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«Sie hätten noch weiter zugeschlagen»

Mitten in Zürich wurden Davide und Enrico brutal attackiert – nur weil sie sich küssten

Tatort Niederdorf: Hier schlugen die Angreifer auf Davide ein. (Bild: Mannschaft Magazin)

Fünf Unbekannte prügelten Davide G. im September spitalreif. Motiv: Homohass. Die Folgen: Drei Wochen Arbeitsunfähigkeit, abgesagte Ferien und eine Angst vor Menschenmengen. Er hatte aber auch Glück im Unglück und fand die Liebe.

Sich nicht zu verstecken, war für Davide immer wichtig. Der Restaurations­fachmann ist überall geoutet, sowohl am Arbeitsplatz als auch in der italienischen Grossfamilie. «Bis zum entferntesten Onkel und Cousin wissen es alle, und es ist kein Problem», sagt er. Auch mit seinen Beziehungen sei er stets offen umgegangen. «Es war mir immer wichtig, Hand in Hand durch die Strassen zu gehen. Aber jetzt . . . ist es schon anders.»

In der Nacht auf den 14. September sass der 26-Jährige auf einer Bank mitten im Zürcher Niederdorf und küsste Enrico, den er soeben im Heaven Club kennengelernt hatte. Die beiden hörten, wie sie aus der Ferne beschimpft wurden. Es fielen Ausdrücke wie «Schwuchteln», «Missgeburten», «Arschlöcher».

Man habe sie ignoriert, sagte Davide später zur Tagespresse. Doch plötzlich standen die Männer vor ihnen. Es waren fünf junge Erwachsene und sie bespuckten die beiden Schwulen, warfen ein Feuerzeug nach ihnen. «Warum tut ihr das», fragte Davide und stand auf. Die Antwort: «Weil ihr schwul seid.» Dann schlugen sie zu (MANNSCHAFT berichtete).


Davide versuchte, sich zu wehren und schlug zurück. Doch die Männer waren in der Überzahl, und nach einigen Fausthieben landete er auf dem Boden. Sie schlugen auch Enrico nieder, der ihm zu Hilfe eilen wollte. Doch die Täter hörten nicht auf und traten weiter auf die beiden ein. Die Türsteher kamen herbeigerannt und alarmierten die Polizei. Die Schläger konnten jedoch unerkannt fliehen.

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Keine Fotos der Täter
Die beiden wurden ins Spital gebracht – Davide mit einer vierfachen Nasenfraktur, geplatzten Lippen und mehreren Prellungen. Zudem hatten ihm die Täter zwei Zähne ausgeschlagen. Enrico hatte leichte Verletzungen und einen grossen Schuhabdruck im Gesicht, konnte das Spital aber wieder verlassen. Davide musste bleiben, am darauffolgenden Montag wurde seine Nase operiert.

«Sie ist immer noch ein bisschen geschwollen», sagt Davide während dem Interview, das drei Wochen nach dem Hassverbrechen stattfindet, und fährt mit dem Finger behutsam über den Nasenrücken. Ihn stört die kleine Narbe auf dem Nasenflügel, vor allem aber die Tatsache, dass die Nase nicht mehr gerade ist. «Die Ärzte wollen erst einmal die Heilung abwarten, sonst muss sie in einem halben Jahr nochmals gebrochen werden.»


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Der Angriff hat nicht nur physische, sondern auch psychische Spuren hinterlassen. Auf der Strasse unter vielen Menschen zu sein, macht Davide Angst. Oft fallen ihm heterosexuelle Paare auf, die offen Zärtlichkeiten austauschen. «So könnte ich mich nicht benehmen, ist dann mein Gedanke», sagt er. «Wegen so etwas bin ich zusammengeschlagen worden.»

Für Davide ist es das erste Mal, dass so etwas passiert. Auch wenn ihm das Ausleben seiner Beziehungen wichtig ist, würde er damit nicht unnötig provozieren wollen. «Ich bin schon viel gereist und kann Situationen einschätzen», sagt er. «Aber hier in Zürich – auf einer Bank mitten im Zentrum. Dass so etwas passiert . . . davon geht man nicht aus.»

Davide denkt noch oft an jene Nacht zurück und lässt Was-wäre-wenn-Szenarien durch seinen Kopf jagen. Hätten ihn die Angreifer vielleicht verschont, wenn er sich nicht von der Bank erhoben hätte? Warum hatte niemand einen der Männer festgehalten oder zumindest ein Video des Angriffs gemacht?

Vorwürfe will er jedoch niemandem machen. «Das ganze dauerte nur wenige Minuten», sagt er. Die Türsteher seien schnell zur Stelle gewesen und hätten auch unverzüglich die Polizei alarmiert. «Wären sie nicht gekommen . . .  die hätten noch weiter zugeschlagen.»

Noch am Wochenende der Tat postete Davide vom Spitalbett aus ein Selfie seiner Verletzungen und informierte die Medien in der Hoffnung, Hinweise auf die Angreifer zu bekommen. Bereits am Montag berichteten die Tageszeitungen vom Vorfall, die Onlinemeldung von MANNSCHAFT verbreitete sich schnell.

Die Politik handelt
Die Polizei geht bei der Tat nicht von einem Hassverbrechen aus, sondern spricht in der Medienmitteilung von einem «verbalen Streit». Politisch gesehen kam die Tat – so furchtbar es ist – zu einem optimalen Zeitpunkt und setzte ein wichtiges Zeichen. Zwei Wochen später stimmte der Nationalrat einer Motion von Nationalrätin Rosmarie Quadranti zur statistischen Erfassung von Hassverbrechen gegen LGBTIQ zu (MANNSCHAFT berichtete). Das Ergebnis war mit 97 zu 94 Stimmen äusserst knapp. Nun geht es  in den Ständerat.

Der Angriff auf Davide, aber auch derjenige auf das schwule Paar nach der Zurich Pride (Mannschaft Magazin berichtete), habe die Bevölkerung betroffen gemacht, sagt Roman Heggli, Geschäftsleiter Pink Cross, gegenüber der MANNSCHAFT. «Wir wissen aber aus unserer Arbeit, dass solche Attacken leider keine Einzelfälle sind, sondern regelmässig stattfinden. Die statistische Erfassung würde dies endlich beweisen und dieser Teilsieg ist deshalb ein grosser Meilenstein für uns», sagt er zur nationalrätlichen Abstimmung.

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Davide fokussiert sich weiterhin auf seine Genesung. Aufgrund seiner Nasenoperation wurde er drei Wochen krankgeschrieben, die geplanten Ferien musste er absagen. Doch er hat auch Erfreuliches zu berichten. Enrico ist mittlerweile sein Partner. «Das war in der Tat ein sehr spezielles Kennenlernen», sagt Davide und schmunzelt zum ersten Mal im Gespräch. «Unseren ersten gemeinsamen Tag haben wir auf der Polizeiwache verbracht.»

Homophobie
Das Hassverbrechen hat sie zusammengeschweisst: Davide (links) und Enrico. (Bild: zvg)

Für Davide war der Gang an die Öffentlichkeit der richtige Schritt, gerade, um die Aufmerksamkeit auf solche Vorfälle zu lenken. «Es ist keine schöne Geschichte, muss aber besprochen werden», sagt er. «So kann man vielleicht etwas bewegen, denn Schweigen nützt niemandem.»

Der vollständige Artikel ist im November-Heft der MANNSCHAFT erschienen. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.


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