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Österreich will Ermordung von Homosexuellen in NS-Zeit aufarbeiten

Die Österreichische Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) macht das Thema zum Jahresschwerpunkt

Nationalsozialismus
Eine Inschrift zum Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen während des Nationalsozialismus (Foto: picture alliance / dpa)

In Österreichs Schulen wird die Ermordung von homosexuellen Menschen während der NS-Zeit kaum oder nicht thematisiert. Dies soll sich nun ändern.

Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit und in der Erinnerungskultur gibt es im österreichischen Bildungssystem eine Lücke. So wird in Österreichs Schulen beim Thema Nationalsozialismus meist gar nicht oder nur kurz auf die Verfolgung und Ermordung von homosexuellen Menschen eingegangen. Dies soll sich nun ändern. Denn die Österreichische Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) macht im Programm erinnern.at erstmals 2023 einen Jahres­schwerpunkt zum Thema Verfolgung und Ermordung homosexueller Menschen während der NS-Zeit.

Die zum Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gehörende Agentur OeAD gibt es seit mehr als 60 Jahren. Die Einrichtung beschäftigt über 350 Mitarbeiter und verfügte zuletzt über ein Jahresbudget von 92 Millionen Euro. Sie berät, fördert und vernetzt Menschen und Institutionen aus Bildung, Wissenschaft und Kultur. Zu den Schwerpunkten von OeAD gehört das Programm erinnern.at. Hier werden Seminare, Ausstellungen für Schulen und Fachtagungen über den Nationalsozialismus und Holocaust angeboten. Der Schwerpunkt in diesem Jahr wird sich mit der Verfolgung und Ermordung homosexueller Menschen beschäftigen. Dabei steht die schulische Vermittlung dieses Themas im Vordergrund.

Auch sonst setzt sich die österreichische Gesellschaft mehr mit dem Leid und Unrecht, das homosexuellen Menschen angetan wurde, auseinander. Nach jahrelangen Planungen soll im Herbst 2023 in Wien erstmals ein Denkmal für die während der NS-Zeit in Österreich verfolgten und ermordeten homosexuellen Menschen eingeweiht werden. Das Denkmal soll im Resselpark, direkt am Karlsplatz – einem der zentralen und grossen Plätze in der Wiener Innenstadt – stehen.


Der Jahresschwerpunkt bei der schulischen Vermittlung beginnt am 2. Februar 2023 mit einem Webinar und einer Lesung für Lehrkräfte. Die Veranstaltung mit dem Titel «Verdammt starke Liebe» wird von der Agentur OeAD und QWIEN – dem Zentrum für queere Geschichte Wien – organisiert. Referent ist der international bekannte Historiker, Aktivist und Jugendbuch-Autor Lutz van Dijk. Er gehört zu den Initiator*innen einer Petition für eine Gedenkstunde für die homosexuellen Opfer der NS-Zeit im Deutschen Bundestag, die am 27. Jänner 2023 stattfand.


«Der Weg für queere Sichtbarkeit seit Ende der Naziherrschaft war lang». Im Deutschen Bundestag fand ein Gedenken an queere NS-Opfer statt.


Bei dem Webinar in Österreich wird Lutz van Dijik aus seinem Jugendbuch «Verdammt starke Liebe» lesen. Das Buch handelt von einer Liebesbeziehung zwischen einem polnischen Jugendlichen und einem nur wenig älteren deutschen Wehrmachtssoldaten während des Zweiten Weltkriegs. Dabei handelt es sich um eine wahre Geschichte. Nach der Lesung wird der Autor, der viele Jahre als Lehrer gearbeitet hat, darüber sprechen, wie das Buch im Unterricht eingesetzt werden kann. Er wird auch darauf eingehen, wie die Themen sexuelle Vielfalt und Diskriminierung behandelt werden können. Ein weiterer Programmpunkt des Webinars ist, dass Hannes Sulzenbacher, Co-Leiter von QWIEN, mehr über die Verfolgung von homosexuellen Menschen in Österreich während der NS-Zeit informieren wird.


In Österreich wurde Homosexualität schon lange vor der NS-Zeit kriminalisiert. Die Grundlage dafür bildete der Strafrechts-Paragraph 129, der 1852 in der österreichisch-ungarischen Monarchie eingeführt wurde. Dieser Paragraph galt beinahe unverändert bis 1971. Nach dem sogenannten «Anschluss» Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 begann «eine bis dahin in Österreich beispiellose Jagd auf Homosexuelle, die sie vor Gericht, in die Gefängnisse, in die Konzentrations­lager, auf den Operationstisch oder in die Psychiatrie brachte und oftmals mit ihrem Tod endete», heisst es auf der Homepage erinnern.at. In Österreich wurde sowohl männliche als auch weibliche Homosexualität bestraft.

Die Kriminalisierung und Verfolgung ging auch nach der Befreiung Österreichs 1945 weiter. Gleichgeschlechtlich liebende Frauen und Männer wurden nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt, sondern sie wurden weiterhin jahrzehntelang vor Gericht gestellt und zu Gefängnis­strafen verurteilt. Zuständig für die Verfolgung war die Kriminalpolizei.

Höhepunkt der Aktivitäten zum Jahresschwerpunkt bei der schulischen Vermittlung wird ein Zentrales Seminar sein. Dieses wird vom 16. bis 18. November 2023 mit der Unterstützung von QWIEN in Wien abgehalten. Darüber hinaus sind das ganze Jahr hindurch verschiedene Veranstaltungen und Bildungsangebote geplant. Weiters wird an einer kommentierten Link- und Materialsammlung mit Beispielen aus dem deutschsprachigen Raum zur Vermittlung des Themas im Unterricht und anderen Bildungskontexten gearbeitet.

Franz Doms ist eines der vergessenen Opfer der NS-Justiz. Wie tausende andere schwule Männer wurde er verfolgt, inhaftiert und schliesslich zum Tode verurteilt. 1944 starb er im Hinrichtungsraum des Landesgerichts Wien. An ihn erinnert das Buch «Schwul unterm Hakenkreuz» (MANNSCHAFT berichtete).


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