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LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz, um Minderheiten zu schützen!

geschlechtliche Identität
Foto: Dirk Behrendt (@arno) / pixabay

Am Freitag hat der Bundesrat die Berliner Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes beraten. Dem Antrag hatten sich zuvor die Länder Brandenburg, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Thüringen angeschlossen. Ziel: Die sexuelle und geschlechtliche Identität soll in den Schutzbereich von Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz aufgenommen werden.

Der Gesetzesentwurf wurde in die Ausschüsse geleitet. Dort wird er beraten, dann wird entschieden, ob eine Empfehlung ausgesprochen wird. Stimmt der Bundesrat zu, so wird der Entwurf über die Bundesregierung an den Bundestag weitergeleitet. Sehr wahrscheinlich ist das allerdings nicht, da die Union über eine Blockademehrheit verfügt.

Hier dokumentieren wir die Rede des Senators für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt, für die Bundesratssitzung am 8. Juni 2018 (es gilt das gesprochene Wort).


Thema Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Transgender, sowie trans- und intergeschlechtlicher Menschen ist aktueller, als uns lieb sein kann

„Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Anwesende,
das Thema Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Transgender, sowie trans- und intergeschlechtlicher Menschen ist aktueller, als es uns allen lieb sein kann.

In den vergangenen Wochen gab es allein in Berlin regelmäßig Meldungen, wonach LSBTTI-Menschen auf offener Straße angepöbelt, angefeindet oder sogar körperlich angegriffen wurden. Diesen Eindruck bestätigen auch offizielle Zahlen: Nach Angaben der Bundesregierung gab es 2017 im ersten Halbjahr 130 Straftaten im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung im Vergleich zu 102 Fällen im ersten Halbjahr 2016 – ein deutlicher Anstieg! (Für Berlin wurden 2017 neue Rekordzahlen registriert.)

Welche Bedeutung das Thema derzeit hat, zeigen auch die Worte des Bundespräsidenten. Am vergangenen Sonntag entschuldigte sich der Bundespräsident für die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit, aber auch für die Verfolgung in den folgenden Jahrzehnten.


Die Beispiele zeigen: Das Thema spielt eine wichtige Rolle im Alltag der Betroffenen, aber auch auf höchster politischer Ebene. Insoweit passt es, dass wir heute über eine Änderung des Grundgesetzes zum Schutz vor Diskriminierung sprechen.

Wenn wir die sexuelle und geschlechtliche Identität in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes aufnehmen, dann wäre dies zunächst einmal ein deutliches Bekenntnis unserer Verfassung.

Ein deutliches Bekenntnis unserer Verfassung, dass Diskriminierungen aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität nicht hinnehmbar sind.

Liebe Anwesende,
über dieses Bekenntnis hinaus bringen wir mit dieser Bundesratsinitiative das auf den Weg, was der europarechtlichen Wertung entspricht. Denn Artikel 21 Absatz 1 der EU-Grundrechtscharta enthält ein ausdrückliches Verbot sexueller Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sowie der sexuellen Orientierung. Ein entsprechendes Verbot enthalten auch Artikel 19 des Vertrages über die Arbeitsweisen der europäischen Union (AEUV) sowie Artikel 1 der Richtlinie zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

Ein zentraler Aspekt in der hier geführten Debatte ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. So ist das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits anerkannt.

Dieser Umstand wurde schon häufig als Argument gegen eine Grundgesetzänderung angeführt. So etwa im Jahr 2011 als der Bundestag darüber zu entscheiden hatte, ob das Merkmal der sexuellen Identität ergänzt werden sollte. Es war das Kernargument der Union. Was letztlich zum Scheitern der damaligen Initiative führte.

Der Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei deckungsgleich mit einem Schutz aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz, hieß es damals.

Meine Damen und Herren,
das überzeugt nicht. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vielmehr als klarer Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen. Und ein weiterer Aspekt ist entscheidend: Wir müssen uns fragen, wie wir die heute anerkannten Grundsätze für die Zukunft absichern wollen. Denn Gesetzgebung ist immer auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen.

Selbst wenn das bis heute Erreichte anerkannt wird, so muss dieses Rechtsverständnis verfassungsrechtlich festgeschrieben werden. Wenn Sie so wollen bietet sich nun die Chance, die Errungenschaften für die Zukunft verfassungsrechtlich zu bewahren. Denn nur durch eine Änderung des Grundgesetzes ermöglichen wir, dass diese Auffassung seitens des einfachen Gesetzgebers nicht wieder geändert werden kann.

Wir machen die Errungenschaften der homosexuellen Emanzipation sturm- und wasserfest für die Zukunft

Und nur durch eine Änderung des Grundgesetzes machen wir die Errungenschaften der homosexuellen Emanzipation sturm- und wasserfest für die Zukunft. Mit einer solchen Verfassungsänderung schützen wir Minderheiten vor wechselnden Mehrheiten.

Ein Beispiel aus der Vergangenheit macht deutlich, dass Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes für einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung nicht ausreichen kann: Über 20 Jahre hinweg, nämlich in der Zeit von 1949 bis 1969, bestanden Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz und § 175 Variante 1 der alten Fassung des Strafgesetzbuchs nebeneinander. § 175 Strafgesetzbuch regelte, dass die „widernatürliche Unzucht […] zwischen Personen männlichen Geschlechts“ unter Strafe stand.

Auf dessen Grundlage wurden mehr als 50.000 homosexuelle Männer zu Gefängnis oder Zuchthausstrafen verurteilt. Dieses Beispiel macht zwei Aspekte deutlich:

1. Die Schutzwirkung der verfassungsmäßigen Grundrechte muss gerade bei der Frage der Diskriminierung dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte entzogen werden.

2. Daher muss ein deutliches Bekenntnis gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität auch auf Verfassungsebene normiert werden.

Meine Damen und Herren,
aus diesen Gründen bitte ich Sie um Unterstützung unserer Initiative.

Vielen Dank.“


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