«Wo ist deine Mami?» Der Fotoband «Dads» zelebriert neue Realitäten

Die Porträts von Bart Heynen geben intime Einblicke in ein Familienleben, das für Politiker wie Orbán und Putin ein Albtraum ist

«Bart and Rob with their kids»: Foto aus dem Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Bart Heynen / Power House Books)
«Bart and Rob with their kids»: Foto aus dem Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Bart Heynen / Power House Books)

Bart Heynen ist ein belgischer Porträtfotograf, der jüngst mit seiner Familie nach New York gezogen ist. Zu dieser Familie zählen sein Mann Rob und die gemeinsamen Kinder Ethan und Noah.

Vor dem Umzug hat Heynen für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften in Belgien und den Niederlanden gearbeitet. Ab 2011 kamen von ihm eigene Fotobände heraus, u. a. 2016 einer über Menschen, die schlafen – meist zu zweit im Bett (Titel: «Slapers»). Es gibt auch einen Band, der «Warriors» heisst, mit Einzelbildern von jungen Menschen, die sich ihren Weg in der Gesellschaft erkämpfen müssen, teils mit Tränen.

Und nun kommt als neuestes Werk «Dads» mit 152 Seiten heraus, also «Väter»: «a journey into gay fatherhood in the United States», wie es auf der Homepage des Fotografen heisst.

Der Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Power House Books)
Der Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Power House Books)

In der Einleitung zum Buch erzählt Bart Heynen eine Anekdote. Er sei erstaunt gewesen, als er erstmals hörte, wie ein Freund seines Sohnes gefragt habe: «Wo ist deine Mami?» Heynens Sohn antwortete: «Ich habe keine Mutter. Ich habe einen Papa und einen Daddy.» (MANNSCHAFT berichtete über eine glückliche Dreierbeziehung von «Daddy, Papa und Dada» mit zwei Kindern.)

Adoption, Leihmutterschaft oder Eizellenspende Das war für Heynen eine Art Coming-out-Antwort seines Sohnes, wie er sie selbst vielfach geben musste bzw. muss mit: «Ich habe keine Frau, ich habe einen Mann.» Und als Unterstützung von solchen Coming-outs von Kindern schwuler Väter hat Heynen in den letzten vier Jahren – Corona hin oder her – über 40 schwule Männer in den USA porträtiert, die sich ihren Wunsch von Elternschaft erfüllt haben durch Adoption, Leihmutterschaft oder Eizellenspende.

Sein Ziel sei es gewesen, «einen intimen Einblick» in das Familienleben von Menschen zu geben, «deren Lebensrealität oft nicht gesehen wird», wie Philipp Kienzl in Die Zeit schreibt. Und: «Das Bewusstsein der Gesellschaft für eine Art von Familienplanung zu wecken, die erst seit Kurzem und nur in wenigen Ländern der Welt möglich ist.»

Um seinen Kindern zu zeigen, dass sie nicht die Einzigen sind, die zwei Väter haben, durften Ethan und Noah zu fast allen Fotoshootings mitkommen. Sie sind, wie’s heisst, bis heute mit einigen der anderen Kinder befreundet. Ein Foto von Heynen und seiner Familie ist natürlich auch im Buch.

Auf den Fotos sieht man überwiegend junge attraktive Männerpaare, die eine gewisse Erfolgsaura ausstrahlen, die sich erkennbar um Fitness und ihren Körper kümmern, die in recht angenehmem Ambiente leben, und die nun mit ihren kleinen niedlichen Kindern vor der Kamera stehen oder gemeinsam im Bett liegen. Das hat einen hohem Knuddel- und Wohlfühlfaktor. So dass die spontane Reaktion die gleiche ist, die man bei Bildern von Anne Geddes hat: sie setze einst Babys in Blumentöpfe und schaffte damit einen eigenes Marktsegment in der Kinderfotografie. 

Gleichberechtigte Väter ohne traditionelle Geschlechterrollen «Alle Szenen waren echte Momente», sagt Heynen in seinem Buch. Er habe die Paare und ihre Kinder beim Kochen des Abendessens, bei Familienfesten, beim morgendlichen Zurechtmachen oder noch verschlafen im Bett fotografiert. Manche Bilder zeigen auch die Geburt des Kindes. andere ein Treffen mit den Leihmüttern.

Das Erstaunlichste sei dabei gewesen, wie gleichberechtigt die Väter in ihren Partnerschaften miteinander umgingen, meint Heynen. «Die Arbeitsteilung war oft ausgeglichen, die Erziehungsaufgaben waren austauschbar. Sie haben ja auch nicht die traditionellen Geschlechterrollen, auf die sie zurückgreifen können. Es könnte auch für heterosexuelle Eltern erfrischend sein, die Rollen ein wenig mehr zu vermischen.»

Es könnte auch für heterosexuelle Eltern erfrischend sein, die Rollen ein wenig mehr zu vermischen

Für Regierungen wie die von Orbán oder Putin, die jegliche positive Darstellung von homosexuellen Lebensweisen gesetzlich unterbinden und schon gar keine Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern und glücklichen Kindern zeigen wollen, sind solche Bilderwelten natürlich ein Alptraum (MANNSCHAFT berichtete über Reaktionen auf das neue Anti-LGBTIQ-Gesetz in Ungarn). Als bewusste Provokation in diese Richtung kann man «Dads» als sehr politisches Statement sehen.

Aber «Dads» zeigt US-amerikanische Familienväter mit ihren Kindern, nicht russische oder ungarische, und trotz des Widerstands einiger Ultrakonservativer und Evangelikaler ist das, was man hier sieht, in den Vereinigten Staaten kaum eine Provokation. Vielleicht eher eine Selbstbestätigung – und, wenn man‘s böse formulieren wollte, eine gewisse Selbstbeweihräucherung?

Denn dass die Welt von Eltern und Kindern nicht immer so niedlich, aufgeräumt und «Friends»-artig aussieht, weiss jeder, der schon mal mit Kindern zu tun hatte. Vom Stress, von den Streitereien, auch vom Neuarrangieren nach Scheidung oder Trennung, sieht man hier nichts. Möglicherweise ist das im jetzigen Stadium der Gay-Liberation-Bewegung noch nicht möglich, eventuell ist Bart Heynen auch einfach nicht der Künstler, der die abgründigeren Seiten zeigen möchtd und kann. Oder der Frage nachgehen will, wie Kinder von schwulen Vätern mit dem Sexleben ihrer Eltern umgehen, wenn sie damit konfrontiert werden.

«Eli and David with their kids»: Foto aus dem Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Bart Heynen / Power House Books)
«Eli and David with their kids»: Foto aus dem Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Bart Heynen / Power House Books)

Sind «Dads» asexuell? Bekanntlich finden die meisten Kinder in ihren Teenagerjahren die Vorstellung, dass ihre Eltern Sex haben, eher abstossend, egal ob hetero oder homo. Wie gehen schwule Väter damit um? Leben die vielen Paare, die man in «Dads» sieht, asexuell? Sind sie «nur noch» Vater und sonst nichts? Sind die Brustwarzenpiercings, die man teils sieht, nur Relikte aus einem anderen Lebensabschnitt? Haben diese Männer ihre GayRomeo- und Grindr-Profile gelöscht? Gibt es bei ihnen keine Chemsex-Partys? Ist es unzulässig, das zu fragen? Spielt man damit den Rechten in die Hände?

Haben heterosexuelle Elternpaare – auch in Russland und Ungarn – nicht auch teils selbstzerstörerische Beziehungen, miteinander und mit ihren Kindern, wenn diese in die Pubertät kommen? Und versuchen sie nicht auch, Alltagsstress mit Kindern und ihr eigenes Liebesleben irgendwie unter einen Hut zu bringen, was oft scheitert und zu schrecklichen Szenen des Miteinanders führt? Haben «Dads» diese Klippen hinter sich gelassen und leben mit ihrem Nachwuchs in einer Art Arkadien, wie man bei  Anschauen dieser Fotos meinen könnte? (MANNSCHAFT berichtete darüber, wie Kinder das Leben eines schwulen Paares total verändert haben.)

In einem Instagram-Post, mit dem er «Dads» ankündigte, schreibt Heynen: «Ich bin gesegnet, dass ich so viel Liebe sehen durfte» («Very blessed to have witnessed so much love»). Und die durchweg positiven Reaktionen auf seinem Insta-Kanal gehen von «Amazing»-Zurufen zu Statements wie «So schön und so viele Emotionen, und leider auch noch immer so viel Unverständnis…. Respekt vor diesem kraftvollen und prachtvollen Buch».

Ablehnung von Kommerzialisierung Auf Zeit-Online gibt’s hingegen durchaus einige kritische Stimmen. Etwa Anmerkungen wie diese: «Zwiespältiges Thema – der Wunsch nach Kindern bei Homosexuellen kann ich verstehen, aber das Geschäft mit Leihmüttern finde ich sehr fragwürdig und unmenschlich! Wieso nicht Kinder adoptieren, die liebevolle Eltern dringend gebrauchen können?!»

Ein*e anderer User*in zitiert Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Gesundheitsausschuss und Fachärztin für Psychiatrie, mit dem Statement: «Die Fokussierung auf ein genetisch eigenes Kind ist problematisch. Ein Kinderwunsch kann auf vielfältige Weisen realisiert werden, zum Beispiel durch Adoption. Gesell­schaftspolitisch ist die Anerkennung und Förderung dieser Vielfalt die Zukunft. Die klare Abgrenzung zwischen altruistischen und kommerziellen Interessen ist nicht möglich. Eine Kommerzialisierung lehne ich streng ab. Es ist rechtlich nicht möglich zu verhindern, dass Frauen unter emotionalem Druck – gerade in der Familie – oder in finanzieller Abhän­gig­keit stehen, wenn die Leihmutterschaft erst einmal zugelassen wäre.»

Weiter heisst es von Kappert-Gonther: «Auf die Frage, wie dem unausweichlichen Kommerzialisierungsdruck der Reprodukti­ons­medizin standgehalten werden soll, wenn Leihmutterschaft einmal per Gesetz als prin­zipiell annehmbar gilt, haben die Befürwortenden der Leihmutterschaft keine Antwort.»

Was jemand anderes als «logischen Fehlschluss» und «Dammbruchargument» beschreibt. Denn: «Dieses Zitat [postuliert] einmal mehr, dass Frauen nicht in der Lage wären, für sich selbst Entscheidungen zu treffen und vor dem bösen gesellschaftlichen Druck geschützt werden müssen.»

«Dimitry and Robert with their kids»: Foto aus dem Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Bart Heynen / Power House Books)
«Dimitry and Robert with their kids»: Foto aus dem Fotoband «Dads» von Bart Heynen (Foto: Bart Heynen / Power House Books)

Jemand anderes geht in den Kommentaren auf einen weiteren Aspekt ein: «Auch die Frage der Berufstätigkeit der Adoptiveltern spielt keine geringe Rolle; sollen Kinder unter 10 Jahren adoptiert werden, legen die Jugendämter [in Deutschland, Anm.] meist Wert darauf, dass einer der Elternteile nicht oder nur geringfügig beschäftigt ist, um sich ausreichend der neuen Aufgabe widmen zu können.»

Weiterhin Gesprächsbedarf Ganz offensichtlich gibt’s zu dem Thema «Dads» noch viel Gesprächsbedarf. Und dass darüber gesprochen und fair gestritten wird, ist wichtig. Die belgische Zeitung De Tijd schreibt übers Buch «Vaterschaft ist getrennt von Sexualität, und das macht es so schön». NBC News merkt an, dass Heynen und sein Mann das Verlangen gehabt hätten, ein «Gefühl von Community» zu fördern. Eine Community, die laut i-D Magazine, eine «vollständige Ablehnung von traditionellen Genderrollen darstellt, wie sie in vielen heterosexuellen Familien mit zwei Elternteilen gelebt werden».

Man darf gespannt warten, wann ein Pendant erscheint mit lesbischen Müttern, mit trans Elternteilen und vielleicht in einigen Jahren auch ein Fotoband, wo ältere Eltern zu sehen sind, die von ihren Kindern im Rollstuhl umhergefahren oder in Zeiten wie der Corona-Krise gepflegt werden.

Denn das ist dann die echte Bewährungsprobe, die für alle Eltern und Kinder schwierig ist. Und für die es dringend Vorbilder braucht, selbstverständlich auch aus der LGBTIQ-Community.

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