«Viele Leute tun mutige Dinge: Man muss nur Drag­shows besuchen»

Interview mit dem scheuen Social Media Star Matt Bernstein

Matt Bernstein (Bild: zVg)
Matt Bernstein (Bild: zVg)

Matt Bernstein ist vielen Queers ein Begriff: Selbst wenn man ihm nicht direkt folgt, ist man sehr wahrscheinlich trotzdem schon auf ihn aufmerksam geworden. Dank seinen grafisch ansprechenden, auf den Punkt gebrachten Posts erreicht er bereits 1,5 Millionen Follower*innen. MANNSCHAFT+ traf ihn in Zürich.

Der amerikanische Onlineaktivist Matt Bernstein besucht vor seinem Auftritt die Räumlichkeiten des Checkpoints Zürich. Dieses vom Checkpoint selbst organisierte und vom Verein Milchjugend ermöglichte Podium ist bereits das zweite innerhalb von wenigen Tagen. Der erste Event war in Kürze ausverkauft, der zweite beinahe auch.

Ein paar Stunden bevor Matt auf die Bühne gerufen wird, treffe ich ihn zum Gespräch. Er wirkt überraschend scheu und introvertiert. Doch nicht nur ihm fällt es schwer, den Augenkontakt zu halten: Seine fabulös hergerichteten Fingernägel lenken mich immer wieder ab.

Matt, was macht es mit dir, an ein Schweizer Podium eingeladen zu werden? Es fühlt sich surreal an. Einmal wurde ich zwar von Pink News nach London eingeladen, das war sozusagen mein erster internationaler Auftritt. So oft reise ich also gar nicht – ich tue es auch nicht sonderlich gerne, lieber bin ich allein zuhause.

Dies ist also ein relativ grosses Abenteuer. Hier in Zürich kommt noch dazu, dass English gar nicht die Muttersprache der Einwohner*innen ist; das macht die Tatsache, dass Leute meinen Content schätzen, umso eigenartiger.

Stellst du Unterschiede fest zwischen der queeren Community hier und jener in den USA? Im Gegenteil, es gibt so viele Parallelen. Schlussendlich sind es Menschen, die zusammengefunden haben, weil sie einander brauchen. Die Jugendlichen der Milchjugend beispielsweise haben mich an mein Gymnasium erinnert, an mich und andere, die damals schon geoutet waren.

Du fühlst dich als Gruppe in der breiteren Gesellschaft nicht wirklich willkommen und hältst deshalb zusammen. Weil du spürst, dass du an dem Ort den queeren Teil in dir nicht opfern musst und dich dort niemand ändern will.

 Wie findest du’s denn allgemein, auf einer Bühne zu stehen? Ich bin eine introvertierte Person und versuche möglichst gut zu verdrängen, wie mich andere wahrnehmen. Ich sehe mich auch nicht als Autorität mit einer besonders wichtigen Meinung . . . Ich bin einfach eine weitere Person mit einer weiteren Stimme auf einer weiteren Plattform.

Was glaubst du, weshalb du erfolgreicher bist als viele andere Aktivist*innen? Erstmal muss ich vorausschicken, dass ich mich nicht unbedingt als Aktivist, sondern eher als Content Creator sehe, der politische Dinge kommentiert. Und dann müsste man wohl die Follower fragen, weshalb sie mir folgen . . .

Du hast dir bestimmt schon die Frage gestellt. Hm, ich könnte eine Antwort versuchen. Erstmal glaube ich, es geht zum grossen Teil darum, das Medium zu beherrschen. Social Media ist eine Art Spielplatz, und wenn du die Spielregeln kennst, wirst du viele Leute erreichen. Ich bin nämlich weder besonders gescheit, noch glaube ich fähig zu sein, ein Buch zu schreiben.

Ich mag es einfach, Bildungscontent zu kreieren – zu Geschichte, Politik oder Popkultur – und gebe mir Mühe, diesen mit Humor rüberzubringen. Ausserdem versuche ich immer, als Mensch spürbar zu sein und eine menschliche Perspektive reinzubringen, da die sozialen Medien immer mehr in eine entmenschlichte Richtung gehen, die alles auf eine öffentliche Persona oder einen Brand reduziert.

Weshalb magst du es eigentlich nicht, Aktivist genannt zu werden? Wäre dir «internet celebrity» lieber, wie du auf Wikipedia definierst wirst? Ohje, ich vergesse manchmal, dass ich eine Wikipedia-Seite habe. Eigentlich weiss ich es nur, weil ein Typ, den ich datete, meinen zweiten Vornamen kannte, ohne dass ich ihn je genannt hätte (lacht).

Spass beiseite, ich habe einfach nicht das Gefühl, der Bezeichnung gewachsen zu sein. Ich kenne echte Aktivist*innen, das sind Leute, die physisch etwas auf die Beine stellen: Demos oder Spendenaktionen zum Beispiel. Oft eine ziemlich undankbare Sache.

Ich hingegen kriege viel Lob und werde gefeiert. Was ich damit sagen will, ist, dass ich das Bewusstsein nicht verlieren will darüber, wie privilegiert ich bin. Und wie seicht meine Arbeit und dieser Zirkus im Vergleich ist. Von dem her passt die Bezeichnung «internet celebrity» gar nicht schlecht.

Matt Bernstein

… wurde 1998 im US-Bundesstaat New Jersey geboren und studierte Marketing und Fotografie. 2016 kreierte er auf Instagram einen Fotografie-Account, auf dem er sich selbst ablichtete – typischerweise mit perfektem Make-up und politischen Sprüchen auf seiner Haut. Make-up-Art bezeichnet er immer noch als seine Lieblingskunst.

Mittlerweile lebt Matt in New York und ist so etwas wie ein queerfeministischer Influencer geworden, obwohl er sich lieber als Content Creator bezeichnet. Sein Ziel ist es, sein Interesse für Geschichte, Politik und Popkultur so zu verpacken, dass es auch andere erreicht. – Instagram: @mattxiv

Ich finde deine Arbeit nicht seicht oder unbedeutend, sondern sehr mutig – du brichst mit traditioneller Männlichkeit und exponierst dich dabei. Das können nicht alle Männer. Dankeschön. Viele Leute tun mutige Dinge, man muss nur eine lokale Dragshow besuchen. Ich kriege einfach sehr viel Anerkennung und Liebe und denke mir dabei: Sorgt dafür, dass ihr diese Liebe auch anderen Mitgliedern der Community gebt, vor allem auch jenen, die weniger Privilegien haben als ich.

Als ich meinen Podcast gestartet habe, wurde ich etwas dazu gedrängt, Berühmtheiten einzuladen, um mehr Klicks zu generieren. Stattdessen versuche ich jetzt bewusst, vor allem Leute einzuladen, die sonst eher nicht so im Rampenlicht stehen und trotzdem etwas Spannendes zu erzählen haben.

Du stehst einerseits für soziale Gerechtigkeit ein – ich nehme an, das inkludiert Body Positivity – präsentierst aber auch hin und wieder deinen trainierten Körper. Ist das kein Widerspruch? Das finde ich ein komplexes Thema. Ich bin mir durchaus bewusst, dass mir Leute eher folgen, weil ich schlank und weiss bin. Das meinte ich auch mit den Privilegien vorhin.

Ich versuche, absurde Körperideale anzuprangern und zu hinterfragen, und das gilt vor allem auch für die Gay Community. Aber die Tatsache, dass ich mir solcher Mechanismen bewusst bin, schützt mich nicht davor, selbst davon beeinflusst zu sein. Ausserdem bin ich schlussendlich auch einfach ein 25-jähriger schwuler Mann, der hofft, dass ab und zu ein süsser Junge in seine DMs slidet (lacht).

Wie gehst du persönlich mit Hassrede um? Das hat bei mir mittlerweile ein solches Ausmass angenommen, dass einzelne Nachrichten nichts mehr bedeuten. Wenn mich wieder einmal jemand Schwuchtel nennt oder schreibt, ich solle mich umbringen, denke ich jeweils: Was auch immer, dir auch einen schönen Tag.

Ausserdem hat so vieles so wenig mit der Realität zu tun, dass es mir das Gefühl gibt, dass diese Leute gar nicht mich meinen, sondern eine Projektionsfläche. Sie erfinden jemanden, um das fühlen und loswerden zu können, was sie eben fühlen oder loswerden. Und das ist ihre Sache, nicht meine.

Wahrscheinlich ist es nicht einfach, das Negative zu ignorieren, ohne sich auch dem Positiven zu verschliessen. Ich glaube, das gelingt mir ganz gut. Besonders wenn ich jemandem physisch begegne, berührt es mich jedesmal. Kürzlich habe ich einen Post verfasst, in dem ich mich als Jude für einen Waffenstillstand ausspreche, und ein junger Araber kam im Fitnessstudio auf mich zu und bedankte sich dafür. Das war ein besonderer Moment.

Reden wir über den besagten Post, der hohe Wellen geschlagen hat. Was war die Motivation dafür? Es fühlte sich einfach komisch an, über irgendwas anderes zu reden, weil es eine Zeit lang ständig in unseren Feeds war und ich persönlich an nichts anderes denken konnte. Ausserdem begannen die Anfeindungen gegen mich, weil ich mich mehrmals öffentlich als Jude bezeichnete, noch bevor ich mich zum Konflikt geäussert hatte.

Gewisse Leute begannen, über meine politische Meinung oder meinen Glauben zu mutmassen. Da hab’ ich mir gesagt: Wenn ich schon negatives Feedback bekommen soll, dann wenigstens für das, wofür ich tatsächlich einstehe.

Maud liebt Basketball seit ihrer Jugend. Und seit ihrer Transition zur Frau kann Maud auch sich selbst lieben, wenn sie in den Spiegel schaut. Zusammen mit ihrem Team spielt sie bei den Eurogames in Wien gegen andere Teams aus Europa. Im Hobbysport müsse es dringend mehr Inklusion für trans Frauen geben, sagt sie (MANNSCHAFT+).

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