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«Mutt» und «Arrête avec tes mensonges» bei Pink Apple geehrt

Das sind die Preisträger*innen der 26. Ausgabe

Pink Apple
Foto: Szene aus «Bodies, Bodies, Bodies»

Das Pink Apple Filmfestival ist am Sonntag nach drei Tagen Programm in Frauenfeld erfolgreich zu Ende gegangen.

Von Sarah Stutte

Nach dem 25-jährigen Jubiläum im letzten Jahr und dem Gewinn des Anerkennungspreises der Stadt Frauenfeld 2022 startete das 26. Pink Apple mit frischem Schwung in die diesjährige Festivalausgabe. Neben vielen queeren Filmen gab es auch diesmal wieder ein umfangreiches Rahmenprogramm. Insgesamt besuchten rund 10’000 Menschen die knapp 130 Veranstaltungen in Zürich und Frauenfeld und zeigten damit – so die Veranstalter – einmal mehr, wie wichtig das Pink Apple als queerer Begegnungsort ist.

Der «Golden Apple» Award ging dieses Jahr an den argentinischen Drehbuchautor und Filmemacher Marco Berger* (siehe unten). Den neuen, internationalen Wettbewerb gewann der Spielfilm «Mutt», der die Geschichte einer trans Person erzählt; den Kurzfilmpreis erhielt der nigerianische Beitrag «Flores del otro patio» von Jorge Cadena. Die Publikumspreise sicherten sich dafür der Spielfilm «Arrête avec tes mensonges» (nach dem Roman: «Hör auf zu lügen») und der Dokumentarfilm «Wem gehört der Himmel».


«Blue Jean»
In Georgia Oakleys stimmigem Spielfilmdebüt spielt eine überzeugende Rosy McEwen die lesbische Lehrerin Jean, die im homophoben Grossbritannien der Thatcher-Zeit ein Doppelleben führt. Einerseits führt sie eine heimliche Beziehung zur toughen Viv (ebenfalls grossartig: Kerrie Hayes). Unter der Woche mimt sie jedoch die alleinstehende Sportlehrerin an einer weiterführenden Schule, denn hier darf 1988 noch niemand die Wahrheit erfahren. Grund dafür ist das zu diesem Zeitpunkt gerade verabschiedete Gesetz «Clause 28». Dieses verbietet lokalen Behörden die Förderung von Homosexualität. Dann fliegt jedoch Jeans zunehmend prekäres Versteckspiel auf, als eine ihrer Schülerinnen sie in einer Lesbenbar entdeckt. «Blue Jean» fängt jene Zeit mit fast unheimlicher Genauigkeit ein, ob durch die Körnigkeit der Aufnahmen oder die schwungvollen Elektropop-Hymnen.
Kinostart Deutschland: ab 28. September)


«Bodies, Bodies, Bodies»
In Halina Reijns zynischer Horrorkomödie feiert sich eine Clique hochneurotischer, smartphoneabhängiger Gen Z-Kids erst bis zum Absturz und danach in den sicheren Tod. Die Freunde haben sich zu einer Hausparty versammelt, zu der Sophie (Amandla Sternberg «The Hate U Give»), die dort mit ihrer neuen Freundin Bee auftaucht, eigentlich gar nicht eingeladen war. Das ergibt gewisse Spannungen zwischen ihr, dem Gastgeber David, dessen Freundin Emma, Sophies ehrgeiziger Ex Jordan und der Podcast-Königin Alice mitsamt deren älterem Freund Greg. Als ein Hurrikan die Lichter (und das WLAN) ausschaltet und jemand mit durchgeschnittener Kehle am Fenster auftaucht, wird aus der Zicken-Veranstaltung plötzlich ein blutiger Whodunit. Selbstredend endet die amüsant-nihilistische Suche nach dem Mörder oder der Mörderin in einem konsequent bitterbösen Finale.
Als Streaming verfügbar, bspw. YouTube

«All the Beauty and the Bloodshed»
Die bisexuelle Fotografin Nan Goldin war jahrelang abhängig vom Schmerzmittel Oxycontin, das ihr nach einer Operation verschrieben worden war. Für ihr eigenes Schicksal und das von Millionen anderer US-Amerikaner macht Goldin die schwerreiche Familie Sackler verantwortlich. Dessen Pharmaunternehmen Purdue stellte das hochgradig süchtig machende Medikament her. Zur Imagepflege reinvestierten die Sacklers das damit gemachte Geld in die Kunst. Jahrzehntelang zierten Tafeln in Museen, Galerien und Hörsälen weltweit ihren Namen. Nan Goldin hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, diese perfide Verbindung von Profitgier und Mäzenatentum mit Protestaktionen zu unterbinden.


Laura Poitras‘ Dokumentation zeigt Goldins Wirken in der New Yorker Kunstszene genauso wie ihr Engagement während der Aids-Epidemie in den 80er-Jahren. Ein intimes und kämpferisches Porträt – voller schmerzhaft-schöner Momente und mit dem unbedingten Willen, sich das Leben und die Kunst zurückzuerobern.
Kinostart Deutschland: 25. Mai, Schweiz: bereits im Kino

«Something you said last Night»
Familie ist – besonders im queeren Umfeld – oft ein schwieriges Thema. Komplizierte Gefühle und Beziehungen, Gedanken zwischen Loslösen und Vertrautheit, stehen in Konflikt mit der Sehnsucht nach Liebe und Verständnis. Diejenigen, die dich am besten kennen, können dich am meisten verletzen, vor allem wenn Selbsterkenntnis und Selbstliebe für das eigene Überleben unabdingbar sind. Diese Themen klingen in «Something You Said Last Night», dem Spielfilmdebüt der kanadisch-italienischen trans Filmemacherin Luis De Filippis, leise an.

Der Film, der lose von ihrer eigenen Familie inspiriert ist, erzählt von der jungen Renata, die während eines Familienausflugs auf engstem Raum zwischen Bindung und Entfremdung schwankt. Das Schöne an dieser Geschichte, die Tiefe im Alltäglichen findet, ist dabei, wie natürlich und liebevoll hier eine Familie miteinander umgeht, in der die Transsexualität der Tochter nie zum Problemthema gemacht, sondern einfach als selbstverständlich betrachtet wird.
Kinostart Schweiz: 6. Juli

«All the Colours of the World are between Black and White»
Im wunderschönen Regiedebüt des Nigerianers Babatunde Apalowo lernen sich Bawa und Bambino in einem Wettbüro in Lagos kennen, weil der eine den anderen fotografiert. Als sich die anfängliche Freundschaft allmählich in etwas Tieferes verwandelt, hadert Bambino mit diesen Gefühlen und versucht, sie zu verleugnen. Ruhig und poetisch erzählt, spielt der Film vor dem erschreckenden Hintergrund, dass Homosexualität in Nigeria immer noch illegal ist und in einigen Teilen des Landes darauf sogar noch die Todesstrafe steht. Das Verstecken der eigenen Empfindungen ist deshalb hier an der Tagesordnung.

Themen wie religiös-traditionalistische Normen oder die Gesetzgebung in punkto Homosexualität werden aber nur am Rande erörtert. Zwar ist die Einschränkung und unmittelbare Gefahr von Aussen stets spürbar, der Fokus liegt aber auf der eigenen Unsicherheit der beiden Männer, die ihren Platz in der Welt suchen. Der Film gewann den Teddy Award an der diesjährigen Berlinale und wurde am Pink Apple mit einer Special Mention der Internationalen Jury versehen.

«Winter Boy»
Der 17-jährige Gymnasiast Lucas geniesst sein Leben kurz vor dem Erwachsenwerden. Er führt eine zwanglose Sexbeziehung mit seinem Freund Oscar und plant, nach dem Abschluss zu seinem älteren Bruder Quentin nach Paris zu ziehen. Als jedoch sein Vater bei einem Autounfall stirbt, der auch ein Selbstmord gewesen sein könnte, wirft das den Teenager aus der Bahn. Weder die innige Bindung zu seiner Mutter Isabelle (Juliette Binoche) kann daraufhin seinen Schmerz heilen, noch die Aussicht auf eine Auszeit in Paris. Als sich Lucas dort in Quentins schwulen Mitbewohner Lillo verliebt und dieser seine Gefühle nicht erwidert, greift er zu drastischen Mitteln.

Regisseur Christophe Honoré – der eine kurze Rolle als Lucas‘ Vater spielt – erzählt in «Winter Boy» von der Tragik des Lebens und wie man sich darin wieder selbst finden kann. Ein Thema, auf das sich Honoré in vielen seiner intimen Dramen konzentriert. Hier wirkt das aber irgendwie bewegender, persönlicher und nahbarer, was nicht zuletzt auch am grossartigen Schauspiel des Newcomers Paul Kircher liegt.
läuft derzeit in deutschen Kinos

Der «Golden Apple» Award
Neben einer neuen, internationalen Wettbewerbskategorie und Jury gab es auch einen neuen Namen für den bisherigen Pink Apple Festival Award, den Ehrenpreis des Festivals, der jährlich für Verdienste im queeren Filmschaffen verliehen wird. Nun nennt sich dieser «Golden Apple» und  wurde dem argentinischen Regisseur und Drehbuchautor Marco Berger überreicht. Dieser gilt als Meister im filmischen Einfangen von Begierde und Lust unter Männern. Der 197 -geborene Berger zeigt seine Perspektive auf die argentinische Gesellschaft und deren Umgang mit Machismo, toxischer Männlichkeit, sexueller Unterdrückung sowie die vielschichtigen und komplexen Formen sexueller Orientierung.

Ihn fasziniert, wie die männliche Sexualität funktioniert und wie klar die Grenzen zwischen homo-, bi- und heterosexuell gezogen werden können (oder eben nicht). Er gilt nicht nur als einer der wichtigsten Vertreter:innen des argentinischen Queer Cinema, sondern sollte auch als eine herausragende Stimme des lateinamerikanischen Kinos verstanden werden. Das Festival ehrte den Filmemacher zudem mit einer Reprise seiner Werke.


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