Er machte Jesus schwul: Terrence McNally gestorben
Die 81-jährige Theaterlegende erlag am Dienstag den Folgen einer Corona-Infektion. Er zeigte Maria Callas als Monster und machte Jesus schwul, er löste Skandale aus und hatte auch in Hollywood grossen Erfolg
Jetzt hat Covid-19 den ersten US-amerikanischen Promi erwischt und zugleich einen der bedeutendsten schwulen Dramatiker der Welt: den mit vielen Preisen ausgezeichneten Theaterautor, Opern- und Musical-Librettisten Terrence McNally. Er starb im Alter von 81 Jahren am Dienstag an den Folgen von Corona und lässt seinen Ehemann Tom Kirdahy zurück, ein 57-jähriger Theater- und Filmproduzent.
Der Tod von Terrence McNally hat eine Flut von Beileidsschreiben aus der Unterhaltungsindustrie ausgelöst, wobei schnell klar wird, wie viele heutige Prominente im Laufe der Jahrzehnte in McNally-Stücken aufgetreten sind und ihnen entscheidende Karriereschübe verdanken.
Patrick Wilson beispielsweise, zuletzt in «Aquaman» im Blockbuster-Kino zu erleben, aber auch in der brillanten HBO-Verfilmung von «Angels in America», schreibt auf Twitter: «Meinen ersten Preis bei einem Minifestival in der Highschool bekam ich für einen McNally-Einakter. Meine erste Nominierung für den Tony für ‹The Full Monty›. Er hatte einen monumentalen Einfluss auf meine Karriere und wird sehr vermisst. Ruhe in Frieden, mein Freund.»
Sechs Jahrzehnte am Broadway McNally hat viermal die begehrte Tony-Trophäe für seine Broadway-Produktionen bekommen, erst letztes Jahr wurde ihm ein Tony für «Lifetime Achievement in the Theatre» verliehen. Als Würdigung einer Karriere, die sechs Jahrzehnte umspannt und bei der Stücke entstanden, die auf der ganzen Welt nachgespielt wurden und werden. Viele dieser Stücke haben sich explizit LGBTIQ-Themen gewidmet.
McNally wurde am 3. November 1938 in St. Petersburg, Florida geboren. Seine Eltern stammten aus New York und eröffneten im sonnigen Süden (heute wie damals ein schwules Urlaubsmekka) ein Strandrestaurant. Nachdem ein Hurrikan dieses verwüstete, siedelte die Familie um nach Corpus Christi im ländlichen Texas, eine absolut homophobe Umgebung, in der McNally überlebte, bis er 1956 an die Columbia University in New York City wechselte. Corpus Christi verewigte er später in einem Theaterstück mit gleichen Titel, das einen gigantischen Blasphemie-Skandal auslöste wegen der Darstellung eines schwulen Jesus und Maria Magdalena als Prostituierte mit Aids. McNally bekam Morddrohungen von fundamentalen Christen und Evangelikalen aus den USA. Das Stück setzte sich trotzdem durch!
Die Beziehung mit Edward Albee In New York lernte er über seine Universitätslehrer die Theaterwelt kennen und stürzte sich auch ins schwule Leben der Stadt. Er spielte anfangs mit dem Gedanken einer Journalistenkarriere, versuchte sich aber auch als Dramatiker und schickte ein Stück ans legendäre Actors Studio. Der Mitbegründer des Studios, Elia Kazan und Ehefrau Molly, stellten McNally dem Schriftsteller John Steinbeck («Früchte des Zorns») vor und schlugen McNally als Tutor für dessen Kinder vor.
Kurz darauf begann eine Affäre mit Edward Albee, damals auch ein aufstrebender junger Dramatiker, der mit dem Einakter «The Zoo Story» auf sich aufmerksam machte und dann mit «Wer hat Angst vor Virginia Woolf?» den Superhit landete, der mit Elizabeth Taylor und Richard Burton verfilmt wurde. Es ist ein Stück, das Viele als kaum verhüllte Darstellung einer unglücklichen schwulen Beziehung interpretiert haben, voller unterdrückter Begierden und verdrängter Verletzungen.
Die beiden Männer wohnten in einem Ein-Zimmer-Apartment zusammen, wo auch die Virginia-Woolf-Premierenparty stattfand. McNally lernte über Albee etliche berühmte Broadway-Leute kennen, die 1965 auch zu seinem eigenen Broadway-Debüt kamen: allerdings nur, weil sie sehen wollten, was «der Boyfriend von Albee da macht». McNally fühlte sich ausgegrenzt, als er solche Bemerkungen hören musste. Und Albee seinerseits wollte seine Homosexualität – in einer zutiefst schwulenfeindlichen Gesellschaftsatmosphäre vor Stonewall – nicht öffentlich machen. Er zog sich zurück, während McNally sich für einen anderen Weg entschied: nämlich Homosexualität und die Erfahrungen von Homosexuellen zum zentralen Thema der meisten seiner Werke zu machen.
So sah schwules Leben aus «Es gab natürlich zuvor schon warmherzige schwule Nachbarn in Stücken, an deren Tür man klopfen konnte, wenn man sich einsam fühlte, oder den komischen Schwulen, der im letzten Akt für Erheiterung sorgte, oder es gab die zutiefst neurotischen und überkandidelten Schwuchteln, die im dritten Akt Selbstmord begehen», erzählte McNally in einem Interview. «Aber es gab nie die angepassten oder glücklichen schwulen Charaktere. Sie waren entweder Tunten und komisch, die komplette Parodie eines schwulen Mannes, oder sie waren gestört und Alkoholiker. So sah schwules Leben aus!»
McNally gab trotz heftiger Reaktionen auf seine Stücke nicht auf. 1975 brachte er die Farce «The Ritz» heraus – die in einer Schwulensauna spielt. Als die Filmfassung ins Kino kam, schrieb die New York Times, es kämen darin «zu viele schwule Bäuche, Arme und Gesichter vor, die zu dicht beieinander sind». Die Zeitung ergänzte: «Selbst wenn man Homosexualität toleriert oder sogar akzeptiert, sollte man einen gewissen physischen Abstand wahren.»
McNally wahrte den Abstand nicht. Er schuf schnell einen Hit nach dem anderen, angefangen 1987 mit «Frankie and Johnny in the Clair de Lune», mit Kathy Bates uraufgeführt, später von Garry Marshall («Pretty Woman») verfilmt mit Al Pacino und Michelle Pfeiffer.
Kurz darauf schrieb McNally das vielleicht wichtigste und beste Stück über Operntunten, die Maria Callas vergöttern und sich bis aufs Blut über sie streiten: «The Lisbon Traviata». Und über Callas selbst schrieb er mit «Masterclass» ebenfalls ein Werk, das so ziemlich jede Charakterschauspielerin dieser Welt gespielt hat, u. a. Fanny Ardant und Tyne Daly («Cagney & Lacey», «Spider-Man: Homecoming»). McNally schrieb auch ein Stück über den italienischen Opernkomponist Vincenzo Bellini und seine Männerfreundschaften: die Uraufführung von «Golden Age» übernahm Lee Pace, der später mit «Hobbit» und «Captain Marvel» weltberühmt wurden – und seither nicht mehr über seine Homosexualität sprechen will. Dennoch kondolierte auch er McNally jetzt sehr öffentlich auf Twitter.
Der Kuss der Spinnenfrau Anfang der 1990er-Jahre wandte sich McNally dem Musical zu und adaptierte berühmte Vorlagen wie «Der Kuss der Spinnenfrau» fürs schwule Autorenduo Kander & Ebb («Cabaret», «Chicago»). Das Werk ist nach wie vor ein Meilenstein des LGBTIQ-Musicals. Auch die Textbücher zu «Ragtime», «The Full Monty», «Catch Me If You Can» und «Anastasia» stammen von McNally.
Zum Thema Aids verfasste er in den 1990er-Jahren das Stück «Love! Valor! Compassion!», das von Joe Mantello («The Normal Heart», «Wicked») auch verfilmt wurde, wie fast alle McNally-Werke.
Wenn man sich die wunderbare Doku «Every Act of Life» von 2018 anschaut – im Vorfeld von McNallys 80. Gebrustatg entstanden – und die vielen Stars hört, die in McNally-Stücken bzw. Filmen aufgetreten sind, dann ist es bemerkenswert, mit wem er alles zusammengearbeitet hat: von Meryl Streep über F. Murray Abraham, Nathan Lane, Billy Porter, Angela Lansbury usw. usf.
Alkoholsucht und Lungenkrebs Er schaffte es, seine Alkoholsucht zu überwinden und seiner Karriere neuen Wind zu geben, als er seinen letzten Partner Tom Kirdahy kennenlernte. Gemeinsam meisterten sie sogar McNallys Lungenkrebserkrankung. Diese hinterliess jedoch die Atemwege chronisch blessiert – und damit nicht stark genug für Covid-19. Er starb in Sarasota, Florida – also in der direkten Nachbarschaft von St. Petersburg auf der anderen Seite von Tampa Bay, wo er geboren wurde.
Der «Hamilton»-Autor und «Mary Poppins»-Star Lin-Manuel Miranda nannte McNally nachrufend einen «Riesen in unserer Welt»: «Ich bin dankbar für seine atemberaubende Arbeit und seine unermüdliche Freundlichkeit.»
Eine Ahnung davon vermittelt die Doku von Jeff Kaufman, produziert von Tom Kirdahy. Sie ist auf DVD erhältlich.
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