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Kardinal Marx sagt in Queer-Gottesdienst «Sorry»

Am Sonntag in München

Kardinal Marx
Kardinal Marx beim Queer-Gottesdienst (Foto: Tobias Hase/dpa)

Ein Gottesdienst wie dieser wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen für Kardinal Reinhard Marx. Doch am Sonntag hat er eine Messe mit der Münchner Queer-Gemeinde gefeiert. Ist das das Hoffnungszeichen, auf das schwule und lesbische Katholiken seit Jahrzehnten warten?

Von Britta Schultejans, dpa

Der 88-Jährige wirkt tief bewegt. Er sei «das Fossil» der Münchner Queer-Gemeinde, sagt er, einer Gemeinde, in der sich die «Waisenkinder unserer Mutter Kirche» versammelten. Kinder, die von ihren Eltern nicht angenommen sind, die buhlten entweder ihr Leben lang um die Liebe dieser Eltern – «oder sie brechen mit ihnen und gehen». «Wir sind die, die buhlen und bleiben», sagt der alte Mann. Kardinal Reinhard Marx applaudiert ihm.

Es dürfte ein nahezu historisches Ereignis sein an diesem Sonntag in der Münchner St.-Pauls-Kirche, an der im Abendrot die Regenbogenflagge weht. Der katholische Erzbischof von München und Freising ist gekommen, um zum 20-jährigen Bestehen der Queer-Gemeinde einen Gottesdienst zu feiern. «Auch ich hätte mir vor 20 Jahren, vielleicht auch vor 15 Jahren, nicht vorstellen können, mit Ihnen hier zu sein», sagt Marx. Er freue sich, dass sich das geändert hat, «dass wir nicht stehen bleiben».


Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, da ging ein Aufschrei durch die katholische Kirche in Deutschland. Das kategorische Nein des Vatikan zur Segnung homosexueller Paare brachte viele Katholiken hierzulande auf die Barrikaden – und sogar geweihte katholische Priester widersetzten sich im Mai 2021 ganz offen und deutlich dem Diktat aus Rom. Im Rahmen der Aktion «Liebe gewinnt» gab es überall in Deutschland, aber auch in der Schweiz Segensfeiern für homosexuelle Paare (MANNSCHAFT berichtete).

Seither ist – für katholische Verhältnisse – einiges passiert. Im Januar dieses Jahres outeten sich 125 queere Beschäftigte der Kirche und protestierten unter dem Motto #OutInChurch gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz (MANNSCHAFT berichtete).

Bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in dieser Woche kündigte der Vorsitzende, der Limburger Bischof Georg Bätzing, eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes an. Denn in der katholischen Kirche kann es einen bislang den Job kosten, wenn man sich zum Beispiel zu einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bekennt. Vertreter der Initiative #OutInChurch übergaben den Bischöfen eine von rund 118 000 Menschen unterzeichnete Petition und Bätzing stellte fest: «Da ist Druck im Kessel.»


Womöglich auch weil er das genau so gut weiss wie Bätzing, stellt der Münchner Kardinal und frühere DBK-Vorsitzende Marx sich nun vor die Queer-Gemeinde und sagt: «Sorry» – in Anlehnung an ein Interview, das er vor einigen Jahren in Irland zu dem Thema gegeben hatte. «Es ist eine Leidensgeschichte für viele Menschen», sagt er. Die Kirche habe vielen lesbischen und schwulen Menschen das Leben schwer gemacht. Er fordert, «dass man sehen muss, welche Verletzungen wir angerichtet haben».

Alle Beziehungen, die dem «Primat der Liebe» folgten, könnten «von Gott angenommen werden», betont Marx. «Und wir meinen, wir könnten dirigieren und genau bestimmen», wer wem sagen dürfe: «Ich liebe Dich.» Er wünsche sich «eine inklusive Kirche, eine Kirche, die einschliesst».

Die katholische Reformbewegung «Wir sind Kirche» sieht in der Feier mit Marx das «Zeichen einer Wende zur Regenbogenpastoral» und eine «neue, offenere Haltung zur Homosexualität und zu LSBTIQ», sagt «Wir sind Kirche»-Sprecher Christian Weisner.

Nach Angaben von Thomas Pöschl, Sprecher der Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (Huk) gibt es nur rund zehn Queer-Kirchengemeinden in Deutschland – «mit Wissen und Duldung» ihrer jeweiligen Bischöfe. Es habe auch schon Besuche und gemeinsame Gottesdienste gegeben – meist auf Wunsch der Bischöfe aber «im vertraulichen Kreis», hinter verschlossenen Türen. «Angst vor der Obrigkeit und vor dem ‚Skandal’», sagt Pöschl. «Kardinal Marx ist jetzt erstmals sehr öffentlich.»

Aus Sicht von Pöschl tut sich insgesamt aber dennoch zu wenig. «Im Herbst 2018 hatten wir alle 27 Diözesan- und 39 Weihbischöfe einzeln angeschrieben und ihnen Unterschriften ‚pro Partnerschaftssegnung‘ übersandt, die wir beim Katholikentag gesammelt hatten», sagt er. «Ganze 11 haben überhaupt geantwortet, davon 2 nur formal, dass unser Schreiben angekommen ist.» Nur grosser Druck könne etwas bewirken, «nur massives Einfordern von Reformen (…) treibt Bischöfe an, aber weiterhin bleibt mindestens die Hälfte schweigsam und macht keinerlei Zusagen».

Es gebe zwar inzwischen «stärkere Hoffnungszeichen», dass sich etwas bewege in der katholischen Kirchen. «Aber Skepsis ist weiterhin angebracht», betont Pöschl. «Nach Jahrzehnten der Eiszeit unter den Vorgängern von Papst Franziskus gibt es seit wenigen Jahren zunehmend Dialog um Reformen», sagte er. Aber: «Unverbindliche oder nicht nachhaltige Erklärungen einzelner Würdenträger sind zu wenig.»

Bevor der Queer-Gottesdienst losgeht an diesem Abend, kommen die Teilnehmer*innen eines vorherigen Gottesdienstes aus der St.-Pauls-Kirche. Wenn er gewusst hätte, dass dort danach eine solche Messe gefeiert wird, hätte er die Kirche nicht betreten, sagt ein 32-Jähriger. Homosexualität und die Bibel, das passe doch einfach nicht zusammen. Der Weg für die katholische Kirche ist noch weit.


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