Kirche und Staat, lasst euch endlich scheiden!
Es ist an der Zeit, dass sich der Staat von der Kirche trennt. Zum Wohle beider. Und ihrer Kinder. Und der LGBTIQ-Community
Die Glaubensfreiheit ist in der Bundesverfassung der Schweiz ausdrücklich geschützt. So auch im jeweiligen Pendant in Deutschland und Österreich. Religionsfreiheit heisst aber auch, als Staatsbürger*in das Recht auf ein Leben frei von Religionen bzw. deren Einflüssen zu haben.
Doch das ist in der Schweiz und in Deutschland nicht der Fall: Kirchensteuern, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen oder die diskriminierende CVP-Ehedefinition im Initiativtext zur Abschaffung der Heiratsstrafe , die vermutlich bald wieder aufs Tapet kommt (MANNSCHAFT berichtete). Unser Samstagskommentator* ist für eine Scheidung.
FPÖ will Ehe für alle abschaffen – und scheitert
Säkularer zeigt sich dagegen Österreich: Die Begriffe «Gott» oder «der Allmächtige» fehlen im Bundesverfassungsgesetz . Das Volk gibt sich als Souverän das Recht selbst. Nicht so in der Präambel von Deutschland oder der Schweiz . Auch die Kirchensteuern bzw. den Kirchenbeitrag müssen die Kirchen in Österreich selbst eintreiben, während der Fiskus in der Schweiz und in Deutschland diese nicht unerhebliche Arbeit übernimmt.
Angesichts der Religionsvielfalt und der Zunahme konfessionsfreier Menschen ist die heutige Praxis überholt.
«Aber das gehört zu unserer christlichen Kultur!» Das bestreitet auch niemand. Eine Trennung von Kirche und Staat bedeutet nicht, die religiösen Spuren zu verwischen oder das kulturelle Erbe vom Erdboden wegzufegen. Ausser vielleicht das Kirchengeläut: AC/DC-Fans können schliesslich auch nicht im Viertelstunden- oder in einem anderen Takt die ganze Bevölkerung beschallen, ob sie es will oder nicht. Zudem gibt es mittlerweile analoge und digitale Uhren, die eine göttliche Zeitansage überflüssig machen. An alle Kirchenglocken-Fans: Ein Klangfestival könnte natürlich nach wie vor erlaubt sein.
Es geht mehr darum, der Diversität der Gesellschaft gerecht zu werden und keine Benachteiligungen zu schaffen. Das jetzige Modell in der Schweiz oder auch in Deutschland bevorzugt klar ein paar ausgewählte Religionen, für die der Staat auch noch Gelder eintreibt: Selbst Konfessionslose oder Angehörige anderer Glaubensrichtungen finanzieren in der Schweiz die Landeskirchen kräftig mit – mit einem stattlichen Betrag von 440 Mio. Franken. Auch wenn jemand aus der Kirche austritt und damit in den meisten Kantonen privat keine Kirchensteuer bezahlt, fliessen über öffentliche Beiträge oder Unternehmenssteuern trotzdem Gelder in die Kirchenkasse.
«Auch andere profitieren von der öffentlichen Hand!» Das Argument, dass Beiträge der öffentlichen Hand nicht immer allen zugutekommen, aber sinnvoll sind, zieht hier nicht. Denn im Gegensatz zu den Landeskirchen profitiert die Allgemeinheit von Förderbeiträgen – zum Beispiel im Sport oder in der Gesundheitsprävention – von langfristig tieferen Kosten im Gesundheitssektor. Selbst wenn nicht alle Sport treiben oder in Teilen dem Fastfood verfallen sind. Überdies haben Sportvereine auch Pflichten, um diese Fördergelder zu erhalten. Und das Ganze gibt es für einen Viertel der kirchlichen Kosten. Zwar übernehmen die Landeskirchen auch soziale Aufgaben, die nicht zu unterschätzen sind. Das tun andere Organisationen auch. Allerdings müssen sich diese um die Finanzierung selbst kümmern.
«Und was ist mit gesellschaftlichen Werten wie der Nächstenliebe?» Gerade mit der Nächstenliebe nehmen es manche Angehörige der Kirche nicht so bibeltreu. Wie Chantal Lanz: Die mittlerweile ehemalige Kirchenratspräsidentin von Melchnau (MANNSCHAFT berichtete) wollte einen homosexuellen Mann aus dem Kirchengemeinderat ausschliessen, «weil Homosexualität in der Gemeindeleitung keinen Platz habe» . Aber Kirchensteuern von der LGBTIQ-Community erhalten, dafür halten sie und ihresgleichen dann gerne die eine oder andere Hand auf.
New Yorker «Homoheiler» klagt gegen Verbot seiner Therapie
Ein Grund mehr, dass sich der Staat definitiv von der Kirche trennt, weil er solche Diskriminierungen direkt mitfinanziert – wie bei den erwiesenermassen schädlichen Konversionstherapien: Jüngst hat sich der Schweizer Bundesrat mitschuldig gemacht, weil er sich gegen ein Verbot solcher ausgesprochen hat (MANNSCHAFT berichtete). Es bestünden dafür keine Gesetzgebungen.
Die gäbe es allerdings – und zwar in den Gesetzen und Verordnungen des Gesundheitswesens: Dort ist auch festgelegt, wer was behandeln darf und wer nicht. Solange solche Therapien von der Krankenkasse noch bezahlt werden, können diese ebenso verboten werden: Letztlich ist Homosexualität längst von der Krankheitsliste der WHO gestrichen. Warum sollte also ein Verbot von Konversionstherapien in der Schweiz nicht möglich sein, wenn es auch andere Länder bereits eingeführt haben wie in Teilen Nord- oder Südamerikas? Und dort sind sie deswegen nicht weniger gläubig oder gottesfürchtig. Doch auch bei uns gibt es Befürworter*innen solcher Massnahmen: etwa die Deutsche Evangelische Allianz (MANNSCHAFT berichtete).
Wo zu viel Einflussnahme, ist auch viel Gefahr Das Christentum hat weltweit ca. 2,3 Mrd. Anhänger*innen, Facebook ca. 1,9 Mrd. Während die Regierungen bei Facebook langsam gemerkt haben, dass zu viel Einfluss auch gefährlich sein kann, lassen sie es bei religiösen Anhänger*innen eher schleifen – wie neulich in den USA: Das höchste Gericht von Arizona hält die Diskriminierung von Homosexuellen für ein Grundrecht für Gläubige. Was unglaublich klingt, ist leider wahr: Zwei Christinnen haben in Phoenix das Recht erkämpft, Homosexuelle in bestimmten Fällen als Kunden abzulehnen, weil sie deren «sündiges» Verhalten mit ihrem Glauben nicht vereinbaren und dieses deshalb mit ihrem Schreibwarenladen nicht unterstützen können.
Zwar können homosexuelle Paare vorgedruckte Hochzeitskarten im besagten Schreibwarenladen auch weiterhin kaufen, nur individuell angefertigte Produkte gibt es wegen Gewissensbissen nicht, was an Bigotterie und Inkonsequenz kaum zu überbieten ist.
Selbst wenn für Unternehmen im freien Markt auch die Freiheit besteht, bestimmte Kundengruppen abzulehnen (wie renitente Promis auf Flügen), so bergen Diskriminierungen wie im oben beschriebenen Fall immer auch eine Gefahr gesellschaftlicher Enthemmung: In Arizona ist es nun rechtens, die LGBTIQ-Community im Geschäftsalltag wegen ihrer sexuellen Orientierung/Identität abzulehnen.
Was kommt als nächstes? Das Erstreiten des Rechts auf «präventive Notwehr», weil einem der Glaube bzw. die eigene Interpretation dessen oder einfach eine sonstige Gesinnung gebietet, Menschen anderer sexueller Orientierung die Nase blutig zu schlagen? Letztes Wochenende war das in Zürich der Fall (MANNSCHAFT berichtete). Solche Rechtsprechungen oder eben auch die zu enge Verflechtung von Religion und Staat können Diskriminierungen und Gewalt indirekt fördern.
Eine «Scheidung» bringt auch Positives Zum Beispiel wäre die Heiratsstrafe längst abgeschafft, hätte die CVP im Initiativtext auf die diskriminierende Ehedefinition verzichtet. Bei einer Trennung von Staat und Kirche hätte ein solcher Passus im Initiativtext schon im Vornherein keine Chance, und die Bestrebungen für die Ehe für alle wären damit ebenfalls einen wesentlichen Schritt weiter.
Umfrage zu Körperidealen bei schwulen und bisexuellen Männern
Ein zusätzlicher Vorteil einer solchen Scheidung: Unternehmen wie Bürger*innen würden steuerlich entlastet, weil die Landeskirchen nun selbst für ihr Einkommen sorgen müssten, was wiederum förderlich wäre, wenn es um die innere Erneuerung der Kirchen geht. Denn dann müssten sie neue Mitglieder überzeugend anwerben. Damit wäre der «Wettbewerb unter den Religionsgemeinschaften» für alle gleich.
Die Trennung von Staat und Kirche ist kein Kampf gegen die Kirchen, sondern ein Kampf für mehr Diversität und Fairness, was letztlich allen dient.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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