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Ein Leben für die Bilder – Regisseur Peter Greenaway wird 80

Er outete Sergej Eisenstein auf der Leinwand als schwul

Peter Greenaway «Eisenstein in Guanajuato»
Szene aus «Eisenstein in Guanajuato» (Bild: Twitter/andromeda_l_t)

Genialer Künstler oder intellektueller Snob? Der britische Regisseur Peter Greenaway polarisiert das Kinopublikum seit Jahrzehnten in seinem Bestreben, das Kino neu zu erfinden. Auch mit 80 arbeitet er an mehreren Filmprojekten.

Er ist ein preisgekrönter Filmemacher, doch das Kino erklärte Peter Greenaway schon vor längerer Zeit für tot. Schuld daran sei die TV-Fernbedienung in Wohnzimmern. Wohl auch deshalb hat sich der britische Avantgarde-Regisseur der ständigen Erneuerung des Films verschrieben. Seine Werke gelten als provokant, teilweise absurd und sie zeichnen sich durch überwältigende Bilder aus.

Doch keine Sterbehilfe?
Provokation gehört bei Greenaway stets dazu. Über sich selbst sagte er vor Jahren, er wolle mit 80 Sterbehilfe in Anspruch nehmen. «Mir fällt niemand ein, der mit über 80 irgendwas entfernt Sinnvolles gemacht hat», begründete Greenaway, der seit Jahrzehnten in den Niederlanden lebt, seine Idee im britischen Guardian. Immerhin räumte er ein, dass seine Kinder etwas dagegen haben könnten. Am 5. April wird Greenaway 80 Jahre alt. Und hat sich wohl zum Glück von dieser Idee verabschiedet.

Greenaway arbeitet aktuell an mehreren Filmprojekten, darunter das biografische Drama «Walking To Paris» über den Bildhauer Constantin Brancusi. Es ist sein erster Film seit 2015 und dem umstrittenen Porträt über den russischen Filmemacher Sergej Eisenstein.


Umstrittenes Outing
Dass Greenaway in «Eisenstein in Guanajuato» mit eindeutigen Szenen die mutmassliche Homosexualität des Regisseurs von «Panzerkreuzer Potemkin» thematisierte, veranlasste das staatliche russische Filmarchiv damals dazu, seine Unterstützung einzustellen. Greenaway blieb unbeeindruckt. Kreml-Chef Wladimir Putin habe diese Homophobie gefördert, sagte er, als er seinen Film bei der Berlinale vorstellte.

Die Filme des in Wales geborenen Briten sind nicht gerade das, was man als Massengeschmack bezeichnet. Aber sie faszinieren seit 40 Jahren Kritiker*innen und Cineast*innen. Sie beeindrucken durch ihre ästhetisch anspruchsvolle Optik, die von der Renaissance, vom Barock und von altniederländischer Malerei geprägt und oft direkt von Gemälden inspiriert wurden – und lassen viel Raum für Interpretation.

Sein Spielfilmdebüt gab der ausgebildete Maler 1982 mit «Der Kontrakt des Zeichners». Zuvor hatte Greenaway mit zahlreichen Kurzfilmen und der dreistündigen fiktionalen Dokumentation «The Falls» für Aufsehen gesorgt. Denn seine Arbeit folgte keinen gängigen Konventionen – und tut es bis heute nicht. Ihm geht es weniger um eine nachvollziehbare Handlung als um ausdrucksstarke Bilder, die bis ins kleinste Detail durchgestaltet sind. Typisch für seine Arbeit sind auch lange Kamerafahrten oder Totaleinstellungen.


«Der Kontrakt des Zeichners» ist ein opulenter Krimi, der im 17. Jahrhundert spielt und viele Zuschauer irritierte, vielleicht sogar verärgerte. Die Kostüme sind bewusst übertrieben, die Dialoge überspitzt und kompliziert. Und der Film verzichtet am Ende auf eine Auflösung. Wer den Mord begangen hat, erfährt das Publikum nicht. Bis heute gilt Peter Greenaways Debüt vielen als seine beste Arbeit.

Drastische Bilder
Es war der Auftakt zu einer Reihe von gefeierten wie polarisierenden Werken. Es folgten «Ein Z und zwei Nullen» (1985), «Der Bauch des Architekten» (1987), «Verschwörung der Frauen» (1988) und Greenaways bekanntester Film, «Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber» (1989). Die politisch aufgeladene, schwarze Groteske mit Helen Mirren, Richard Bohringer und Michael Gambon schockierte mit Szenen von Kannibalismus und der Zurschaustellung nackter Geschlechtsteile.

Die drastischen Bilder setzte der Regisseur in Verbindung zum politischen Klima in Grossbritannien unter Premierministerin Margaret Thatcher. «Was ist es? Pornografisch, ein wilder Angriff auf Margaret Thatcher, oder beides?», schrieb der berühmte US-Filmkritiker Roger Ebert damals über den Film, den er in höchsten Tönen lobte. «Oder geht es einfach um einen Koch, einen Dieb, seine Frau und ihren Liebhaber?» Greenaway macht es seinem Publikum nicht leicht.

Beinahe ununterbrochen drehte der Brite Dramen, Kurzfilme und Dokumentationen. Immer wieder geht es um Bilder. «Nightwatching – Das Rembrandt-Komplott» von 2007 dreht sich um Rembrandts Gemälde «Nachtwache». Ein Jahr später veröffentlichte er die Dokumentation «Rembrandts Nachtwache – Geheimnisse eines Gemäldes».

Neben dem Filmschaffen ist Peter Greenaway auch in anderen Bereichen aktiv. Mit seiner zweiten Frau, der niederländischen Theaterregisseurin und Künstlerin Saskia Boddeke, kreiert er multimediale Kunst, Installationen und Gemälde. Ihre Werke wurden unter anderem im Rijksmuseum Amsterdam und im Pariser Louvre gezeigt.

Preis für Lebenswerk
Dass so viele Kinofilme auf Büchern basieren, ist Greenaway ein Dorn im Auge, obwohl auch sein eigener Film «Prosperos Bücher» von 1991 auf Shakespeares «Der Sturm» basiert. «Wir verfilmen immer noch Jane-Austen-Romane, was für eine Zeitverschwendung», moserte er 2007 bei einem Filmfestival in Korea. «Wir brauchen kein textbasiertes Kino, wir brauchen Kino, das auf Bildern basiert», forderte er bei einer Veranstaltung der British Academy of Film and Television Arts und empfahl augenzwinkernd, man solle auch alle Drehbuchschreiber*innen erschiessen.

Mit solchen und anderen provokanten Aussagen macht sich Greenaway in seiner Branche nicht nur Freund*innen. Weniger wohlgesonnene Kritiker*innen warfen ihm in der Vergangenheit intellektuellen Snobismus vor, seine komplizierten Filme seien absurder Unsinn. Und doch scheint die Anerkennung für seine Kunst mit den Jahren nur zu wachsen.

2014 erhielt Peter Greenaway bei der Verleihung der Bafta-Awards einen Preis für sein Lebenswerk. «Ich muss sagen, dass ich sehr, sehr überrascht bin, den zu kriegen», gab er in seiner Dankesrede zu und sah sich bestätigt. «Es ist eine Ermutigung nicht nur für mich, sondern für alle, die daran glauben, dass das Kino kontinuierlich neu erfunden werden muss.»


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