Eingesperrt im Advent: Viele LGBTIQ-Jugendliche suchen Hilfe
Weshalb die «Einsamkeitspandemie» LGBTIQ-Jugendliche besonders stark trifft
Ein Lockdown verschärft familiäre Konflikte und verstärkt Angst- und Einsamkeitsgefühle. Zwei Beratungsstellen für LGBTIQ-Jugendliche – «COURAGE» in Österreich und «du-bist-du» in der Schweiz – erklären, weshalb diese Bevölkerungsgruppe besonders unter den Lockdown-Bedingungen leidet.
Die Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie haben Nebenwirkungen: Es geht um Angst vor Vereinsamung und Isolation. Für diejenigen, die mit anderen Menschen auf kleinem Raum zusammenleben, wirkt der Lockdown hingegen wie ein Katalysator für Konflikte in der Familie oder der Wohngemeinschaft. Die österreichische Beratungsstelle «COURAGE» weiss aus erster Hand: Vor allem für LGBTIQ-Jugendliche können solche Bedingungen fatale Auswirkungen haben.
«Fühlen sich im Stich gelassen» «Besonders hart trifft es LGBTIQ, die von ihren Familien nicht unterstützt oder sogar abgelehnt werden», sagt Johannes Wahala, Leiter der Beratungsstelle COURAGE. Speziell betroffen sind nach seiner Erfahrung vor allem trans Frauen, da diese oft wenig Rückhalt und Unterstützung erhalten. Es fehlen ihnen derzeit sichere Begegnungsräume.
«Die meisten Jugendlichen leiden momentan unter den fehlenden sozialen Kontakten», erklärt Johannes. «Viele von ihnen fühlen sich mit ihren Gedanken, Sorgen und Problemen im Stich gelassen, da die familiäre Unterstützung oftmals fehlt. Daher haben wir uns entschieden, im Dezember unsere Gruppenangebote wieder zu ermöglichen – selbstverständlich mit den nötigen Corona-Schutzmassnahmen.»
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Der Austausch fehlt Auch die Schweizer Beratungsstelle «du-bist-du» spürt die Folgen der geschlossenen Treffpunkte für LGBTIQ-Jugendliche. «Der Austausch mit anderen Queers ist enorm wichtig», sagt Markus Trachsel, Programmleiter bei «du-bist-du».
«Dazu kommt, dass Orte für Queers eine Art Verschnaufpause zum hetero- und cisnormativen Alltag bieten», so Markus weiter. Viele junge LGBTIQ-Menschen seien nun in einem Umfeld eingesperrt, in dem sie Diskriminierung erleben oder sich dauernd verstellen müssen.
Telekommunikative Beratung Die Beratungsstelle COURAGE musste diese Beobachtung ebenfalls machen, wie Johannes berichtet: «Viele LGBTIQ-Jugendliche erzählen uns, dass Anspannungen bis hin zu Aggressionen in den Familien zunehmen.» Es gebe einen deutlichen Anstieg an Depressionen, Angstzuständen, Panikattacken, Selbstverletzungen bis hin zu suizidalen Gedanken.
Deswegen seien auch im zweiten Lockdown in Österreich die Beratungsstellen offen. Ausserdem habe man sofort im ersten Lockdown telekommunikative Beratungsmöglichkeiten eingeführt.
Fest ohne Familie – «Hätte nicht gedacht, dass mir das wehtut»
In Familie eingesperrt Für die Advents- und Weihnachtszeit erwartet Johannes eine Verschlimmerung der Situation, da in Österreich die Schulen für die Obenstufenschüler*innen geschlossen bleiben. «Viele Eltern, aber auch betreute Wohngemeinschaften erlauben den Jugendlichen nicht, physische Kontakte mit ihren Freund*innen zu haben. Sie fühlen sich dadurch vielfach in der eigenen Familie eingesperrt.»
Die Berater*innen von «du-bist-du» hatten vor allem im vergangenen März einen grossen Anstieg an Anfragen verbucht. Insbesondere das Thema Familie tauchte dabei häufiger auf. Mittlerweile habe sich die Lage etwas beruhigt; es herrschen in der Schweiz ja auch keine Lockdown-Bedingungen mehr.
Mit einem signifikanten Anstieg während der Weihnachtszeit rechnet Markus nicht unbedingt. «Doch wäre es sehr verständlich, wenn in dieser Zeit das Thema Einsamkeit vermehrt aufkäme», sagt er. «Deshalb sind Online-Angebote so wertvoll!»
Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von du-bist-du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.
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