«Cowboy Carter»: Beyoncés grosser Wurf
Der schwarze Superstar hat die weisse Country-Szene «infiltriert» und ein politisches Statement gemacht
Auf einem weissen Pferd und mit Cowboy-Hut zeigt sich Queer-Ikone Beyoncé für ihr neues Album «Cowboy Carter» – aber der Superstar stellt auch gleich klar: «Das ist kein Country-Album. Das ist ein Beyoncé-Album.»
Von Christina Horsten und Lisa Forster, dpa
Schon die Ankündigung war überraschend. In einem Werbespot während der TV-Übertragung des Super Bowls im Februar verriet Superstar Beyoncé, dass sie ein neues Album herausbringen werde. Zeitgleich erschienen auf ihrer Website Hinweise auf «Act II», das Datum «29. März» – und Musik von zwei neuen Songs: «Texas Hold ’Em» und «16 Carriages». Macht R&B-Star «Queen Bey» jetzt etwa Country-Musik? Das kam für viele Fans noch überraschender als die Albumankündigung selbst.
Die Berliner Dragqueen Gaby Tupper sagt zu MANNSCHAFT, mit Vergleich zu Dolly Parton als weiterer LGBTIQ-Ikone, die gerade ein ungewöhnliches Album veröffentlicht hat: «Wenn die Queen of Country ein geiles Rockalbum machen kann, dann kann umgekehrt Queen Bey auch ein geiles Country-Album machen!»
Am Freitag ist nun dieses Album unter dem Titel «Cowboy Carter» erschienen – der Nachfolger ihres 2022 veröffentlichten Albums «Renaissance», das ihrem schwulen Onkel gewidmet war (MANNSCHAFT berichtet), Es ist das insgesamt achte Solo-Studio-Album von Beyoncé, die mit Dutzenden Millionen verkaufter Alben schon lange zu den erfolgreichsten Musiker*innen der Welt gehört. Es ist ein ganz anderes Beyoncé-Album geworden – fast kein Hip-Hop, auch kein House wie zuletzt – und ein überaus gut gemachtes. Erste Kritiken waren mindestens positiv, teils euphorisch.
«Cowboy Carter» ist viel mehr als ein Ausflug ins Country-Genre. Das Album ist eine beeindruckende Interpretation des Americana-Genres und eingängiger als die letzten Werke von Beyoncé. Es beinhaltet unter anderem Country, Folk, Rhythm und Blues – und viele Hits. Beispielhaft genannt seien das Lied «Daughter», das sich mit einer fingergepickten Gitarrenmelodie und Streichern langsam zu einer schwindelerregenden Folk-Ode mit Operngesang hochschraubt.
Und der Song «16 Carriages». Er überzeugt mit einem stampfenden Beat, Orgel-Klängen, Steel-Gitarre und Beyoncés melancholisch-kraftvollem Gesang über eine Kindheit, in der das lyrische Ich schon im Alter von 15 Jahren hart arbeiten musste. Mutmasslich ist damit Beyoncé selbst gemeint, die schon als Jugendliche mit der Band Destiny‘s Child Erfolge feierte.
Feministische Botschaften Immer im Zentrum der 27 Lieder steht Beyoncés beeindruckend starker Gesang. Auf dem Album haben nicht nur Popstars wie Miley Cyrus oder Post Malone, sondern auch Kult-Country-Acts wie Willie Nelson und Dolly Parton mitgemacht. Von letzterer hat Beyoncé den Hit «Jolene» gecovert. Nur, dass der Song in Beyoncés Version naturgemäss nicht von einer verzweifelten Frau handelt, die eine Rivalin anbettelt, ihr nicht den Mann zu rauben. Die 42-Jährige – die einst ein ganzes Album über den Seitensprung eines (von vielen interpretiert: ihres) Mannes schrieb – hat den Text umgeschrieben. Nun heisst es darin: «Leg dich bloss nicht mit mir an.» Wie bei Beyoncé üblich, strotzt das Album von selbstermächtigenden, feministischen Botschaften.
Dann hat sie auch noch eines der schönsten Beatles-Lieder gecovert. Nicht zufällig hat Beyoncé sich «Blackbird» ausgesucht. Das Lied soll eine Hoffnungsbotschaft für die schwarze Bürgerrechtsbewegung sein, wie Paul McCartney einmal sagte.
Die Single «Texas Hold ‚Em» hat es unterdessen schon an die Spitze der US-Country-Charts «Hot Country Songs» geschafft – als erste Solo-Single einer schwarzen Frau in der Geschichte dieser Musikerhebung. Sie fühle sich geehrt, kommentierte die 42-Jährige, die mit dem Musiker Jay-Z verheiratet ist und drei Kinder hat, per Instagram – aber stellte auch gleich klar: «Meine Hoffnung ist, dass in Zukunft der Hinweis auf die Abstammung eines Künstlers in Hinblick auf die Veröffentlichung von Musikgenres irrelevant sein wird.»
Barrieren überwinden Denn, so schreibt Beyoncé weiter: «Das ist kein Country-Album. Das ist ein Beyoncé-Album.» Seit fünf Jahren arbeite sie daran. «Geboren wurde es aus einer Erfahrung, die ich vor Jahren hatte und bei der ich mich nicht willkommen gefühlt habe … und es war klar, dass ich es nicht war.»
US-Medienberichten zufolge könnte es sich dabei um einen Auftritt von Beyoncé und den Dixie Chicks bei den Country Music Awards 2016 handeln, der von vielen Zuschauer*innen scharf kritisiert und teils rassistisch beschimpft wurde. Die Veranstalter*innen löschten einen Social-Media-Post zu dem Auftritt, anstelle die Künstlerinnen zu verteidigen.
«Aufgrund dieser Erfahrung bin ich tiefer in die Geschichte der Country-Musik eingetaucht und habe unser reiches musikalisches Archiv studiert», schreibt Beyoncé nun. Sie wolle mit dem Album Barrieren überwinden, sich selbst herausfordern und die Grenzen von Musikgenres erweitern und verschmelzen, schreibt Beyoncé – und zeigt sich auf Fotos auf einem weissen Pferd, mit weissem Cowboy-Hut, weissen Stiefeln und Anzug und Fahne in den US-Nationalfarben Weiss, Blau und Rot.
Analverkehr in Nashville Country gilt in den USA nach wie vor als eine Musikrichtung, die hauptsächlich von weissen Männern gemacht und gehört wird. Nicht-weisse Künstler*innen haben es in dem Genre nach wie vor schwer – dabei haben viele von ihnen den Country entscheidend mitgeprägt wie Charley Pride. Auch Superstars wie Ray Charles, Tina Turner, Lionel Richie oder zuletzt etwa Lil Nas X experimentierten mit dem Genre. Die Sängerin Mickey Guyton thematisierte die Herausforderungen zuletzt in dem Song «Black Like Me» – und wurde als erste schwarze Künstlerin in der Kategorie «Beste Country-Solo-Performance» für einen Grammy nominiert.
Zuletzt hatte der Country-Musiker Dallas Dixon Aufmerksamkeit in der Szene erregt mit Liedern, in denen er im Lied «Good Lookin» von Analverkehr mit seinem Freund sang (MANNSCHAFT berichtete).
Der Autor Brian D. Kennedy hat fast zeitgleich seinen Young-Adult-Roman «A Little Bit of Country» veröffentlicht, über einen jungen schwulen Sänger namens Emmet Maguire, der Probleme hat, seine Homosexualität (und Liebe zu Luke Brnes) mit seiner Karriere in Einklang zu bringen – und dann ausgerechnet von einem lesbischen Superstar à la Dolly Parton Unterstützung bekommt.
Geschichtsbewusst Die etablierte Country-Szene mit Hauptsitz in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee zeigte bislang trotz der Albumankündigung relativ wenig Interesse an Beyoncé, und auch die klassischen Country-Radiosender gaben den beiden Singles wenig Aufmerksamkeit. Aber, betonte gerade noch einmal die New York Times: «Beyoncé macht ‹ Cowboy Carter› nicht, um Country zu infiltrieren, sondern als künstlerisches und politisches Statement.»
Das Album sei «eine Verlängerung der Suche des Superstars danach, wie die Kreativität von schwarzen Menschen alle Winkel populärer Musik vorantreibt. Sie umarmt die Musik, nicht die Industrie». Beyoncé ist nun gelungen, nicht nur ein politisches und geschichtsbewusstes Album zu machen. Sondern auch eines, das musikalisch ein grosser Wurf ist.
«Cancel Culture»: Eine neue Form von LGBTIQ-Wadenbeisser-Aktivismus im Internet zielt darauf ab, unliebsame Menschen moralisch zu boykottieren, zu beschämen und aus dem öffentlichen Diskurs zu tilgen (MANNSCHAFT berichtete).
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