Verbot von Sexkauf? «Es war, als würde man mit der Wand reden»

Sabrina Sanchez kämpft gegen Pläne der EU

Sabrina Sanchez (Foto: zVg)
Sabrina Sanchez (Foto: zVg)

Soll in Europa Sexkauf verboten werden? Was das für Sexarbeiter*innen bedeutet und warum nicht nur Konservative das gut finden, darüber sprachen wir mit Sabrina Sanchez, der Direktorin der European Sex Worker Rights Alliance.

Im September hat das Europaparlament einen Beschluss gefasst, in dem das sogenannte Nordische Modell positiv bewertet wird, bei dem Freier Strafe befürchten müssen, Sexarbeiter*innen aber nicht – soweit die Theorie. Kritisiert wird in dem Beschluss die unterschiedliche Gesetzgebung in den EU-Mitgliedstaaten, weil dies Menschenhandel begünstige.

Die Union und vor allem ihre Fraktionsvize Dorothee Bär wollen in Deutschland das so genannte Nordische Modell einführen, also ein Sexkaufverbot. Justizminister Marco Buschmann hält nichts von dem Modell, wie es Schweden, Frankreich und andere europäische Staaten eingeführt haben.

Auf die Frage, ob er eine Bestrafung von Freiern befürworte, antwortete der FDP-Politiker Anfang Januar der Deutschen Presse-Agentur: «Ich glaube, das Wichtigste ist, dass jedwede Ausübung von Zwang gegen die Frau sozusagen unterbunden werden muss, auch mit Mitteln des Strafrechts». Dafür gebe es in Deutschland Instrumente, die auch angewandt werden müssten. Hier sollte der Schwerpunkt liegen. Buschmann plant eine Reform des Strafgesetzbuchs und dabei auch die Streichung einer Vorschrift, die Prostitution in Sperrbezirken verbietet.

Ende März erklärte auch der SPDqueer Bundesvorstand, man müsse Sexarbeiter*innen in die Mitte der Gesellschaft holen, statt sie weiter an den Rand zu drängen. Die Co-Bundesvorsitzende Carola Ebhardt sagt: «Es gibt Menschen, die aus tiefer Überzeugung in der Sexarbeit tätig sind. Es gibt Menschen, für die sie schlicht ein Job mit besonderer Flexibilität ist. Es gibt Menschen, die in der Sexarbeit sind, weil sie in anderen Branchen zu stark diskriminiert werden oder anderweitig in einer Notlage sind. Und es gibt Menschen, die Opfer von Zwangsprostitution sind. Keiner dieser Personengruppen hilft das enorme gesellschaftliche Stigma, das seit jeher auf der Sexarbeit liegt – ganz im Gegenteil. Das Stigma verursacht einen erheblichen Schaden.»

Sabrina Sanchez ist Direktorin der European Sex Worker Rights Alliance (ESWA). Die 42-Jährige stammt aus Mexiko. Nach ihrer Transition lebte sie lange in Spanien, und nach einer Zwischenstation von eineinhalb Jahren in Amsterdam wohnt sie seit November nun in Berlin. Mit Sexarbeit hat sie im Alter von 25 angefangen.

Die ESWA sei nur eine kleine NGO mit acht Mitarbeitenden, sagt Sanchez, im Vergleich zu Transgender Europe, Ilga und all diesen Organisationen, mit denen man eng im Verbund zusammenarbeitet. «Aber wir sind wirklich aktiv und überall.» Sie selbst ist nach wie vor als Sexarbeiterin tätig, nur ist ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin von ESWA eine Vollzeitbeschäftigung, daher beschränkt sich ihre Sexarbeit nur auf einige Inhalte, die sie online anbietet.

ESWA vertritt rund 150.000 Sexarbeiter*innen in Europa, die meisten stammen aus nicht-europäischen Ländern, sagt Sabrina – aus Afrika, Südmerika, Naher Osten und Asien. Die Zahl von 80 %  wird immer wieder genannt. «Das bedeute aber nicht, dass sie alle Opfer von Menschenhandel sind.» Für viele sei Sexarbeit eine Art Lebensretter, weil die Frauen keine anderen Jobs bekämen. Dies gelte besonders für trans Frauen.

Wie viele trans Frauen sieht man in einer Bankfiliale arbeiten?

«Grund ist die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Wir werden durch Transphobie gezwungen. Denn: Wie viele trans Frauen sieht man beispielsweise in einer Bankfiliale oder in anderen Unternehmen arbeiten?»

Nicht dass Sexarbeiter*innen nicht auch gut ausgebildet wären. Sabrina erzählt von einer Untersuchung, die vor wenigen Wochen in spanischen Bordellen durchgeführt wurde, danach hätten 70 % der cis Frauen einen Hochschulabschluss. Sabrina selbst hat einen Abschluss in Journalismus an der National University of Mexico gemacht.

Dass in Deutschland und weiteren Ländern das Sexkauf-Verbot eingeführt werden soll, ist nicht nur ein Anliegen von konservativen Parteien, sagt Sabrina. «In Spanien ist die sozialistische Regierung sehr fortschrittlich – aber sie will die Prostitution abschaffen. In diesem Thema sind sich Linke und Rechte also einig, gegen uns vorzugehen.»

«Wir befinden uns in einer wirklich starken konservativen Welle, in die sogar die progressiven Parteien hineindriftet», sagt Sabrina. Meine Freunde, Schwarze, trans Personen, nicht-binäre Personen, die Sexarbeit leisten, müssen verstärkt im Porno-Bereich arbeiten, um über die Runden zu kommen.»

Denn unterm Strich sei es so: Wer Menschen bestrafen will, die die Dienste von Sexarbeiter*innen in Anspruch nehmen, versuche im Grunde genommen, die Sexarbeit ganz abzuschaffen. Oder sie in die Illegalität zu drängen.

Dabei warnen seit Jahren Expert*innen aus der HIV-Prävention vor einem Verbot von Sexkauf. So erklärte Sven Warminsky, Vorstand der Deutschen Aidshilfe: «Alle Erfahrungen in der HIV-Prävention zeigen: Grundlage, um Menschen zu erreichen, sind Akzeptanz und Respekt. Wer Menschen ins Verborgene drängt, sorgt dafür, dass sie keine sicheren Arbeitsbedingungen aufbauen können und dass sie für Prävention und Hilfsangebote nicht mehr erreichbar sind. Die Vorstellung, das älteste Gewerbe der Welt durch Verbote beenden zu können, ist dabei gleichermassen naiv wie bevormundend.»

Um das Sexkauf-Verbot zu verhindern, hat Sabrina in ihrer Funktion als Direktorin der ESWA u.a. mit Maria Noichl gesprochen von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Maria Noichl, SPD-Europaabgeordnete aus Bayern, setzte im Herbst im EU-Parlament einen Initiativbericht durch, der darauf zielt, Prostitution als Gewalt gegen Frauen einzustufen und den Kauf sexueller Dienstleistungen in allen EU-Staaten zu verbieten.

Ich erzähle ihr meine Erfahrung aus 16 Jahren Sex für Geld, und sie glaubt mir einfach nicht, weil es ihr nicht gefällt.

«Ich war anderthalb Stunden in ihrem Büro», erinnert sich Sabrina. «Danach konnte sie einen Haken machen und sagen: ‹Ok, ich habe mit dir gesprochen.› Aber sie hörte mir wirklich nicht zu. Irgendwann, als ich ihr erzählte, wie Transaktionen zwischen Sexworkerin und Kundinnen normalerweise ablaufen, sagte sie mir einfach, dass sie mir nicht glaubte. Ich erzähle Ihnen meine Erfahrung aus 16 Jahren Sex für Geld, und Sie glauben mir einfach nicht, weil es Ihnen nicht gefällt. Es war so, als würde man mit der Wand reden.»

Schweden werde immer als Vorbild genannt, was das Verbot von Sexkauf betrifft, sagt Sabrina. Dort ist Prostitution geächtet; seit 1999 steht der Kauf sexueller Dienste unter Strafe. «Dort gelten wir als Zeugen eines Verbrechens, nämlich des Kaufs sexueller Dienstleistungen. Und in der schwedischen Vorstellung ist das Opfer die Gesellschaft.“ Eine Person, die Sexarbeit verrichtet und für diese Tätigkeit vor Gericht gestellt wird, könne die Wohnung verlieren, in Gewahrsam genommen oder abgeschoben werden, so die Aktivistin.

«Auch wenn Politiker sagen, sie wollen die Sexarbeiterinnen offiziell nicht bestrafen, sie wollten nur Menschen bestrafen, die sexuelle Dienstleistungen kaufen – die bestrafen in Wirklichkeit natürlich Sexarbeiter mit ihren Plänen», warnt Sabrina Sanchez. (mit dpa)

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