«Ich möchte queere Minderjährige nicht schutzlos zurücklassen»
Ein Gastbeitrag des SPD-Sprechers für Schwule und Lesben
Der Deutsche Bundestag entscheidet am Donnerstag über das «Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen». Der LSVD kritisierte deutliche Mängel und forderte die Abgeordneten von Union und SPD auf, das Gesetz abzulehnen (MANNSCHAFT berichtete). Darauf reagiert nun Karl-Heinz Brunner, der queerpolitische Sprecher der SPD, in einem Gastbeitrag für MANNSCHAFT und wirft dem LSVD «böswillige Falschbehauptungen» vor.
Das Verbot von Konversionstherapien kommt. Und natürlich werden wir nicht dagegen stimmen.
Corona schlägt schon seltsame Blüten. Gut, durch Homeoffice haben wir vermeintlich mehr Zeit. Mehr Zeit nachzudenken, zu grübeln. Man ist ja weniger abgelenkt. Doch ist es schade, wenn diese Zeit dazu genutzt wird krude Theorien zu entwickeln, die nicht in den Bereich solider Politik gehören. Dazu gehört – leider – auch der Aufruf (der dem Verfasser dieses Textes und queerpolitischem Sprecher seiner Fraktion bis heute nicht vorliegt), dem Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen nach einem «mustergültigen demokratischen Prozess», so der LSVD, nun final die Zustimmung zu verweigern. Mit der Konsequenz also alles zu lassen wie es ist. Verweigern nicht etwa, weil man kein Verbot von sogenannten Konversionstherapien will, sondern weil das Verbot nicht weit genug geht.
Insoweit stimme ich dem zwar zu. Alles könnte immer besser sein, so auch dieses Gesetz. Man muss doch aber feststellen, dass unser demokratische Prozess im Rückblick zu einer Farce verkommt, wenn nun das gemeinsam formulierte Ziel fallen gelassen wird. Die Forderung, dieses hart erkämpfte Gesetz abzulehnen, kann nicht ernst gemeint sein.
Um was geht es denn eigentlich? Erster Mangel soll sein, dass im Gesetz der Begriff «Behandlung» und nicht «Massnahmen oder Interventionen» gewählt wurde. Begriffe, die wir zwar bei staatlichem nicht jedoch im privaten Bereich benutzen würden. Da stellt sich mir die Frage: Wollen wir diesen menschenverachtenden Unsinn endlich beenden oder ist uns die Begrifflichkeit wichtiger? Mir jedenfalls ist es wichtiger, dass damit ein Ende ist. «Behandlung» deckt umfänglich ab, was wir alle verbieten wollen. Nämlich die Quälerei von queeren Menschen durch Scharlatane.
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Mangel zwei soll sein, dass es «rein theoretisch» eine Einwilligung zu so einem Unsinn geben könnte, die nicht «auf einem Willensmangel beruht». Jedem volljährigen Menschen zu unterstellen er litte unter einem Willensmangel, wenn er so einen Blödsinn ins Auge fasst, ist zumindest kühn. Dies dann mit einem Schaden für minderjährige Opfer zu begründen ist jedoch der gleiche Unsinn, da die Regelung ja nur für volljährige Personen gilt. Diese Fokussierung lenkt doch in Wirklichkeit davon ab, dass wir ein höheres Schutzalter benötigen. Über dessen Höhe können wir gerne streiten, so wie wir auch über den vorliegenden Entwurf als Ganzes gestritten haben. Ich würde mir das vollendete 26. Lebensjahr wünschen. Bis wir ein Ergebnis haben und dieses durchgesetzt werden kann, möchte ich Minderjährige aber nicht schutzlos zurücklassen.
Mangel drei soll die Formulierung des § 5 Abs. 2 des Gesetzentwurfes sein, der sich mit der Fürsorge und Erziehungspflicht befasst. Dass diese Regelung die Gefahr schaff, dass an «Konversionsmassnahmen» interessierte Strukturen ihren Druck auf Fürsorge- und Erziehungsberechtigte – quasi erst aufgrund dieses Gesetzes – erhöhen, kann ich nicht sehen. Der Druck ist doch schon da! Und ohne Gesetz noch mehr!
Das vorliegende Gesetz ist ein wichtiger erster Schritt. Ich wünsche mir, dass wir die Debatte weiter führen um all das was noch kommen muss. Meiner Meinung nach nämlich:
1. Die Erhöhung des Schutzalters um mehr Menschen zu schützen. 2. Die Erhöhung des Strafmasses um wirkliche Abschreckung zu erreichen. 3. Die effektive Durchsetzung von Berufsverboten für Personen, die solchen Unsinn wiederholt durchführen. 4. Die Schaffung von guten Beratungsangeboten für Betroffene und deren Erziehungsberechtigten um seelische Nöte erst gar nicht entstehen zu lassen. 5. Die Aufforderung an die Religionsgemeinschaften in eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass auch diese Art des Missbrauchs beendet und geächtet wird.
Das würde ich mir wünschen, denn das hilft den Betroffen. Nicht ein fragwürdiges «Nein», ohne die Antwort zu geben wie es dann weiter geht. Das ist nur parteipolitisches Geplänkel, für das dieses Thema viel zu wichtig ist. Und schon gar nicht, auch das will ich ansprechen, hilft die Unterstellung, wir würden dieses Gesetz mit Absicht ins Leere laufen lassen. Das ist eine Falschbehauptung und eine böswillige noch dazu.
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Deshalb, lasst uns bitte nicht in einen solchen Modus verfallen. Vielleicht wird alles über Nacht besser, wenn andere Parteien in der Regierung sind. Ich glaube das aber nicht. Politik ist zäh, mühsam, manchmal nervig und Fortschritt erringt man Schritt für Schritt. Dieses Gesetz wird ein Fortschritt. Und deshalb stimmt die SPD dafür.
Übrigens: Manches von dem wäre mit dem vor fast einem Jahr von mir vorgeschlagenem Gesetzentwurf möglich gewesen. Der ging einigen Kritikern von heute damals aber noch zu weit.
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