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«Late Bloomers» – Das späte Coming-out

Symbolbild: Camila Blando/Unsplash

Es ist für viele lesbische Frauen ein grosses Thema: das späte Coming-out. Eine Geschichte aus der Deutschschweiz.

Es gibt sie ja: Die Frauen, die schon «im Sandkasten» wussten, dass sie auf Frauen stehen. Oder Frauen, die einen Girl-Crush in ihrer Jugend hatten. Und dann gibt es jene, die jahrelang ein Doppelleben führten, oder immer noch führen … Frauen, die verheiratet sind, ein, nach aussen hin, scheinbar heteronormatives Leben führen. Die sich oftmals die Frage stellen, ob sie gehen oder bleiben sollen.

Lisa ist 48 Jahre alt, Mutter zweier Kinder, Nathalie, heute 17, und Noah, 14 (alle Namen geändert) ist gegangen, und heute seit zwei Jahren glücklich mit einer Frau an ihrer Seite. Doch bis es so weit war, bis sie sich eingestand, dass sie gleichgeschlechtlich liebt, gingen viele Jahre ins Schweizer Land. Lisa erinnert sich noch oft an das Gefühlschaos, das lange Zeit in ihr tobte. An die Nächte in denen sie wach lag, den ruhigen Atem ihres Mannes neben sich hörend. An das schlechte Gewissen ihm, und vor allem ihren Kindern, gegenüber, das ihr einfach keine Ruhe liess.

Zu dieser Zeit arbeitete Lisa halbtags als Aushilfsverkäuferin. Sie pflegte einen kleinen, aber engen Freundeskreis, und war eigentlich «zufrieden», doch wirklich glücklich war sie nicht…Glücklich war sie in Gegenwart ihrer damaligen besten Freundin Martina (Name geändert). Die beiden Frauen verband eine lange und innige Freundschaft. Doch mit der Zeit tauchte in Lisa ein Gefühl für ihre Freundin auf, das sie sich selbst nicht erklären konnte. Herzklopfen, weiche Knie und zudem noch das Gefühl des Begehrens. Gefühle, die sie regelmässig in tiefe Verwirrung stürzten. Doch sie schwieg, weil sie die besondere Freundschaft nicht verlieren wollte.


Ein innerer Kampf begann. Sie dachte oft, dass ihr Gefühl «nur» eine Einbildung oder Illusion sei, doch nein, es war weit mehr. Lisa spürte, dass sie auf dem besten Weg war sich zu verlieben. In eine Frau? Und dann begann sie zu recherchieren, schlug sich die Nächte um die Ohren, um unter anderem zu lesen, dass sich die Sexualität einer Frau mit den Jahren ändern könne. War das bei ihr der Fall? Oder fühlte sie sich schon immer zu Frauen hingezogen, und es war ihr bisher nur noch nicht bewusst? Nach viel Innenschau kam sie zu der Einsicht, dass es Martina war, die, unwissend, diese verborgenen Sehnsüchte in ihr auslöste.

«Danach zog ich mich erst einmal von ihr zurück, zog mich heraus aus der Situation. Wie konnte ich nur mein gesamtes Leben in Frage stellen? Ein Ding der Unmöglichkeit», erinnert sich Lisa im Gespräch mit MANNSCHAFT. Martina verstand ihren Rückzug nicht, verstand nicht, dass sich ihre beste Freundin derart vor ihr verschloss. Und an einem Samstagabend kam der Moment der Offenbarung. Lisa hatte, nach einigen Wochen spärlichen Kontakts, einem Treffen zugestimmt, und beide Frauen trafen sich in ihrem Lieblingsrestaurant.

Lisa erzählt uns davon. Davon, dass Martina sie auf ihren Rückzug ansprach, und dass der Moment der Wahrheit gekommen war. Sie wusste, dass sie, jetzt oder nie, ihrer besten Freundin reinen Wein einschenken musste. Mit dem Ergebnis, dass eine langjährige Freundschaft zerbrach. «Doch es war wichtig, dass ich ehrlich war. Dass ich ihr sagte, was ich für sie empfand.» Martina reagierte mit Verständnis, sagte, dass Lisa endlich zu sich selbst stehen müsse, sich finden müsse, doch dass sie diese Zuneigung nicht empfände.


Nach diesem Abend war Lisa klar, dass sich ihr Leben verändern muss. Dass sie herausfinden müsse, warum es eine Frau war, die sie in Verwirrung stürzte, und die ihr gesamtes Selbstbildnis so auf den Kopf stellte. Sie begann sich auf sozialen Netzwerken umzuschauen, fand Gruppen, in denen sie sich mit Frauen austauschte, die genauso, oder ähnlich, empfanden. Und so traf sie nach einiger Zeit sie. Mit der sie sich sofort verbunden fühlte. Die genau spürte, was in Lisa vorging. Die selbst mehr als tausend Fragen im Kopf hatte. Die Frau, mit der sie sich dann an einem Nachmittag traf. Ohne Wissen ihres Mannes, denn sie hatte noch immer nicht den Mut gefunden, sich ihm anzuvertrauen.

«Mit diesem Treffen änderte sich alles. Denn es fühlte sich so an, als hätte ich eine Seelenverwandte gefunden.», sagt Lisa und lächelt. Und sie erzählt, dass danach alles recht schnell ging. Dass sie sich immer öfter trafen, heimlich telefonierten, sich immer mehr und besser kennenlernten, und sich ineinander verliebten. Sie lebten ihre Liebe einige Monate im Verborgenen, doch es kam, wie es wohl kommen musste: An einem Wochenende sprach Lisa mit ihrem Mann, der zuerst aus allen Wolken fiel. Doch dann tat er «die ganze Geschichte», wie er es bezeichnete, als «Experiment und Phase» ab, und sagte, dass sie ruhig ihre Erfahrungen machen könne.

Schliesslich ging es «nur» um eine Frau, die könne ihm nicht gefährlich werden…Doch er unterschätzte die starken Gefühle, die die beiden Frauen mittlerweile verband. Er begann ihr Handy zu kontrollieren, es kam immer öfter zum Streit, und auch die Kinder merkten, dass sich ihre Eltern immer weniger verstanden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden sie nicht über die Veränderungen, die sich mehr und mehr in ihrer Familie abzeichneten, unterrichtet. «Das war ein grosser Fehler. Heute würde ich es anders machen.» sagt Lisa nachdenklich. Denn nachdem die Auseinandersetzungen immer heftiger wurden, blieb Lisa keine andere Möglichkeit, als mit ihnen zu sprechen.

Wie reagierten die Kinder? «Nathalie sagte, dass sie die, mittlerweile, lautstarken Wortgefechte nicht mehr ertragen könnte, und Noah war sehr traurig.», erinnert sich Lisa. «Doch Kinder spüren sehr genau, wenn die Zeit für eine Veränderung gekommen ist. Wir sollten sie und ihr Einfühlungsvermögen nicht unterschätzen.» Nach einiger Zeit zog ihr damaliger Mann schliesslich aus, und zwei Jahre später folgte die Scheidung. Und wie ging’s weiter?

Lisas Mann hat mittlerweile eine neue Partnerin, und die Kinder sieht er regelmässig. Lisa und er pflegen heute ein freundschaftliches Verhältnis. Wie geht’s den Kindern jetzt? «Noah sagte noch vor kurzem zu mir, dass es ja schon cool sei, zwei Familien zu haben.»

Auf die Frage, ob sie wieder gehen würde, kommt von Lisa ein ganz klares Ja. «Denn jetzt bin ich nicht nur zufrieden, sondern glücklich. Jetzt bin ich Ich.»


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