«Ich bin allein. Nicht sozial isoliert, aber allein in der Wahrnehmung»

Trans-Fahne
Symbolbild (Bild: Lia Bekyan, Unsplash)

In ihrem Kommentar* wünscht sich Anastasia Biefang gelebte Gemeinschaft, um Halt zu finden und ihre Angst zu verkleinern vor den realen Gefahren queerer Menschen.

Allein, allein! Dazu erklingt die Melodie des Liedes von Polarkreis 18 in meinem Kopf. Doch hier geht es nicht um Popkultur der späten 2000er, sondern um ein Gefühl, das mich seit Wochen, vielleicht Monaten begleitet. Ein Gefühl, das sich für mich zu einer ernüchternden Wahrheit verdichtet: Ich bin allein. Nicht sozial isoliert, keineswegs. Aber allein in meiner Wahrnehmung, mit meinen Sorgen, Ängsten und meinem Blick auf die Welt, in der ich lebe.

Ich lebe seit Jahren in zwei Welten, einer beruflichen und einer privaten. Ich habe darüber hier schon das ein oder andere Mal geschrieben und dachte, ich hätte mich damit so gut es geht arrangiert. Doch seit einigen Monaten fühle ich mich zunehmend von meiner beruflichen Welt belastet.

«Viele meiner nicht queeren Kamerad*innen nehmen nicht wahr, wie queeres Leben im In- und Ausland an den Rand gedrängt und unsichtbar gemacht werden soll.»

Anastasia Biefang

Zunächst glaubte ich, die Unterschiede zwischen meiner queeren Berliner Lebenswelt und der stark männlich- heteronormativ geprägten Atmosphäre meines beruflichen Umfelds setzten mir stärker zu, als ich mir eingestehen wollte. Dass der Wechsel zwischen diesen Welten mich aufreibt und das ungleiche Zeitverhältnis zulasten meines queeren Lebens seinen Tribut fordert. Das klang für mich nachvollziehbar und logisch. Aber ganz so «einfach» ist es nicht.

Gespräche, die ich mit Kamerad*innen führte, hinterliessen in mir ein Gefühl von Enttäuschung und Leere. Und eines Abends wurde mir klar: Mein Blick auf die Welt, wie sie derzeit ist, ist natürlich der einer transidenten, queeren Person. Eine Perspektive, die die meisten meiner Kamerad*innen nicht erfahren, nicht sehen können oder wollen.

Natürlich sind unsere Antennen anders ausgerichtet, in vielerlei Hinsicht feiner eingestellt. Das war und ist mir bewusst. Ich rede hier nicht davon, dass falsche Pronomen verwendet werden, Geschlecht am äusseren Erscheinungsbild gelesen wird oder dass dem Thema «Queer» vermeintlich zu viel Raum im öffentlichen Diskurs gegeben wird. Nein, ich meine etwas anderes: Viele meiner nicht queeren Kamerad*innen nehmen nicht wahr, wie queeres Leben im In- und Ausland an den Rand gedrängt und unsichtbar gemacht werden soll. Sie erkennen nicht, dass diese Entwicklungen reale Gefahren für queere Menschen im Alltag bedeuten. Für sie bleiben es abstrakte Bedrohungen, die sie nicht erleben und deshalb nicht als solche begreifen. Das macht sie faktisch blind.

Ich erwarte tatsächlich, dass Menschen in meinem Umfeld, wenn sie fragen «Wie geht es dir?», auch erkennen, was mein, was unser emotionales Erleben beeinflusst. Ich möchte nicht ständig erklären müssen, dass wir gerade in einer Weise betroffen sind, die nicht-queere Menschen nicht trifft. Ich wünsche mir, dass diese Menschen sich damit auseinandersetzen und uns das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Dass sie verstehen, weil sie über die eigene Betroffenheitszone hinausblicken.

Das wäre gelebte Gemeinschaft. Sie würde mir Halt geben und meine Angst kleiner machen.

Anastasia Biefang (Illustration: Sascha Düvel)
(Bild: Sascha Düvel)

Die trans Perspektive

Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.

[email protected] Illustration: Sascha Düvel

Weitere Beiträge von Anastasia gibt's in der Kolumne «die trans Perspektive»

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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