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Was ist öffentliche Homophobie: Meinung oder Straftat?

Was sich in der Schweiz ändert, wenn die Anti-Rassismus-Strafnorm auch sexuelle Orientierung berücksichtigt

Diskriminierung Schweiz
Homophobe Schmiererei an der Bahnstation (Foto: Pink Cross)

Ende 2018 hat das Parlament die Anti-Rassismus-Strafnorm auf Diskriminierung wegen sexueller Orientierung erweitert. Rechtskonservative  und christliche Gruppen haben im Frühling das Referendum ergriffen – es kommt zum Abstimmungskampf.

Die beiden Kammern des schweizerischen Parlaments haben sich Ende 2018 darauf geeinigt, die sexuelle Orientierung in die Anti-Rassismus-Strafnorm einzubeziehen. Inter und trans Menschen sollen hingegen nicht besser geschützt werden.

Die christlich-konservative EDU, die rechtskonservative Junge SVP sowie die christliche Arbeitsgruppe «Jugend und Familie» haben daraufhin das Referendum ergriffen. Über 70 000 Menschen haben unterschrieben. Die Gegner*innen des Parlamentsbeschlusses sagen, sie fürchteten um ihre Meinungsfreiheit. EDU-Chef Hans Moser sorgte sich auch um die Pfarrer*innen, die dann Schwierigkeiten hätten, «biblische Wahrheiten» zu zitieren.

Nicht wenige LGBTIQ-Menschen in der Schweiz könnten die Erweiterung bloss als «nice to have» ansehen. Braucht es diesen zusätzlichen Schutz wirklich dringend? Näher betrachtet steht nicht weniger als die Definition von Homophobie auf dem Spiel: Entweder gelten nach der Abstimmung homophobe Parolen in der Öffentlichkeit als Straftat oder als Teil der Meinungsfreiheit.


MANNSCHAFT erörtert anhand von vier Beispielen, welche Konsequenzen der Abstimmungsausgang für den Alltag haben wird. Hierzu befragten wir Dominic Nellen, Vertrauensanwalt von Pink Cross.

Beispiel 1: Homophober Vandalismus
Im Sommer war am Bahnhof Steinibach im Kanton Bern in grossen Buchstaben zu lesen: «Lespen + Schwule menschlicher Abschaum» (MANNSCHAFT berichtete). Der zuständige RBS (Regionalverkehr Bern-Solothurn) liess die Schmiererei entfernen und erstattete Anzeige gegen unbekannt. Wie Dominic Nellen damals schon gegenüber der Mannschaft sagte, wäre bei einer Verurteilung nur der Tatbestand der Sachbeschädigung relevant.

Ohne die Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm würde die verantwortliche Person so bestraft werden, als hätte sie ein Smiley oder das Peace-Zeichen an die Wand gemalt. Möglicherweise würde die Richterin oder der Richter die Strafe innerhalb des zur Verfügung stehenden Spielraums leicht erhöhen. «Eine separate Verurteilung wegen eines Hassverbrechens gäbe es aber nicht», sagt Nellen. Mit der Ausweitung wäre die homophobe Schmiererei – genau wie eine rassistische Schmiererei – eine zusätzliche Straftat.


Beispiel 2: Verweigerung einer Dienstleistung
2011 mussten zwei schwule Männer eine Pizzeria in St. Gallen verlassen, weil sie sich kurz geküsst hatten. Der Rauswurf hatte für den Lokalbesitzer keinerlei juristische Konsequenzen. «Einer Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung den Zutritt in ein Restaurant zu verweigern, ist in der Schweiz heute legal», so Nellen.

Würde die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm umgesetzt, sähe dies künftig anders aus. Dann wäre nämlich das Verweigern einer für die Allgemeinheit bestimmten Leistung nicht nur aufgrund der Hautfarbe, Ethnie oder Religion, sondern auch wegen der sexuellen Orientierung einer Person verboten.

In diese Kategorie gehört auch der Fall des homophoben Konditors in den USA, der nicht bereit war, eine Hochzeitstorte für ein schwules Paar zu backen. Grund: seine «religiöse Überzeugung». Der Supreme Court entschied vor einem Jahr, dass dies sein Recht sei.

Beispiel 3: Hetze und Aufruf zur Diskriminierung
Homosexuelle würden «Pädophile unterstützen». Sie seien eine «zusätzliche Gefahr» für den demografischen Niedergang Europas, weil sie unfruchtbar seien. Ihre adoptierten Kinder seien «seelische Zeitbomben». Diese Aussagen stammen aus einem im August 2018 von Florian Signer verfassten Onlineartikel der «Partei national orientierter Schweizer» (MANNSCHAFT berichtete).

Der Appenzeller schlug vor, das «Problem» Homosexualität nach russischem Vorbild mit Verboten zu «lösen». Auch medizinische Eingriffe zur «Heilung» der Homosexualität und eine Strafsteuer hält Signer für adäquat. Pink Cross und über 250 Privatkläger*innen reichten am 1. Oktober 2018 Strafanzeige ein. Dominic Nellen agierte dabei als deren bevollmächtigter Rechtsanwalt.

Im Januar 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Appenzell Innerhoden das Verfahren ein. Sie sah weder den Tatbestand der Ehrverletzung noch den der Rassendiskriminierung erfüllt. «Die Staatsanwaltschaft argumentierte in ihrer Begründung, dass Ehrverletzungen nur Einzelpersonen und nicht ganze Gruppen betreffen könnten», erklärt Nellen.

Minderheiten als Personengruppen finden Schutz durch die Anti-Rassismus-Strafnorm. Da jedoch die sexuelle Orientierung nicht miteinbezogen wird, war der Beschuldigte auch in dieser Hinsicht fein raus. Nellen ist sicher: Mit einer erweiterten Anti-Rassismus-Strafnorm wäre dieser Fall von homophober Hetze mit einem Schuldspruch und einer Bestrafung ausgegangen. Dies erwähnte sogar die Staatsanwaltschaft Appenzell Innerhoden explizit in ihrer Einstellungsverfügung.

Vater schneidet schwulem Sohn fast die Kehle durch

Beispiel 4: Homophobe Äusserungen im Privaten
Befürworter des Referendums behaupten gerne, dass künftig jede homophobe Aussage eine Verurteilung zur Folge haben könnte. Das sei Unsinn, sagt Nellen. «Wer das Bedürfnis hat, unter Freund*innen am Stammtisch schwulenfeindliche Witze zu erzählen, kann dies auch nach der Ausweitung tun.» Äusserungen im Privaten seien nie ein Verstoss gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm.

Für Dominic Nellen ist klar: Den Befürworter*innen des Referendums geht es nicht um die eigene Freiheit. Der Grossteil der Unterschriften stamme aus evangelikalen und rechtskonservativen Kreisen, wo man Homosexuelle per se ablehne und ihnen so wenig Schutz wie möglich geben möchte. So gesehen sei die bevorstehende Abstimmung auch ein Test für die Schweiz: «Denn den Wert einer Gesellschaft erkennt man immer an ihrem Umgang mit Minderheiten», so Nellen.

«Das Referendum wird scheitern»

Letztlich gehe es um die Frage, ob das Recht der Meinungsfreiheit über den Schutz von Minderheiten gestellt werde. «Dass die Schweiz offen ist für den Schutz der LGBTIQ-Community, zeigt sich in der Tatsache, dass die Ehe für alle eine klare Mehrheit findet», sagt Nellen. Der Anwalt von Pink Cross ist deshalb überzeugt, dass das Referendum scheitern wird.

Dass Homophobie bisher nicht als solche verurteilt wird, ist einer der Gründe, weshalb die Schweiz im europäischen LGBTIQ-Ranking auf dem schwachen 27. Platz liegt. Derweil werden in verschiedenen Kantonen Vorstösse eingereicht, in denen gefordert wird, dass homophobe Hassdelikte statistisch erfasst werden sollen.

Wann genau über die Ausweitung entschieden wird, ist noch nicht bekannt. Gemäss Pink Cross ist der erste mögliche Abstimmungstermin der 9. Februar 2020. Fakt ist, dass der Abstimmungskampf kommen wird und die Gegner*innen die Meinungsfreiheit als ihr Hauptargument ins Feld führen werden. Dann gilt es, der Bevölkerung zu zeigen, wo die Meinung aufhört und die Straftat anfängt.


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