Kampf ums Tuntenhaus – «Fühle mich wie in einem Politikpoker»
Die Bewohner*innen der queeren Wohngemeinschaft wollen ihren Lebensraum erhalten
Das «Tuntenhaus» ist das älteste queere Wohnprojekt Berlins. Nach dem Verkauf der Immobilie kämpfen die Bewohner*innen nun um ihr Zuhause. Hier erzählen sie, was ihnen das Haus bedeutet.
Die bunten Regenschirme und Transparente waren mehr als nur eine willkommene Abwechslung im verregneten Berliner Grau. Als sich am vergangenen Donnerstag etwa einhundert Menschen dem Regen zum Trotz vor dem Abgeordnetenhaus versammelten, um für die Rettung des sogenannten Tuntenhaus zu demonstrieren, ging es auch darum, gesellschaftspolitisch Farbe zu bekennen. Denn seitdem das Haus in der Kastanienallee 86 verkauft wurde, fürchten die Bewohner*innen um das queere Wohnprojekt.
Ein kleiner Erfolg konnte an diesem Tag immerhin gefeiert werden. Denn bei der zeitgleich stattfindenden Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses wurde der Antrag, das kommunale Vorkaufsrecht zu nutzen, an die zuständigen Fachausschüsse für Stadtentwicklung und Finanzen weitergeleitet. Grüne und Linke hatten die Eingabe initiiert (MANNSCHAFT berichtete), auch von der SPD gab es jüngst Impulse für eine «kreative Finanzierung», wie es Stephan Machulik auf Instagram ausdrückte.
«Es gab danach auch einen intensiven Austausch mit mehreren Politiker*innen von SPD und CDU, die sich alle recht wohlwollend äusserten», berichtet Jil Brest, die aber auch anmerkt dass das Finanzkonzept für Ankauf und Instandsetzung kaum thematisiert wurde. «Da hielt man sich sehr bedeckt», sagt Jil, die sich aktuell um die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses kümmert.
Jil wohnt seit zehn Jahren im Tuntenhaus, das für sie viel mehr ist, als nur eine Bleibe. «Es ist ein sicherer Ort, etwas ganz Eigenes», erklärt sie gegenüber MANNSCHAFT. «Es ist etwas anderes, wenn du nur mit queeren Menschen zusammenwohnst. Da stellen sich bestimmte Fragen einfach nicht. Seien es Fragen zu Sexualität, Identität oder Subkultur. Und es stört auch keinen, wenn du mal im Fummel rumläufst.» Mehr noch: Hier wird sich begegnet und ausgetauscht. Hier gibt es Geborgenheit und Schutz. Hier kann jeder Mensch so sein, wie er ist.
«Das Tuntenhaus ist für mich ein relativ sicherer Begegnungsort, an dem ich viele spannende Menschen kennenlernen durfte, die über ihren Tellerrand schauen, die sich sozial engagieren und die sich trauen, zu sich selbst zu stehen», berichtet unterdessen Plutonia Plüschowa. Als sie vor 27 Jahren in das Haus einzog, hätte sie gleich vom ersten Abend an die besondere Atmosphäre aufgesogen, als bei einem Hoffest die damals noch weitgehend unbekannte Irmgard Knef auftrat.
«Ich war so berührt, dass ich im nächsten Jahr zum ersten Mal selbst auf der gleichen Bühne stand. Überhaupt hat mich das Tuntenhaus nach meiner Ankunft aus der Provinz echt empowert. Hier kann ich sein, wie ich bin», sagt sie heute.
Das Tuntenhaus ist eben nicht nur irgendein Berliner Wohnprojekt, es ist ein Leuchtturm der Vielfalt und eine Institution queeren Lebens – und das seit nunmehr 34 Jahren. Nach der gewaltsamen Räumung der Mainzer Strasse, wo um den Forellenhof das zweite Wohnprojekt dieser Art bestanden hatte, flohen die meisten Bewohner*innen in die besetzte Kastanienallee 86. Kurze Zeit darauf folgte die Legalisierung durch die Ausgabe von Mietverträgen der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg.
Problematisch wurde es allerdings, als das Gebäude vor rund 20 Jahren verkauft wurde. Seither gab es immer wieder Konflikte, die sich nicht zuletzt an Baulichkeiten aufzogen. Wie die Bewohnenden berichten, gab es von der Politik vermittelte Verhandlungen, das gemeinsam erzieltes Ergebnis wurde aber seitens des Eigentümers nicht unterzeichnet. Zu einem Selbstkauf kam es aufgrund der unterschiedlichen Preisvorstellungen nicht.
Dass die Kastanienallee 86 das einzige unsanierte Haus der Strasse ist, ist ein Zeichen für diese Streitigkeiten. Ein anderes sind die von den Bewohnenden angebrachten Lettern «Kapitalismus normiert, zerstört, tötet».
Nun wurde das Haus erneut verkauft und die nicht unbegründete Befürchtung macht sich breit, dass erneute Gentrifizierungsbestrebungen den Bewohnenden zum Problem werden könnten. Sanierung gleich höhere Mieten: Die Rechnung ist schliesslich nicht untypisch.
«Wir sind über die Grenzen Berlins als Ikone der schwulen und queeren Community bekannt. Unser Hausprojekt steht für ein diverses Berlin, für Subkultur und kollektive Hausgemeinschaften, für einen Freiraum, der kulturelle und soziale Aktivitäten im Kiez ermöglicht», heisst es in einer Mitteilung der Bewohnenden. «Diese bunte, schillernde Oase konnte sich nur durch bezahlbare Mieten entfalten. Entsprechend darf man das Tuntenhaus nicht dem freien Wohnungsmarkt überlassen.»
Da das Haus einen deutlichen städtebaulichen Missstand im sogenannten Milieuschutzgebiet aufweist, kann der Bezirk das Vorkaufsrecht ziehen. Seit Mitte Februar liegt dem Bezirksamt ein Kaufvertrag vor, bis Mai muss entschieden werden, ob dieser trotz der jüngst verhängten Haushaltssperre eingegangen wird.
Das entscheidende Problem: Wie kann ein gemeinwohlorientierter Dritter (eine Berliner Wohnungsgesellschaft, eine Genossenschaft oder ein Verein) ein solides Finanzierungskonzept aufstellen, das Ankauf und nachholende Instandsetzung des Hauses sicherstellt und dabei Wirtschaftlichkeit und sozial verträgliche Mieten miteinander verbinden kann?
Ich fühle mich wie in einer emotionalen Achterbahnfahrt
«Ein schwerer Brocken. Wir werden uns auf einen harten Kampf einstellen müssen», sagt Jil, die nicht nur um das Haus an sich, sondern ebenso um ihren Lebensraum kämpft und dafür, in ihrem Zuhause wohnen bleiben zu dürfen.
«Ich fühle mich dabei wie in einer emotionalen Achterbahnfahrt», gibt Plutonia einen Einblick in ihre Stimmungswelt. Nach der Demonstration und den Reden anschliessenden Reden, hätte sich Euphorie verbreitet, nur um sich bei den darauffolgenden Gesprächen mit der Politik in Ernüchterung und Enttäuschung aufzulösen. «Ich fühle mich wie in einem Politikpoker. Dummerweise sind meine Wohnexistenz und meine liebgewonnene Hausgemeinschaft der unfreiwillige Spiel-Einsatz.»
Das Vertrauen in die Politik ist bei ihr wenig ausgeprägt. Und sie und Jil wissen, dass sie ein Mammutprojekt vor sich haben. «Eigentlich ist es die völlige Überforderung das Vorkaufsrecht durchbringen zu wollen, aber nichts tun ist keine Option, mit der ich zufrieden gewesen wäre», sagt Jil. «Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn wir keinen Erfolg haben.»
Jil Brest denkt gerade nur von Termin zu Termin, organisiert weiter Protestaktionen mit, trifft Politiker*innen und versucht, auf die Problematik aufmerksam zu machen – alles, damit das Tuntenhaus weiter ein bunter, queerer Leuchtturm in der Kastanienallee bleiben kann.
Die zunehmend queerfeindliche Stimmung in der Gesellschaft erreicht verstärkt die Schulen (MANNSCHAFT berichtete).
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