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LGBTIQ-Roman unter den sieben besten Büchern im März

Es geht um Matthias Lehmanns neuen Graphic Novel «Parallel»

Matthias Lehmann Parallel
Flüchtige Blicke zwischen Karl (l.) und einem Fremden (Foto: Reprodukt Verlag)

Der Deutschlandfunk hat in seiner Bücherliste «Die besten 7 im März» einen Graphic Novel über eine tragische schwule Nachkriegsbiografie vorgestellt.

Es handelt sich um das Buch «Parallel» von Matthias Lehmann, selbst 1983 in Dresden geboren. Es ist die Geschichte des Fabrikarbeiters Karl, in beklemmenden Schwarzweissbildern erzählt. Alles beginnt mit seiner Pensionierung, seinem Abschied von den Kollegen und tastet sich dann immer weiter in die Vergangenheit zurück. Denn: Der alleinlebende Karl versucht seiner entfremdeten Tochter in einem Brief – der ein langer innerer Monolog ist – zu erklären, warum ihre Familie auseinandergebrochen ist und warum er sich als Vater so verhalten hat, wie er das tat.

Matthias Lehmann Parallel
Seltener Glücksmoment: Karl liegt mit einem anderen Mann im Bett (Foto: Reprodukt Verlag)

Christiane Raabe von der Internationalen Jugendbibliothek in München hat den Titel als DRadio-Jurymitglied ausgewählt und stellt es in der Diskussion mit Moderatorin Ute Wegmann vor. Sie nennt das Buch eine «illustrierte Zeitgeschichte», über einen Mann, der nach dem Zweiten Weltkrieg seine Homosexualität wegen der gesellschaftlichen Umstände nicht ausleben konnte. Karl heiratet und gründet eine Familie. Findet aber in diesem Familienleben kein Glück.

Es gibt mehrere Bettszenen mit Frauen, wo Karl wie versteinert daneben liegt

«Es gibt mehrere Bettszenen mit Frauen, wo Karl wie versteinert daneben liegt», erklärt Raabe. Man erkenne in diesen Momenten seine grosse «Einsamkeit», die noch grösser wird, wenn man seinen Blicken nach anderen Männern folgt. Das sei «bedrückend und berührend», so Raabe. Besonders eine Szene im Zoo faszinierte sie: Darin sehe man Karl, wie er einen gefangenen Löwen im Käfig beobachtet, Sinnbild seiner eigenen Situation. (MANNSCHAFT berichtete über neue Graphic Novels rund um David Bowie.)


Schwiegervater und Schlägertrupps
In einem Vorwort zum Buch schreibt Reinhard Kleist: «In der Nachkriegszeit galt es für schwule Männer, lesbische Frauen und Trans-Personen noch um ein Vielfaches mehr, sich möglichst angepasst zu verhalten und das eigene Begehren oftmals unter Gefahren und im Verborgenen auszuleben. So ist Karl Klings vorsichtiges Auftreten als schwuler Mann nur allzu verständlich. Der Protagonist von Matthias Lehmanns Erzählung ‹Parallel› ist darüber hinaus von dem Wunsch erfüllt, ein ‹normales›Leben als Familienvater zu führen. Heutzutage scheinen alternative Lebensmodelle dem heterosexuellen Ideal zum Trotz durchaus gesellschaftsfähig zu werden. Zu Karls Lebzeiten war man weit davon entfernt.»

Zu Karls Lebzeiten bedeutet hier: Die Geschichte beginnt mit Karl als jungem Mann im Krieg, der sich in einem Kameraden verliebt, geht über die 50er-Jahre, als ihm sein Schwiegervater Schlägertrupps auf den Hals hetzt, um ihn zu «reformieren», bis in die 1980er-Jahre.

Matthias Lehmann Parallel
Karl wird von seiner Ehefrau (l) und seinem Schwiegervater unter Druck gesetzt (Foto: Reprodukt Verlag)

«Vieles von dem, was Matthias Lehmann in seiner Geschichte schildert, gehört der Vergangenheit an», schreibt Kleist. «Die innere Zerrissenheit Karls jedoch kennen immer noch zu viele Menschen aus der schwul-lesbischen Community.»


Die innere Zerrissenheit Karls jedoch kennen immer noch zu viele Menschen aus der schwul-lesbischen Community

«Man möchte während der Lektüre ein ums andere Mal in die Geschichte einbrechen, Karl die Hand auf die Schulter legen, und sagen: ‹Trau dich! ›», meint Kleist und ergänzt: «So etwas hätte mir damals auch gutgetan. Und genau das tut ‹Parallel›.»

Matthias Lehmann Parallel
Das Cover zu Matthias Lehmann Graphic Novel «Parallel» (Foto: Reprodukt Verlag)

Dass dieses Buch vom Deutschlandfunk nun so prominent präsentiert wird als März-Highlight, kann man begrüssenswert finden. Dass die beiden nicht-queeren Damen im Radio so ergriffen von dem Buch und der darin geschilderten Ehegeschichte sind, könnte man als bemerkenswert einstufen. Leser*innen, die sich mit solchen Geschichten schon zuvor beschäftigt haben, werden «Parallel» möglicherweise etwas eindimensional und deprimierend finden, mit zu wenigen neuen Ansätzen und Erkenntnissen. Aber für alle, die nach «Der Staat gegen Fritz Bauer» oder «Grosse Freiheit» (MANNSCHAFT berichtete) mehr über diese bleierne Zeit in West-Deutschland erfahren wollen, für die ist «Parallel» absolut empfehlenswert.

Hier geht’s zur Sendung «Büchermarkt» und den «Besten 7 im März».

 


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