Wie Tom of Finland zur Bundeswehr kommt
Die Ausstellung «Prinzip Held*» in Berlin überrascht mit queeren Schwerpunkten
Das Militärhistorische Museum in Berlin-Gatow zeigt mit «Prinzip Held*» eine Ausstellung, die «Heroisierungen und Heroismen» gegen den Strich bürstet – und mit einem Tom-of-Finland-Schwerpunkt sowie Emmanuel Macrons Brusthaar Diskussionen über (schwule) Männlichkeiten anstösst.
Das Museum in Berlin – im weit am Stadtrand gelegenen Bezirk Gatow – geniesst nicht die Aufmerksamkeit des grösseren und prominenteren Pendants in Dresden, wo das historische Gebäude von Daniel Liebeskind spektakulär neugestaltet wurde. Dort, in Dresden, sorgte ein junges Team von Kurator*innen rund um den Historiker Gorch Pieken dafür, dass die neue Dauerausstellung viele LGBTIQ-Aspekte aufgreift und das Thema Militärgeschichte so präsentiert wird, dass es gesellschaftlich auf vielen Ebenen anschlussfähig ist. Nachdem Pieken und sein Team 2018 die Ausstellung «Gewalt und Geschlecht» gezeigt hatten, wo Zuschreibungen zu vermeintlichem «weiblichen Frieden» und «männlichem Krieg» radikal hinterfragt wurden, wurde Pieken versetzt – nach Berlin.
Dort hat er nun ein neues Team um sich geschart, um eine Sonderausstellung inklusive Katalog zu realisieren, die sich auf vergleichbar radikale – und vor allem intelligent-gewitzte – Weise am Thema Held*innen abarbeitet und anhand von 44 Fallbeispielen fragt, was Gender (und Sexualität) jeweils mit der Heroisierung der entsprechenden Figuren zu tun hat. Das geht vom antiken Herkules über Alexander der Grosse (als Playmobil-Set gezeigt) weiter zu Katharina der Grossen bis zu Stefan George, Tom of Finland bzw. Freddie Mercury und Greta Thunberg.
«Helden – Heroisierungen – Heroismen» Zu jedem dieser Themenschwerpunkte gibt es einen Audiokommentar, der ausführliche Gedanken von Fachleuten liefert. Diese kommen vielfach aus dem Sonderforschungsbereich (SFB) 948 «Helden – Heroisierungen – Heroismen» der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Produziert wurde die Schau von der deutsch-schweizerischen Künstler*innengruppe Rimini Protokoll, die dafür sorgt, dass die Ausstellung teils sehr theatralisch wirkt, andererseits einen starken Pop-Appeal hat.
Der entsteht u.a. dadurch, dass die Ausstellung gestaltet wurde mit ausgemusterten Bundeswehrmöbeln der Serie «Olympia» von 1972, wobei die Farben Blau und Orange dominieren, die im lichtdurchfluteten Hangar 5 des Militärgeländes bestens zur Geltung kommen. (Das Museum ist auf dem ehemaligen Flugplatz der Royal Air Force in Gatow untergebracht, Eintritt ist frei.)
Gleicht zu Beginn wird gefragt: «Welches Geschlecht haben Helden?» Man erfährt, dass «heroisierbare Taten» lange vor allem «mit Mann-Sein, Körperkraft, Kampf, Durchsetzungsvermögen, Gewalt und Mut» zu tun hatten: «Was als heroisch gilt, gilt bis heute oft auch als männlich und umgekehrt» (MANNSCHAFT berichtete).
«Auf besonders maskuline, heterosexuelle Männer ausgerichtet» Die Heroisierung von Frauen wurde dagegen über Jahrhunderte ausgeschlossen wegen «ihres Geschlechts als auch wegen der gesellschaftlichen Bereiche ihrer Tätigkeit». Das hat(te) zur Folge, dass das Konzept Held* «auf besonders maskuline, heterosexuelle Männer ausgerichtet» ist. «Alle anderen sind ‹die erste Frau›, ‹der erste Homosexuelle› oder ‹die erste Transgender-Person›, die für herausragende Taten gefeiert werden», so die Infotafel zu «Maskulinität» gleich zu Beginn. Gegenüber von Katharina der Grossen, die es als einzige Frau in der Geschichte geschafft hat, den Zusatz «die Grosse» zu bekommen. Ein Zusatz, der ansonsten ausschliesslich Männern vorbehalten war.
Beim Umherlaufen fallen einem – wenn man ein halbwegs geübtes Auge hat – schnell viele queer-relevante Persönlichkeiten auf, wie etwa der Dichter Stefan George. Interessant ist, dass hier in den Audiokommentaren zwar davon gesprochen wird, wie der «Meister» eine Gruppe männlicher Jünglinge um sich scharte, aber das H-Wort wird nicht ausgesprochen. Auch bei Alexander dem Grossen wird auf Vieles eingegangen – warum zum Beispiel gerade junge Menschen ihn als Identifikationsfigur sehen –, aber die homoerotische Seite seines Liebeslebens wird nicht analysiert, die zuletzt über eine Netflix-Doku für viel Wirbel sorgte (MANNSCHAFT berichtete).
Explizit schwul wird es im Themenbereich «Provokation als Empowerment», wo aus dem blauen Metall-Spint Queen-Musik schallt und Tom-of-Finland-Männer auf Postern, Tassen, T-Shirts, Socken usw. gezeigt werden. Dazu erfährt man: «Ausgeprägte Muskel und ein dominant wirkendes Auftreten gelten als typisch männliche ‹Heldenmerkmale›. Sie können Handlungsspielräume eröffnen, die selbstbestärkend und befreiend wirken.»
«Lockmimikry auf der Suche nach Sexualpartnern» Und weiter: «Spätestens seit den 1950er Jahren gehörte ein durchtrainierter Männerkörper zum Selbstbild vieler schwuler Männer. Diese Verkörperung sekundärer Heldenmerkmale der griechischen Antike diente einem doppelten Effekt: als Schutzmimikry gegen die Infragestellung schwuler Männlichkeit und als Lockmimikry auf der Suche nach Sexualpartnern. Zum Vorbild und Symbol eines schwulen Körperideals wurden die halb-nackten Super-Männer des Zeichners Tom of Finland.»
In ihren Audiokommentar beschreiben Rebecca Heinrich und Vera Marstaller, wie der Popsänger Freddie Mercury in den 70er Jahren die Tom of Finland-Bildwelten bei Besuchen in München kennenlernte und anschliessend sein eigenes Äusseres diesem Ideal anpasste (u.a. mit dem Schnauzbart und entsprechenden Leder-Outfits). Hierbei sind – wie bei den anderen Audiostationen auch – die etwas weiter ausholenden Verweise faszinierend. Denn es wird der US-Schwimmer und Olympionike Mark Spitz erwähnt, der mit seinem Körper und Schnauzer dem Tom-of-Finland-Ideal sehr nahekam und von Calvin Klein zum Unterwäschemodell auserkoren wurde. Als er überlebensgross am Times Square auf einem Poster erschien, schwappte ein vormals nur in der schwulen Subkultur bekanntes Männerideal in den Mainstream über, so Heinrich und Marstaller.
Doppelte Form von «Empowerment» Sie beschreiben auch die Bedeutung der «heroischen» ToF-Männer in Zeiten von Aids und machen klar, dass solche Darstellungen in Zeiten von Massensterben und maximaler Ausgrenzung eine doppelte Form von «Empowerment» für viele Homosexuelle waren – und weiterhin sind.
Was man an den weiteren Themenschwerpunkten spannend findet (etwa die Diskussion darum, wieso jemand wie und für wen die Klimaaktivistin Greta Thunberg zum «Heldin» werden konnte), hängt von persönlichen Interessen ab. Erwähnenswert ist hier ein Spint mit gebügelten weissen Hemden – und einem Wahlkampffoto von Präsident Emmanuel Macron mit aufgeknöpftem Hemd, das seine behaarte Brust freigibt (MANNSCHAFT berichtete).
Zu «intim» und «privat»? Es wird beschrieben, dass viele Kommentartor*innen das 2022 als Grenzüberschreitung betrachteten und als «unpassend» einstuften, weil zu «intim» und «privat» für einen Staatspräsidenten. (Es wird auch erwähnt, dass etliche Kommentator*innen fragten, ob das eventuell ein Brusthaartoupet sei, weil man Macron auf sonstigen Strandfotos nie mit behaarter Brust gesehen habe.) Hier vergleichen die Kurator*innen Macrons Blickfreigabe auf die behaarte Brust mit Angela Merkels dekolletiertem Abendkleid, mit dem sie 2008 zur Eröffnung der Oper in Oslo kam.
Wieviel Dekolleté darf eine Kanzlerin zeigen?
«Wieviel Dekolleté darf eine Kanzlerin zeigen?» lauteten die Überschriften zur damals mächtigsten Frau der Welt. Auch bei Merkel wurde kritisiert, dieser Brustblick sei «zu intim». Aber während er bei Macron letztlich als Zeichen von Stärke interpretiert wurde (auch im Vergleich zur zugeknöpften Marine Le Pen als Kontrahentin), wurde er bei Merkel als Zeichen von «Weichheit» und damit «Schwäche» gedeutet.
Es sind Vergleiche und Diskussionen wie diese, die die Ausstellung «Prinzip Held*» so überaus lohnend machen. Es gibt einen 264-Seiten-Katalog zur Schau beim Wallstein Verlag, herausgegeben von Ralf von den Hoff und Gorch Pieken. Mit sehr viel weiterreichenden Texten und Analysen. Leider wird dieser nicht im Museum in Gatow verkauft. Ist aber über den Handel mühelos bestellbar.
Für alle Leder- und Fetisch-Fans, die planen, zu Folsom nach Berlin zu reisen (MANNSCHAFT berichtete), ist der Besuch der Ausstellung wegen Tom of Finland quasi obligatorisch. Für alle anderen, die Freude daran haben, normierende Geschichtsschreibung auf den Kopf zu stellen, ist die Schau auch dringend zu empfehlen. Sie läuft noch bis zum 3. November im Hagar 5. Einziger Haken: Es ist eine kleine Weltreise um hinzukommen.
Laut Grindr-Statistik war Henry Cavill für Nutzer*innen der Dating-App 2023 der «Hottest Man of the Year» (MANNSCHAFT berichtete).
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