«Warme Worte und Regenbogenflaggen reichen nicht mehr!»
Was tun gegen queerfeindliche Hassgewalt?
Die Politik hat sich 2022 nicht lumpen lassen und öffentlichkeitswirksam Regenbogenfahne um Regenbogenfahne gehisst. Künftig sollte aber jede*r Minister*in, die sich und den eigenen Dienstsitz mit einer Flagge schmückt, erstmal einen Vorschlag unterbreiten, wie sich LGBTIQ-Feindlichkeit verhindern lässt, fordert unser Autor in seinem Kommentar*.
Nächste Woche kommt nun endlich die Fachkomission zur «Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt» zusammen. Für den 20. September hat das Innenministerium zur Auftaktsitzung des Gremiums eingeladen. Dabei sind u.a. MANEO sowie L-Support aus Berlin und die Fachstelle LAG Queeres Netzwerk Sachsen (MANNSCHAFT berichtete).
Ein Dreivierteljahr hat es gedauert, nachdem die Einrichtung dieses Gremiums bei der Innenministerkonferenz Anfang Dezember 2021 beschlossen worden war. Ob Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vorhat, im Vorfeld der Auftaktsitzung am kommenden Dienstag eine Regenbogenfahne zu hissen? Man möge es unterbinden.
Es wurden wahrlich genug Zeichen gesetzt in diesem Jahr, trotzdem musste Malte sterben, ein trans Mann aus Münster (MANNSCHAFT berichtete). Trotzdem wurde in Bremen eine trans Frau brutal zusammengeschlagen (MANNSCHAFT berichtete). Trotzdem wurden nach dem CSD Stuttgart Anfang August zwei junge Männer homofeindlich beschimpft und mit Fusstritten verletzt (MANNSCHAFT berichtete).
Jene, die solche Hassgewalt ausüben, sehe diese Zeichen nicht. Es macht sie nicht zu besseren, friedvolleren, toleranten Menschen. Vielleicht, auch das ist nicht ausgeschlossen, wecken sie gerade ihren Widerstand und ihre Aggressionen. Das wäre natürlich kein Grund, beim Zeigen dieser Zeichen nachzulassen. Die Frage ist nur: Wer zeigt sie? Wer darf sie zeigen?
Die deutschen Politiker*innen haben sich dieses Jahr gegenseitig übertroffen beim Hissen von Regenbogenfahnen. Wenn unsere Redaktion all diese angekündigten und öffentlich vollzogenen Termine hätte besetzen wollen, wir hätten eigens dafür jemanden einstellen können.
Am Vortag des Internationalen Transgender Day of Visibility im März hisste Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) an ihrem Dienstsitz die Transflagge. Zum Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie hisste die Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, Lena Kreck (Linke) die progressive Pride Flag. Am 1. Juli liess das Bundesverteidigungsministerium an beiden Dienstsitzen die Regenbogenflagge aufziehen. Auf Beschluss des Präsidiums des Bundestages flatterte wenige Wochen später zum Berliner CSD erstmals die Regenbogenfahne auf dem Reichstag. Und «als Zeichen der Unterstützung für das weltoffene und vielfältige Hessen» hisste Sozial- und Integrationsminister Kai Klose (Grüne) am 30. Juli die Regenbogenflagge anlässlich des Wiesbadener CSD.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Flaggenhissungsarie 2022. Das kostet die Hissenden nicht viel, produziert aber tolle Bilder. Nun will ich keiner der hier genannten Personen unterstellen, dass ihnen das Schicksal der LGBTIQ nicht am Herzen läge.
Nur: Genauso wie es CSD-Vereine gibt, die keine Parteipräsenz auf ihren Paraden möchten (MANNSCHAFT berichtete), finde ich es auch überlegenswert, Politiker*innen das Hissen unserer Flagge zu untersagen. Oder zumindest an Bedingungen zu knüpfen.
LGBTIQ-Feindlichkeit lässt sich nicht mit schönen Worten und frisch gebügelten Regenbogenflaggen verhindern.
Zumindest sollte jeder Abgeordnete, jede Ministerin, die sich und seinen Dienstsitz mit einer Flagge schmückt, einen wirksamen Vorschlag unterbreiten, wie sich LGBTIQ-Feindlichkeit in diesem Land verhindern lässt. Mit schönen Worten und frisch gebügelten Regenbogenflaggen ja offenbar nicht.
Wie wäre es zum Beispiel damit, dass die Innenministerin mal zu später Stunde mit einer trans Frau in eine U-Bahn steigt oder dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer Gruppe Queers durch Neukölln spaziert. Da könnte er gut die Regenbogenflagge tragen, mit der er sich im Juli hat fotografieren lassen.
Sollte bei unseren Volksvertreter*innen noch ein letzter Funken Unwissenheit bestehen darüber, was sich LGBTIQ in bestimmten Gegenden bieten lassen müssen – ein kurzer Ausflug etwa in die Neuköllner Sonnenallee dürfte genügen, um sie eines Besseren zu belehren.
Oder wie wäre es damit, dass die Polizei Bilder aus Überwachungskameras, die helfen könnten, die Täter zu fassen, nicht erst viele Monate später veröffentlicht, in denen die Täter weiter ihr queerfeindliches Unwesen treiben können. Oder damit, dass ein Asylbewerber wie Nuradi A., der schon wegen smehrerer Körperverletzungsdelikte verurteilt worden war (MANNSCHAFT berichtete), konsequent abgeschoben wird, damit er kein weiteres Unheil anrichten kann. Dann hätte Malte C. aus Münster nicht sterben müssen.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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