Pastoraler Ungehorsam gegen Rom – «Wir sehen liebende Menschen»
Das Machtwort des Vatikan blende Teile der Wirklichkeit aus, so die Kritik
Nach dem kategorischen Nein des Vatikan zur Segnung homosexueller Partnerschaften geht ein Aufschrei durch die katholische Kirche. Theologen sehen in dem Proteststurm eine ganz neue Qualität. Einer zieht sogar Parallelen zur Französischen Revolution. Von Carolin Gißibl und Britta Schultejans, dpa
Katholische Pfarrer, die sich ganz offen gegen Rom stellen, ein Hashtag «#PastoralerUngehorsam», der sich in der so autoritär aufgestellten katholischen Kirche verbreitet: Das entschiedene Nein des Vatikan zur Segnung homosexueller Partnerschaften (MANNSCHAFT berichtete) hat die Diskussion darum nicht etwa erlöschen lassen, sondern in bislang nicht da gewesener Form angefacht.
«Es ist ein Machtwort», sagt Martin Kirschner, Professor für Theologie in Transformationsprozessen an der Katholischen Universität Eichstätt, über das Nein aus Rom. «Es ist der Versuch den Raum der Kirche zu besitzen und zu bestimmen, auch um offene Kommunikationsprozesse zu unterbinden.»
Und dieser Versuch sei ins Gegenteil umgeschlagen: «Jetzt kann man beobachten, wie eine solche Intervention das Gegenteil von dem erreicht, was sie angeblich bewirken will: Statt eine Debatte zu beenden, wird diese Debatte gerade losgetreten, und zwar mit voller Wucht», sagt Kirschner. «Ein Machtwort, das Teile der Wirklichkeit ausblendet und die Konflikte zu unterbinden sucht, untergräbt die eigene Autorität. Es macht das sichtbar, was aus der eigenen Position ausgeschlossen und verleugnet wird.»
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Online posten immer mehr Priester, dass sie die Vorgaben aus Rom falsch finden, sich nicht daran halten, dass sie «ungehorsam» sein wollen – ein eigentlich ganz unerhörtes Wort in der katholischen Kirche.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck meint, die kirchliche Lehre verlange «dringend eine erweiterte Sichtweise auf die menschliche Sexualität» (MANNSCHAFT berichtete). Die Erklärung der Glaubenskongregation habe viele Menschen mit einer homosexuellen Orientierung gekränkt und verletzt. Eine solche Position werde in der heutigen Zeit nicht mehr akzeptiert. Die Haltung der Gläubigen dürfe vom Vatikan nicht ignoriert werden.
Und Hunderte Kirchenleute wollen es Rom inzwischen schriftlich geben, dass sie da nicht mehr mitmachen wollen. Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose und der Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm, der sich vor zwei Jahren öffentlich als homosexuell outete, haben eine Unterschriften-Aktion gestartet. «Wir wollen uns nicht auf diese sehr verengte und veraltete Sicht von Sexualität fixieren, sondern wir sehen liebende Menschen», sagt Hose der Deutschen Presse-Agentur.
Knapp 2000 Menschen haben seinen Angaben zufolge inzwischen unterschrieben – die meisten von ihnen katholische Theologen, Priester, Ordensleute, Seelsorger, Pfarr- oder Gemeindereferenten. Bis Palmsonntag werde gesammelt – dann soll die Liste dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, und der Vorsitzenden des Forums «Sexualität und Partnerschaft», Birgit Mock, übergeben werden. Ein genauer Termin stehe noch nicht fest – am liebsten noch vor Ostern.
Es gibt einen Willen, sich über solche bizarren Äusserungen aus Rom hinwegzusetzen
«Die Begründung in dieser Entscheidung der Glaubenskongregation hat uns erschüttert: Diese geht von einem sehr überholten – inzwischen antiquierten – Naturrechtsbegriff aus», sagt Hose. «Auf solch einer Basis, die längst naturwissenschaftlich überholt ist, kirchliche Entscheidungen und Verlautbarungen zu formulieren, halten wir für unverantwortlich.» Die Resonanz sei überwältigend. «Die grosse Anzahl, die uns selbst überrascht hat, zeigt doch, dass es einen Willen gibt, sich über solche bizarren Äusserungen aus Rom auch im konkreten, im pastoralen Alltag, hinwegzusetzen», sagt der Hochschulpfarrer.
Und genau darin sehen Theologen und Kirchenreformer eine neue Qualität im Protest gegen Rom. Denn der revolutionäre Wind weht nicht mehr nur bei Reformbewegungen wie «Wir sind Kirche» oder «Maria 2.0», bei kirchlichen Vereinen und nicht einmal mehr nur bei den Mitgliedern der Kirchengemeinden, sondern ist jetzt angekommen bei den Geistlichen, die keine Scheu haben, offen ihre Meinung zu sagen. «Dieser Geist wächst», sagt Daniel Bogner, Professor für theologische Ethik an der Universität Freiburg in der Schweiz.
«Das ist eine ganz neue Ebene», sagt der Sprecher von «Wir sind Kirche», Christian Weisner. «Sie trauen sich.» Das sei auch Papst Franziskus zu verdanken und einem offeneren Debattenklima, das dieser ermögliche. Unter Papst Benedikt XVI., da sind sich Weisner und Bogner sicher, hätte es das wohl nicht gegeben.
«Im Moment gibt es ein Gelegenheitsfenster, das Hoffnung macht, dass in diesem vermeintlich starren Block vielleicht doch eine Dynamik und eine Veränderung möglich ist, die man so nicht vermutet hätte», sagt Bogner. «Die Katholiken, auch die katholischen Priester, werden sich bewusst, dass das Ganze auf dem Spiel steht, wenn man es nicht eigenverantwortlich mehr in die Hand nimmt als bisher. Denn die Kirche in ihrer derzeitigen Form steht ihrer eigentlichen Botschaft mehr und mehr im Weg.»
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Die Missbrauchskrise der vergangenen Jahre habe «das instabile Gebilde der katholischen Kirche derart in die Sackgasse und die Krise gebracht» und die Hoffnung auf Reformen, die von der Kirchenspitze ausgehen, «erweist sich zunehmend als vergeblich».
Bogner sieht in den Reaktionen auf das kategorische Nein der Glaubenskongregation zu Segnungen schwuler und lesbischer Beziehungen etwas, das er einen «dritten Weg» nennt, einen Weg zwischen Reformen von oben und dem ewigen, für viele Gläubige so frustrierenden Weiter so: «Man muss die Sache selbst in die Hand nehmen.» Auf die Frage, ob ungehorsame Priester mit kirchenrechtlichen Konsequenzen rechnen müssten, sagt er diesen bemerkenswerten Satz: «Auch das Ancien Régime vor der Französischen Revolution hatte sein Recht.»
Das sei aber nach einem sozialen Kampf durch gewichtigeres Recht, Menschenrechte, ersetzt worden. «Dieser Prozess steht der Kirche in Teilen noch bevor.»
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