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Der Tod von Malte: Wieder ein Anlass, sich gegenseitig anzuhassen?

Mit Queers in höchsten politischen Ämtern glaubten sich viele, in der Mitte der Gesellschaft angekommen

Münster
Hafenplatz in Münster (Foto: David Inderlied/dpa)

Der junge trans Mann Malte starb am Freitag in einer Klinik. Er bezahlt seine Zivilcourage mit dem Leben. Was davor – und danach – geschah, nicht zuletzt in den sozialen Medien – analysiert unsere Autorin in ihrem Kommentar.

Ich bin traurig und bedrückt über den Tod von Malte C.. Ich kannte ihn nicht, aber er war ein Teil der grossen Gemeinschaft aus Menschen, die in die Norm dieser Gesellschaft nicht hineinpasst und damit mit mir verbunden. Glaubt Mensch den Aussagen der Polizei und der Berichterstattung, hat der Angreifer zuerst am Rande der CSD-Parade Lesben frauenfeindlich und erniedrigend beleidigt. Malte ist eingetreten für diese Lesben (MANNSCHAFT berichtete). Dabei wurde er von dem Beleidiger angegriffen und tödlich verletzt. Das an sich ist schon unfassbar traurig und bedrückend.

Aber was sich danach abgespielt hat in den (a)sozialen Medien ist für mich viel bedrückender. Ein schwules Online-Magazin mit grosser Reichweite , das sich den Anstrich einer queeren Plattform gibt, beeilt sich, Frauen vom rechten Spektrum bis hin in feministische Kreise für diesen Angriff verantwortlich zu machen. Wieder taucht diese unglaubliche Buchstabenverkettung TERF auf. Daraufhin wüten Feministinnen verständlicherweise zurück.

Was auf der Strecke bleibt, ist die traurige Realität:


1. Der Christopher Street Day ist immer mehr zu einem Umzug verkommen, in dem auch kommerzielle Wagen mitfuhren und die Regenbogenfarben auf ihre Produkte pinnte, wo Models aller Geschlechter Pröbchen verteilten. Der CSD feierte unsere Akzeptanz, unterschätzte aber die Gefahren, die immer noch in der Mainstream-Gesellschaft für queere Menschen lauert.

2. Mit der breiten Medienpräsenz und queeren Personen in höchsten politischen Ämtern glaubten sich viele, in der Mitte der Gesellschaft angekommen.


Viele Queers engagieren sich ehrenamtlich, aus Eigeninitiative oder arbeiten in Vereinen und Organisationen, die sich mit LGBTIQ-Fragen beschäftigen. Wir suchen die Queeros 2022! (mehr)



3. Grabenkämpfe innerhalb der Szene wurden auf sozialen Medien immer mehr auch in die Öffentlichkeit getragen, frauenfeindliche Parolen bis hin zu Morddrohungen gegen Frauen und Andersdenkende wurden offen als berechtigte Kritik geduldet und klammheimlich beklatscht.

4. Vor lauter Nabelschau haben wir aus den Augen verloren, dass die gesellschaftlichen Krisen rund um die Pandemie, den Krieg in der Ukraine und der Inflation immer mehr Menschen in der Mainstream-Gesellschaft wütend machen. In solchen Zeiten sind Sündenböcke/-ziegen willkommen. Lesben, Schwule, trans und inter Menschen – besonders wenn sie sichtbar anders sind –, werden schnell zu Zielen dieser Wut und Hilflosigkeit. Dafür haben wir direkte Beweise in unserer jüngsten Geschichte.

5. Wenn wir jetzt nicht aufhören, uns in unseren verschiedenen Wahrnehmungen zu bekämpfen, wenn wir Andersdenkenden immer undemokratische Sprech- und Denkverbote auferlegen, wenn wir Andersdenkende als ganze Person abschreiben und zum Abschuss freigeben, spielen wir unseren echten Feind*innen in der Mainstream-Gesellschaft nur in die Hände.

Malte hat etwas Grossartiges getan. Er hat sich solidarisch mit den beschimpften Frauen erklärt. Dafür hat er mit seinem Leben bezahlt. Das ist furchtbar für die bedrohten Frauen, für die Menschen, die mit Malte verwandt oder befreundet waren – und es ist ein furchtbarer Schlag für die gesamte Gemeinschaft der „anderen“, der hoffentlich zum Weckruf wird und nicht nur ein Anlass, sich weiter gegenseitig anzuhassen.


*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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