«Der zweite Blick: Frauen»: Ausstellung im Bode-Museum mit «Männer»-Route

In der Reihe «Der zweite Blick» widmet man sich auf der Berliner Museumsinsel jetzt der «Gleichberechtigung der Geschlechter»

Das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel im Oktober 2021 (Foto: 777 S / Unsplash)
Das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel im Oktober 2021 (Foto: 777 S / Unsplash)

Das Bode-Museum in Berlin setzt seine «Der zweite Blick»-Reihe fort. Nachdem es in der ersten Intervention um «Spielarten der Liebe» und LGBTIQ ging, sind nun «Frauen» dran. Sechs Rundgänge laden ein, 62 Objekte in der Dauerausstellung zu diesem Thema kritisch zu hinterfragen. Dabei widmet sich ein Rundgang «Männern» und der «Gleichberechtigung der Geschlechter».

«Die Männer zu ignorieren, wäre unwissenschaftlich gewesen», sagt Kuratorin María López-Fanjul y Díez del Corral zu MANNSCHAFT. Deshalb wird zwischen «Frauen in biblischen und christlichen Erzählungen» oder «Frauen in der griechisch-römischen Mythologie» (Raub der Prosperina, Daphne, Leda und der Schwan usw.) gefragt, welche Rolle eigentlich Männer in all diesen Mythen und Geschichten einnehmen. Und was für Männlichkeitsideale dabei kommuniziert werden.

Im Katalog heisst es dazu: «Die Gleichstellung verfolgt mehrere Ziele, beispielsweise Diskriminierung beseitigen, Gewalt gegen Frau und Mädchen stoppen, den gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen ermöglichen. Studien haben ergeben, dass die Überwindung von Ungleichheit von Männern durchschnittlich als weniger relevant erachtet wird als von Frauen. Um das Thema der Gleichberechtigung der Geschlechter im Kontext dieser Ausstellung aus einer möglichst breiten wissenschaftlichen Perspektive zu beleuchten, verfolgt diese Route die Frage: Gibt es im Bode-Museum Männer, wiedergegeben in den Kunstwerken, als Auftraggeber, Künstler oder Mäzenen, die sich rückblickend für die Gleichberechtigung der Geschlechter eingesetzt oder Frauen in ihrem Umfeld unterstützt haben?» (MANNSCHAFT berichtete über den schwulen Bode-Mitarbeiter Friedrich Bange.)

«Herkules als Besieger der Hydra», Tonstaue aus dem 17. Jahrhundert nach Art des Giambologna (Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin / Antje Voigt)
«Herkules als Besieger der Hydra», Tonstaue aus dem 17. Jahrhundert nach Art des Giambologna (Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin / Antje Voigt)

Gesellschaftliche Aufgabe Natürlich gibt es sie. Und es sei eine «gesellschaftliche Aufgabe», um aus ihren Geschichten bzw. Biografien «zu lernen». Vorgestellt werden sollen aber auch weniger vorbildliche Männer – Paradebeispiele von sogenannter toxischer Männlichkeit –, um auch von ihnen zu lernen und bei der Tradierung vermeintlicher Ideale «achtsamer zu werden».

Denn neben den Unterstützern von Gleichberechtigung gibt es Beispiele wie den griechischen Muskelprotz Herkules, der in den 1990er-Jahren nochmals neue Popularität erlangte über den gleichnamigen Disney-Film. «Was nur selten, oftmals unkommentiert, erzählt und bei Kinderbüchern und -filmen meist gänzlich ausgespart wird, ist, dass Herkules Frauen belästigte, vergewaltigte und einige seiner eigenen Kinder ermordete.»

Auf diese ausgesparte Geschichte geht das Bode-Museum jetzt ein. Ebenso auf weitere männliche Rollenklischees, die genutzt wurden, um die gesellschaftliche Position von Frauen zu festigen.

«Meist dienen die Frauen in den mythologischen Erzählungen den Männern dazu, ihre körperliche Lust zu befriedigen, die Dynastie zu sichern oder sie sind Mittel zur Macht, da man beispielsweise durch eine Heirat mit ihnen zur Herrschaft über ein Gebiet gelangte», heisst es im Katalog.

Im Christentum sieht die Sache auch nicht viel besser aus als in der Mythologie: «In der Bibel spiegeln die Frauen- und Männerbilder zumeist eine androzentrische Geschlechterideologie wider. Mit Androzentrismus ist die selbstverständliche Orientierung an dem männlichen Lebenskonzept gemeint, in dem der Mann – im Gegensatz zur Frau – als Norm verstanden wird und ins Zentrum des Denkens gestellt wird.»

Die Skandalgeschichte von Josef und Maria Allerdings wird ein Beispiel aus der Bibel herausgehoben, um zu zeigen, dass es auch anders geht. Und zwar highlighted die Ausstellung die Geschichte von Josef, dem Mann von Maria.

Darstellung der «Geburt Christi» aus dem Elsass, um 1420. Man sieht Josef (r.) schlafend, während Maria ihr Kind zur Welt bringt (Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin / Antje Voigt)
Darstellung der «Geburt Christi» aus dem Elsass, um 1420. Man sieht Josef (r.) schlafend, während Maria ihr Kind zur Welt bringt (Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin / Antje Voigt)

«Mit zwölf Jahren, also etwa mit dem Einsetzen der Pubertät, wurde Maria aus dem Tempel entlassen und in die Obhut des Witwers Josef gegeben, der bereits Kinder aus erster Ehe hatte. Ob Maria und Josef vor der Geburt Jesu verheiratet waren, ist in der Forschung umstritten, oftmals gelten sie als verlobt. Ein niederländisches Relief aus dem späten 15. Jahrhundert zeigt die Besiegelung des Verlöbnisses in Gegenwart des eigentlich jüdischen Hohepriesters, der hier allerdings im Ornat eines christlichen Bischofs wiedergegeben wurde. Der Altersunterschied zwischen Josef und Maria ist deutlich erkennbar. Im übertragenen Sinn könnte man die Konstellation zwischen dem alleinerziehenden Witwer und Maria, die ein Kind erwartet, das nicht von Jospeh gezeugt wurde, aus heutiger Sicht wohl als Patchworkfamilie bezeichnen. Josef ist zunächst verzweifelt, als er, von einer langen Reise zurückkehrend, die 16-jährige Maria im sechsten Monat schwanger vorfindet. Er zweifelt an ihrer Geschichte der jungfräulichen Schwangerschaft und fürchtet die Reaktion der Gemeinde. Eine göttliche Eingebung im Traum gibt ihm den Mut, sie zu unterstützen und nicht zu verstossen. Er steht ihr bei, als sie des vorehelichen Geschlechtsverkehrs bezichtigt werden, unterstützt sie bei der Geburt und zuletzt rettet er Jesus vor dem wohl sicheren Tod, indem er mit ihnen nach Ägypten flieht.»

Dieser Josef wurde oft als «passiv» dargestellt und «leicht übersehen»: «Ganz sicher entspricht Josef in keiner Weise dem Bild eines Mannes der damaligen Zeit, wenn er Maria nicht verstösst, obwohl sie mit einem Kind schwanger ist, das nicht von ihm gezeugt wurde. Ehebruch, darunter fällt auch der Geschlechtsverkehr einer verlobten Person, konnte im Judentum mit dem Tode bestraft werden, in der Realität wurde hingegen meist die Scheidung oder die Auflösung der Verlobung praktiziert; es war aber in jedem Fall ein Skandal.»

Die ursprünglich aus Spanien stammende Kuratorin María López-Fanjul y Díez del Corral vom Bode Museum Berlin (Foto: SPK Benne Ochs)
María López-Fanjul y Díez del Corral, Kuratorin im Bode Museum Berlin (Foto: SPK Benne Ochs)

Josef setzt ein Zeichen gegen die Skandalisierung von Normabweichung. Genau wie später Jesus, u. a. bei seiner Begegnung mit der Samariterin am Brunnen: «Sie war eine Witwe, die offen in einer Beziehung mit einem Mann lebte, ohne mit diesem verheiratet gewesen zu sein. Ihr offenbarte er als Erste, dass er der Messias sei. Er nahm sie als Diskussionspartnerin ernst und sprach mit ihr auch über die Glaubenskonflikte zwischen den Samaritern und Juden.»

Apostel Paulus: Frauen in Führungspositionen Auch der Apostel Paulus spielt eine wichtige emanzipatorische Rolle, weil in den von ihm gegründeten frühen christlichen Gemeinden ungefähr «ein Viertel aller Mitarbeiter*innen, die im Neuen Testament genannt werden, Frauen waren und ihnen selbstverständlich Führungspositionen zukamen», wie er Katalog aufklärt.

Auf die spätere Geschichte von Kaiser Justinian I. (482-565 n. Chr.) und seiner Frau Kaiserin Theodora (500-548 n. Chr.) wird ebenfalls eingegangen. Denn Theodora war eine ehemalige Schauspielerin – «eine Berufsbeschreibung, die damals mit der Prostitution verknüpft war». Theodora soll entscheidenden Einfluss auf die Regierungsgeschäfte genommen haben und war damit eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit. Die ihre Macht auch voll und selbstbewusst ausschöpfte.

Es werden auch Beispiele angesprochen wie das von Lot und seinen Töchtern. Diese machten ihren Vater bekanntlich betrunken, um ihn anschliessend zu vergewaltigen und schwanger zu werden. Wer missbraucht da wen? Wie soll man das Verhalten der Frauen beurteilen, die so gar nicht dem gängigen Opferklischee entsprechen? Und was ist überhaupt mit gewaltsamen Frauen, die Männern leid zufügen oder auch anderen Frauen? Diesen Aspekt hatte das Militärhistorische Museum in seiner bahnbrechenden Ausstellung «Gewalt und Geschlecht» sehr pointiert herausgearbeitet (was auch im Katalog nachzulesen ist). Allerdings hatten solche Provokationen damals den Leiter des Dresdner Museums den Job gekostet. Was die Genialität der Ausstellung aber nicht schmälert.

Von solch provozierender Betrachtung ist man im Bode-Museum noch etwas entfernt, aber auf dem richtigen Weg … und definitiv Vorreiter im Vergleich zu allen anderen Staatlichen Museum zu Berlin.

«Judit mit dem Haupt des Holofernes», 1520/30, eine Alabaster-Darstellung aus den Niederlanden (Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin / Antje Voigt)
«Judit mit dem Haupt des Holofernes», 1520/30, eine Alabaster-Darstellung aus den Niederlanden (Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin / Antje Voigt)

Informationen in Holzkisten und Videos Von all diesen Geschichten erfährt man als Besucher*in, indem man eine bestimmte Themen-Route verfolgt und an den entsprechenden Objekten die ausführlichen Informationen aus den Kisten daneben zieht oder sie online liest. Das lässt sich gut kombinieren mit der LGBTIQ-Route, bei der ebenfalls entsprechende Texte in Holzkisten neben den Objekten aufgestellt sind. Über die man quasi beim Wandeln durch die Dauerausstellung automatisch stolpert, selbst wenn man als Besucher*in nicht explizit nach «Frauen» und «Spielarten der Liebe» Ausschau hält. Vermutlich ist das auch das Ziel der Outreach-Beauftragten María López-Fanjul, die möchte, dass sich möglichst viele Besucher*innen mit diesen gern übersehenen Geschichten auseinandersetzen.

Zusätzlich zu den Texten gibt es zu einzelnen Objekten auch Videos, in denen teils sehr prominente Frauen sich äussern. So spricht beispielsweise Mira Sievers als Professorin für islamische Theologie über Donatellos berühmte «Madonna und Kind» (um 1420). Sie weist auf eine unbekannte Seite von Maria als Gelehrter und wichtiger Gesprächspartnerin hin, sie vergleicht den Schleier, den Maria trägt mit der islamischen Tradition des Schleiertragens. Und sie wagt sogar einige sehr private Kommentare.

Auch die Soldatin und trans Aktivistin Anastasia Biefang von «Queer BW» ist mit einem eigenen Video dabei und spricht über eine Diana-Staue – also eine Darstellung der Göttin der Jagd. Biefang sagt, es sei wichtig, im Museum den Frauen einen Platz zu geben, die  die Vorstellungen ihrer Zeit durchbrochen hätten. Und die Widerstände – «auch aus den eigenen Reihen heraus» – zu zeigen, die sie überwunden hätten, als ihnen gesagt wurde: «So was macht man doch nicht, das geht doch gar nicht. Da ist nicht dein Platz.» (Anastasia Biefang sprach in MANNSCHAFT über «richtig dumme Fragen», die ihr gestellt wurden.)

Kooperation mit Sexarbeiter*innen und Muskelboys Ein kleiner Sonderraum der «Frauen»-Ausstellung ist einer Koopperation mit dem Frauentreff Olga gewidmet, eine Anlauf- und Beratungsstelle für drogenkonsumierende Frauen, trans Frauen und Sexarbeiter*innen. Das Kurator*innenteam hat diese Frauen «ihren» Raum allein gestalten lassen. Und das ist schade, weil die Geschichten der Olga-Frauen besser in die Gesamtausstellung hätten integriert werden können. Denn: so spannend es ist, Mira Sievers zur Jungfrau Maria und ihrer Beziehung zu ihrem Kind zuzuhören, so viel bahnbrechender wäre es gewesen, Sexarbeiter*innen zu Fragen rund um Jungfräulichkeit und Beziehung zu Kindern zu hören. Wobei natürlich das eine das andere nicht ausschliessen muss: man kann auch einfach zwei Videos (oder mehr) anbieten zu Einzelobjekten. (MANNSCHAFT berichtete darüber, wie der Papst während der Corona-Krise Sexarbeiter*innen half.)

Fragen rund um lesbische Sichtbarkeit und Homosexualität stehen bei dieser «Der zweite Blick»-Ausgabe nicht im Vordergrund, sind aber unterschwellig immer präsent. Es lohnt, beide «Zweite Blick»-Rundgänge zu kombinieren. Vielleicht auch in entsprechenden öffentlichen Führungen – und gern mit den Sexarbeiter*innen als Gesprächspartner*innen vor Ort, sollte sich das Bode-Museum trauen, das einmal anzubieten.

Auch hier ist das Bode-Museum Vorreiter in Berlin, denn soweit bekannt ist, kooperiert kein anderes Staatliches Museum mit Sexarbeiter*innen, das tut ansonsten nur das kleine Schwule Museum. Und das bekommt bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit, wie eine Institution auf der Museumsinsel, bei der so viele Berlin-Touristen automatisch vorbeikommen.

Neben dem Bode-Museum befindet sich übrigens der «Muscle Beach» an der Spree. Die Hunks von dort ins Haus zu holen und mit ihnen – vor ausgewählten Männer-Objekten aus der «Frauen»-Ausstellung – über heutige Männlichkeitsideale zu diskutieren, wäre sicher auch spannend. Genauso wie die Diskussion solcher jungen Männer zu ihrer Haltung bezüglich LGBTIQ im «Spielarten der Liebe»-Kontext.

Kurz um: Man darf gespannt sein, wie sich das beim Bode-Museum demnächst weiterentwickeln wird. Beide «Der zweite Blick»-Kataloge sind online gratis herunterladbar.

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