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«Heartstopper»: Wenn sich der Hetero plötzlich in den Homo verliebt

Bei Netflix kommt diese Woche die Verfilmung von Alice Osemans erfolgreichem Graphic Novel raus

Heartstopper
Kit Connor (l.) und Joe Locke in «Heartstopper» (Foto: Netflix)

Vor anderthalb Jahren kaufte See-Saw Films die Rechte an den Graphic Novels von Alice Oseman über eine ungewöhnliche Liebe zwischen den Oberschülern Nick und Charlie. Jetzt kommt die Verfilmung durch Euros Lyn («Sherlock») am Freitag bei Netflix raus.

Die 27-jährige Alice Oseman hatte ihren ersten Buchvertrag bereits im Alter von 17 in der Tasche. Ihre Bücher beschäftigen sich mit den Problemen von Teenager*innen in Grossbritannien heute. Dafür bekam sie mehrere Preise. Den internationalen Durchbruch schaffte Oseman 2018 mit dem schlicht gehaltenen Tumblr-Webcomic «Heartstopper» – mit zwei Charakteren, die auch schon 2015 Teil ihrer Novelle «Nick and Charlie» waren und dann Teil ihres Debüts «Solitaire» wurden.

«Heartstopper»
Das «Heartstopper»- Cover von Band 1 (Foto: Hachette Children’s Group)

Der Webcomic erschien schnell auch gedruckt und schildert ohne grosse künstlerische Komplikationen (wie z. B. die Überlagerung von Zeitebenen in Alison Bechdels «Fun Home») die Geschichte von Charlie Spring und Nick Nelson, die zusammen zur Schule gehen. Wegen des enormen Erfolgs folgte im Oktober 2018 ein zweiter Band, im Juli 2019 ein dritter und dann im Mai 2021 der bislang letzte vierte Teil. Die Fan-Base der Bände sind vor allem junge weibliche heterosexuelle Leserinnen, weswegen die Bücher von LGBTIQ-Medien kaum beachtet wurden. Man könnte fragen, ob die Leserinnen an einem «anderen» Männerbild in dieser Geschichte Gefallen finden, das sogenannte toxische Männlichkeit überwunden zu haben scheint (MANNSCHAFT berichtete über verschiedene Versuche, toxische Männlichkeit hinter sich zu lassen).

Heartstopper
Doppelseite aus der Graphic-Novel-Version von «Heartstopper» (Foto: Hachette Children’s Group)

«Handsome Devil»
Das «Neue» an der Geschichte ist, dass Charlie schwul ist und unverhofft neben Nick im Klassenzimmer sitzen muss, dem Rugbystar der Schule. Klingt ein bisschen wie «Handsome Devil» (2016) mit Nicholas Galitzine als Rugbystar Conor und Fionn O’Shea als schwulem Nerd Ned, der plötzlich mit Conor ein Zimmer im Internat teilen muss und mit der geballten toxischen Männlichkeit an seiner Schule konfrontiert ist. («Handsome Devil» ist auch bei Netflix verfügbar.)


Doch bei «Heartstopper» nimmt die Geschichte einen grundsätzlich anderen Verlauf. Denn Nick entpuppt sich nicht als heimlicher Homosexueller (wie bei «Handsome Devil»), sondern freundet sich mit Charlie an und entdeckt als Hetero seine Gefühle für den neuen besten Freund. Gefühle, die er dann auch wagt, weiterlaufen zu lassen.

«Handsome Devil»
Poster zum Film «Handsome Devil» (Foto: Netflix)

Auch wenn das nun als Teenagergeschichte erzählt wird, kann man sich davon erinnert fühlen an Hanya Yanagiharas Bestseller «Ein wenig Leben» (2015), wo der heterosexuelle Actionheld aus Hollywood, Willem, irgendwann bemerkt, dass er sich am wohlsten in der Nähe seines besten schwulen Freundes aus Uni-Tagen fühlt, Jude, und nicht, wenn er von Frauen umringt ist, die ihn alle wegen seiner Attraktivität und Coolness anhimmeln. Obwohl Willem erst erschrickt, was das bedeutet, geht er schliesslich aktiv auf Jude zu und bittet diesen, mit ihm als Paar zusammenzuleben. Woraus sich bei Yanagihara eine der herzzerreissendsten und schönsten Liebesgeschichte der LGBTIQ-Literatur entwickelt, bei der Willem und Jude herausfinden müssen, wie sie mit ihren unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen miteinander umgehen können, um glücklich miteinander zu sein.

10.000 Bewerber für Hauptrollen
Von der Komplexität von «Ein wenig Leben» ist «Heartstopper» weit entfernt, aber es ist dennoch spannend zu sehen, wie hier neue Formen von Homo/Hetero-Partnerschaft und -Liebe mit jugendlichen Charakteren durchgespielt werden, Bisexualität thematisiert wird und überhaupt sexuelles Begehren als fluide und breiter dargestellt wird, als in Film- und Serienformaten üblicherweise der Fall.


Zugleich wird detailliert gezeigt, wie die Mitschüler*innen und Familienmitglieder von Nick und Charlie aus die neue Partnerschaft reagieren – nämlich vollkommen gelassen.

 

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Netflix hat die Geschichte in acht Folgen aufgeteilt, die Titel der einzelnen Folgen machen den groben Handlungsbogen klar: «Meet», «Crush», «Kiss», «Secret», «Friend», «Girls», «Bully» und «Boyfriend». Joe Locke und Kit Connor sind in den Hauptrollen besetzt, nachdem zum Vorsprechen scheinbar 10.000 Darsteller auftauchten und sich um die Rollen bemühten.

Introducing Kit Connor and Joe Locke as Heartstopper’s Nick and Charlie!!
🌈🍂💕
I’m so excited to share this pic of them on set!! Kit and Joe are so talented, sweet and funny, it’s been so much fun getting to know them. Please join me in showing them some love & support today!! pic.twitter.com/thT2AnMppI

— Alice Oseman Updates (@AliceOseman) April 22, 2021

Die Serie wurde zwischen April und Juni 2021 in England gedreht, am 1. März 2022 gab es einen ersten kurzen Teaser, am 13. April folgte dann der ausführliche Trailer. Die Titel der Einzelfolgen wurden am 19. April bekanntgegeben.

Der walisische Regisseur Euros Lyn – selbst mit einem Mann verheiratet – führte bereits Regie bei Einzelfolgen der britischen LGBTIQ-Serie «Cucumber», ebenso bei «Daredevil» und «Broadchurch» sowie bei «Torchwood», «Doctor Who» und «Sherlock». Man kann ihn also als absoluten Profi bezeichnen, was Erfolgsserien angeht.

Mit «Heartstopper» erweitert Netflix sein beachtliches Sortiment an LGBTIQ-Serien mit jugendlichen Charakteren (MANNSCHAFT berichtete über die geplante zweite Staffel von «Young Royals»).

«Minus 60 Prozent in gerade einmal fünf Monaten»
Der Start von «Heartstopper» am 22. April fällt zusammen mit verheerenden Geschäftszahlen von Netflix diese Woche: die Aktie des Streaming-Unternehmens verlor um 30 Prozent, weil das Streaming-Geschäft offensichtlich doch keine unbegrenzten Wachstumsmöglichkeiten bietet. Das jetzige Minus von 30 Prozent kommt auf die bereits zuvor um 30 Prozent abgesunkenen Aktien obendrauf!

Die Neue Zürcher Zeitung schreibt am heutigen Mittwoch: «Minus 60 Prozent in gerade einmal fünf Monaten? Wer noch vor einem Jahr prognostiziert hätte, dass die Aktie von Netflix in so kurzer Zeit so viel nachgeben würde, wäre wohl für verrückt erklärt worden. Denn damals galt Streaming als Wachstumsmarkt mit grenzenlosem Potenzial.»

Auch die Aktien von Konkurrenten wie Disney sind an der Wallstreet eingebrochen – und die Erklärung dafür sei relativ einfach: «Netflix hat im ersten Quartal dieses Jahres weltweit erstmals seit längerer Zeit Abonnent*innen verloren und rechnet im Frühjahr sogar noch mit weiteren Abgängen», so die NZZ. (MANNSCHAFT hatte über die düsteren Geschäftsprognosen für 2022 berichtet.)

Heartstopper
Szene aus «Heartstopper» mit Kit Connor (l.) und Joe Locke (Foto: Netflix)

Das Nachrichtenprotal Pink News weist darauf hin, dass es zum Serienstart auf Netflix eine Sonderausgabe des Graphic Novel von Oseman geben werde, mit einem neuen Cover, auf dem man Joe Locke und Kit Connor sieht.


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