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Ohne Kleber und Traktoren: Sind wir Queers zu nett?

Es braucht einen neuen Aktivismus, meint unser Autor

Traktoren
Hannover: Traktoren parken vor dem Neuen Rathaus (Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

In Deutschland blockieren wütende Landwirt*innen Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte, um ihre Forderungen durchzusetzen – teils mit Erfolg. Sollten sich LGBTIQ-Aktivist*innen ein Beispiel daran nehmen? Dazu der Samstagskommentar*.

Blockierte Autobahn-Auffahrten, Sternfahrten, Kundgebungen: Die Bauernproteste in Deutschland gehen weiter. Am Mittwoch etwa gab es Grosskundgebungen mit zahlreichen Traktoren etwa in Dresden und Augsburg. In Bremerhaven blockierten Landwirt*innen laut Hafengesellschaft Zugangsstrassen und damit den Betrieb des Containerterminals. An mehreren Orten in Deutschland versperrten Bäuer*innen auch wieder zeitweise Auffahrten zu Autobahnen.

Mal dahingestellt, ob das in der Form gerechtfertigt ist: Der Protest dürfte an kaum jemandem in Deutschland vorbeigehen. Die deutsche Bundesregierung ist eingeknickt und hat bereits geplante Kürzungen der Agrarsubventionen teilweise zurückgenommen. Man sieht: Die Proteste wirken.

Aus LGBTIQ-Sicht gab und gibt es immer wieder reichlich Grund zum Demonstrieren. Über Jahre verhinderte die CDU/CSU, dass auch schwule und lesbische Paare heiraten dürfen (soviel zum Thema «Verbotspartei»).Und rückblickend frage ich mich: Haben sich jemals Aktivist*innen an Standesbeamt*innen geklebt oder gekettet, um das Recht auf Eheschliessung einzufordern? Wurden katholische Kirchen besetzt, wo queere Heiratswillige als Menschen zweiter Klasse behandelt werden? Erst kürzlich kam die Wende: Der Vatikan erlaubt den Segen für queere Paare (MANNSCHAFT berichtete). Motorräder und ein Absperrgitter vor dem Kölner Dom waren ja vorher schon segenswürdig.


Oder nehmen wir das Selbstbestimmungsgesetz, das Teil des versprochenen queerpolitischen (und leider gehörig vermurksten) Aufbruchs der Ampelregierung sein sollte, wenn nicht das Projekt schlechthin.


Wenn man sich ungesehen fühlt: Einsamkeit in der LGBTIQ-Community (MANNSCHAFT+)


Kein verantwortliches Regierungsmitglied wurde ob der unsäglichen Wurschtelei der Koalition von aufgebrachten queeren Aktivist*innen an der Rückkehr aus dem Urlaub gehindert wie kürzlich Wirtschaftsminister Robert Habeck. Nicht Lisa Paus (zuständig für Familie) und nicht Marco Buschmann (Justiz). Aus deren Ministerien stammt der Referentenentwurf «eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften». Heftig umstritten ist darin die Regelung zum Hausrecht und zum Zugang zu geschützten Räumlichkeiten wie Frauen-Saunen oder Frauenhäusern. U.a. die deutsche Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman kritisierte, bei der Regelung zum Hausrecht werde im Gesetzesentwurf «ungewöhnlich ausschweifend auf rechtspopulistische Argumente eingegangen» (MANNSCHAFT berichtete).


Um es klar zu sagen: Eine solch mob-hafte Belagerung und Bedrohung wie bei Minister Habeck ist durch nichts zu rechtfertigen und soll hier gewiss nicht empfohlen werden. Justizminister Buschmann ist man übrigens durchaus schon einmal sehr nahe gekommen, als im letzten Frühjahr sein Haus in Gelsenkirchen beschmiert und die Scheibe einer Tür eingeschlagen wurde. Dahinter sollen damals queere Aktivist*innen gesteckt haben (MANNSCHAFT berichtete). Sowas ist nicht in Ordnung. Die Privatsphäre, das Wohnhaus von Regierungsmitgliedern und Amtsträger*innen, muss tabu sein und bleiben.

Dort LGBTIQ-Akvist*innen, hier Landwirte. Äpfel und Birnen? Kann man nicht vergleichen? Kann man schon, denn trans Personen wurden bisher immer wieder Steine in den Weg gelegt, auch für sie geht es ums Überleben. Und sie werden immer wieder vertröstet.

So nachvollziehbar die Wut und der Protest der Landwirt*innen vielleicht ist: Wenn jede Gruppe, die sich benachteiligt fühlt, Autobahnzufahren blockieren und das Land halblahm legen würde, wäre es das Ende einer funktionierenden Republik. Dass es hier nicht nur um suventionierten Agrardiesel geht, sondern eine viel grössere Unzufriedenheit und Wut dahinter steckt, steht auf einem anderen Blatt. Problematisch vor allem, dass die Proteste von rechtsgerichteten Gruppen unterwandert wurden: Der Soziologe Matthias Quent riet den bäuerlichen Demonstrant*innen kürzlich im Deutschlandfunk, sich aktiv abzugrenzen – zum Beispiel durch Regenbogenflaggen oder mit Plakaten mit der Aufschrift «kein Bock auf Nazis» oder andere Bekenntnisse, «vor denen sich Rechtsextreme mit grosser Sicherheit nicht fotografiert und dargestellt sehen wollen». Man darf gespannt sein, ob diese Idee Schule macht.

Die Frage ist angesichts der aktuellen Proteste vor allem, ob man mit dem einfachen Beklagen der Ist-Zustandes, dem Initiieren von Petitionen oder Verfassen teils larmoyanter Social-Media-Beiträge noch irgendetwas, vor allem: irgendjemanden erreicht. Es gab Zeiten, da haben beispielsweise Atomkraftgegner*innen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz Kernkraftwerke besetzt. Das war spektakulär.

Wer sich anschaut, mit welchen Mitteln die AfD oder die rechtsextreme Kleinpartei Der III. Weg hierzulande arbeitet, die sich an die demonstrierende Bauernschaft heranwanzt, der sollte erkennen: Der Protest und das Einklagen von Rechten muss lauter werden, auf jeden Fall kreativer. Aktuell ist deutscher LGBTIQ-Aktivismus, so fürchte ich, leider zu nett. Vor allem zu unkreativ. Und er muss raus aus dem Netz, er muss auf die Strasse. Nicht erst zum Christopher Street Day.


Billie Eilish hat sich geoutet – und sagt: «War das nicht offensichtlich?»


Dabei geht es gar nicht mehr so sehr um einzelne Gesetzesvorhaben. Die Demokratie ist in Gefahr. Das Rechercheteam von Correctiv hat gerade ein Geheimtreffen von AfD-Mitgliedern u.a. mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner aufgedeckt, auch zwei CDU-Leute waren zugegen, Mitglieder der Werteunion. Ihr Plan: Menschen sollen aus Deutschland deportiert werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – oder aus Sicht von Sellner nicht genügend «assimiliert» sind – selbst wenn sie deutsche Staatsbürger*innen sind.

Man muss sich überhaupt keine Illusionen machen: Der nächste Schritt würde Menschen ins Visier nehmen, die die vermeintlich falsche sexuelle Orientierung oder eine unerwünschte geschlechtliche Identität haben. Dann wären die mühsam erkämpften Menschenrechte für LGBTIQ schon bald wieder Vergangenheit.


* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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