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Das öffentliche Coming-out – to be continued!

Wie es wirklich um die queere Selbstverständlichkeit steht, erweist sich am ehesten in den Unterhaltungskünsten, meint unser Kommentator

Coming-out
Kerstin Ott (li.) und Jens Spahn: Im Schlagergeschäft und in der Politik klappt es mit Coming-out schon ganz gut (Fotos: Screenshot)

Wie jedes Jahr wurde jüngst der internationale Coming-out-Day begangen (der Schlager-Sänger Matt Stoffers nutzte ihn, der Welt von seiner Homosexualität zu erzählen – MANNSCHAFT berichtete). Der Mut ist bei jedem und jeder zu begrüssen. Und doch muss es weiter gehen, vor allem im Bereich Schauspiel, meint Jan Feddersen im Samstagskommentar*.

Ja, wir sind viel stärker öffentlich präsent denn je – etwa als in jenen Jahren, in denen ich jugendlich und jungerwachsen war. In den Siebzigern, auch noch in den Achtzigern raunte man: Ist der oder die Promi schwul oder lesbisch? Ist, wie man in der Szene kolportierte, dieser oder jene wirklich schwul oder lesbisch?

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Ich will hier gar keine Namen nennen, aber ich wüsste viele: Wäre ja gut möglich, dass deren Erben und Erbinnen im Nachhinein Klage wegen übler Nachrede erheben. So wie beim heldenhaften Antinazi-Juristen Fritz Bauer (der 2019 mit einer Briefmarke geehrt wurde – MANNSCHAFT berichtete), verantwortlich für so viele Strafverfahren gegen Altnazitäter in den fünfziger bis sechziger Jahren.

Es gibt (durchweg heterosexuelle) Menschen aus akademischem und künstlerischem Umfeld, die sagen, von dessen Schwulsein sei nichts wirklich bekannt, denn er habe ja nie etwas selbst in der Sache gesagt. Das ist zwar herzlos und ausserdem an den Fakten vorbei, denn Fritz Bauer starb schon 1968, und in jenem Jahr galt noch der § 175 in seiner Nazifassung. Ein Coming-out hätte unmittelbar Ausgrenzung in einem heute kaum vorstellbaren Sinne bedeutet – von der beruflichen Selbstvernichtung mal ganz sehen.


Schwule und Lesben gehören jetzt zur Schlagerfamilie. Oder?

Aber auch andere Namen gäbe es, solche, die wenigstens die Älteren noch gut kennen: ein «Tatort»-Kommissar war dabei, auch, ein spätes Coming-out, der Schlagergott Jürgen Marcus (der 2018 verstarb – MANNSCHAFT berichtete) oder eine lesbische Schlagerkomponistin. Ach, ja, so viele: Durch ihr verständliches Diskrethalten wurde man selbst dazu ermutigt, lieber nicht auch öffentlich out zu sein. Unverhohlen, unversteckt, also für den sittlichen Verstand früherer Zeiten gab es eigentlich nur – Rosa von Praunheim, dem ein herzlicher Glückwunsch nachträglich übersandt sein soll. Andererseits: Der war Underground, der war nicht wirklich gesellschaftsfähig, nicht «normal» im Sinne von: «schwul, na und?»

Warum ich diese alten Geschichte aufwärme? Weil sich einiges geändert hat, aber doch nicht so entscheidend vieles. In der politischen Arena gibt es Politiker*innen, die aus ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren kein Geheimnis machen, Volker Beck von den Grünen war der erste, dann kam Klaus Wowereit («Arm, aber sexy»-Berlin-Boss), nach ihm Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust und dann überwand auch noch der verstorbene FDP-Chef Guido Westerwelle die Schwelle des So-tun-als-ob-Hetero.

Dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich mutig als schwuler Mann nie versteckte und sogar neulich eine hässliche Bemerkung gegen Männlich-Homosexuelles durch den Altpolitiker Friedrich Merz ertragen musste und sie prima parierte (MANNSCHAFT berichtete), spricht dafür, dass in der politischen Sphäre einiges Gutes und Wirksames passiert ist.


Aber wie es wirklich um die queere Selbstverständlichkeit steht, erweist sich am ehesten in den Unterhaltungskünsten. Die US-Schauspielerin Anne Heche musste massive Karriereeinbrüche verzeichnen, als vor mehr als zwei Jahrzehnten ihre Liaison mit dem Talk-Show-Star Ellen DeGeneres bekannt wurde. Sie bekam weniger bis gar keine Rollenangebote – und als sie einen Film doch realisieren konnte, bat man sie, nicht mit ihrer neuen Flamme zur After-Show-Party zu kommen. Dass das absurd klingt – der Star nicht auf der Party, die ihm zu Ehren gegeben wird? –, versteht sich von allein.

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Aber dass es noch immer so ist, dass schwule und lesbische Schauspieler*innen – von trans Personen ganz zu schweigen – besser nicht out sind und womöglich als Homos sich besser verschwiegen halten, sagt mehr über den Stand unserer Freiheit aus: Überall geht es um Preise für lesbische Sichtbarkeit (als ob es besser nicht auch mehr schwule Sichtbarkeit geben sollte), die sind aber aus öffentlichen Kassen gefördert – wenn es ums ernsthaft Geschäftliche geht, möge alles wieder «in the closet» sein, versteckt, im Schrank, unsichtbar.

Kerstin Ott, der neue Stern am deutschen Schlagerhimmel, mag da als Ausnahme der Selbstsagbarkeit genannt sein, aber sie ist doch auch nicht, denn sie ist zwar unverblümt und selbstbekundet lesbisch, aber sie turnt eben (noch) nicht in der allerhöchsten Liga herum.

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Das gilt, was geschmacklich nicht alle bedauern, ebenso für Patrick Lindner: Schwul und lesbisch geht offenbar nur in den Kreisen, die nicht die besseren oder mittelschichtigen sind, nicht also in den gebildeten Kreisen des Unterhaltungsgeschäfts. Living out and proud: Die gläsernen Decken sind noch stabil. Das muss uns zu denken geben. To be continued!

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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