünf «Routen» zusammengestellt: «In Liebe und Krieg», «Männliche Künstler und Homosexualität», «Antike Kunst und aufgeklärtes Sammeln», «Heldinnen der Tugend» und «Grenzüberschreitungen». Die Informationen zu den LGBTIQ-Hintergründen der ausgewählten Objekte finden sich in einem kleinen Katalog, der gratis auf der Homepage des Museums zum Herunterladen bereitgestellt wird.

Die «Heilige Kümmernis», um 1520, Eichenholz, gefasst (Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Antje Voigt)

Die erste Route spürt «der Darstellung des heroischen Soldaten und den Grenzen zwischen männlicher Kühnheit und Bisexualität nach», die zweite Route befasst sich mit Werken, «die von Künstlern geschaffen wurden, die homosexuell waren oder zumindest dieser Gruppe nahestanden». Die dritte Route beschäftigt sich «mit männlichen Sammlern, die bekanntermassen homosexuell waren», die vierte Route «führt zu Darstellungen von weiblicher Intimität und erotischer Liebe unter Frauen». Die fünfte Route «setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit die Zuordnung zu einem Geschlecht sich immer aufrechterhalten lässt».

In der Eingangshalle des Bode Museum: Franz Tübbeckes «Friedrich II. der Große», Kopie nach einem Original von Johann Gottfried Schadow, 1904, Marmor Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Antje Voigt)

Das Projekt «Der zweite Blick» will grundsätzlich an Berlins Geschichte «als einem Ort der Offenheit und Toleranz» erinnern und daran, dass schon Friedrich der Grosse 1740 sagte, in Preussen solle «jeder nach seiner Façon selig werden». Laut Katalog sprach 1794 der preussische Staat intersexuellen Bürgern das Recht zu, ihr Geschlecht frei zu wählen und dementsprechend auch nach der für das gewählte Geschlecht geltenden Rechtsprechung behandelt zu werden. «Nur wenig später begannen konkrete Planungen für das erste Museum der Stadt, das den Grundstein für die heutigen Staatlichen Museen zu Berlin legte.»

Jeder soll nach seiner Façon selig werden

Wie tolerant und offen Besucher (und Politiker) sich zeigen werden, wenn sie beim «Zweiten Blick» plötzlich vorm «Apostel Johannes an der Brust Christi» von 1310 stehen, wird sich zeigen. Oder vorm geschlechtslosen «Adam und Eva als Liebespaar» von 1530.

Seite aus dem Katalog zu «Der zweite Blick: Spielarten der Liebe» (Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst)

Subtilität und Sprengkraft
Es wird zumindest spannend sein zu sehen, wann und ob die Kunstmuseen in Dresden und München mit ähnlichen Sammlungen wie das Bode Museum nachziehen und etwas Vergleichbares anbieten werden. Von den anderen Institutionen im Preussischen Kulturbesitz bzw. den Staatlichen Museen zu Berlin ganz zu schweigen – mit dem DHM als offensichtlichstem Nachzügler in der selbsterklärten «Regenbogenhauptstadt».

Erstes britisches LGBTIQ-Museum

Während María López-Fanjul y Díez del Corral die Hauptarbeit der Recherche auf sich genommen hat, wurde von ihr das Schwule Museum als Partnerinstitution herangezogen, um (laut Impressum) für «gendergerechte Sprache» im Katalog zu sorgen. Und natürlich macht das Logo des Schwulen Museums auf der Vorderseite des Katalogs subtil klar, worum es bei «Der zweite Blick: Spielarten der Liebe» geht.

Gerade in dieser Subtilität liegt die eigentliche Sprengkraft des Projekts. Man darf hoffen, dass das Offenlegen von lang verdeckten bzw. ignorierten Hintergründen möglichst viele nationale und internationale Besucher anregt, neu über Kunst und Geschichte nachzudenken, aber auch über Konzepte von Geschlecht und Sexualität. Und über Inklusivität.

 


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