Toxisch oder einfach sexy? Männer oben ohne
«Sollten wir ihnen nicht ihren nackten Oberkörper gönnen?»
Beim Joggen, auf Festivals oder im Gym: Manche Männer zeigen sich gern ohne Shirt. Den einen gefällt das, andere finden das übergriffig. Über das männliche Bedürfnis, sich auszuziehen.
Joggende Twens im Park, der schnelle Radfahrer an der Hauptstrasse, der ältere Nachbar beim Gassigehen, Queers beim CSD sowieso: Wenn es warm wird, ziehen manche Herren gerne ihr Shirt aus.
Männer oben ohne trifft man im Sommer nicht mehr nur im Freibad, am Strand oder auf Baustellen an. Doch bei nackten Oberkörpern bleibt eine Geschlechterkluft (Gender-Gap).
«Ich weiss, dass mir viele gleich Narzissmus unterstellen oder mich als toxisches Alphamännchen sehen, wenn ich mein T-Shirt ausziehe»
Passant in Frankfurt
«Ich weiss, dass mir viele gleich Narzissmus unterstellen oder mich als toxisches Alphamännchen sehen, wenn ich mein T-Shirt ausziehe», sagt am Mainufer in Frankfurt ein Mittzwanziger. Er mache das nur gelegentlich, um nicht allzu viel Augenrollen abzubekommen. Man gelte schnell als Sexist, der sein männliches Privileg nicht hinterfrage, meint der offenherzige junge Mann.
Im Internet sind dagegen viele Kerle schamloser - man könnte auch sagen: weniger reflektiert. #Shirtlessmen oder #shirtlessguys sind populäre Hashtags. Auch Promis wie die Outdoor-Brüder Zac und Dylan Efron inszenieren sich dort gern mit freiem Oberkörper - etwa beim Golfspielen.
Der nackte Männer-Oberkörper kann zudem Popkultur sein: Man denke an Iggy Pop oder an das aktuelle Albumcover des amerikanischen Popstars der Stunde, Benson Boone. Im Sport kann das Oberteil ausziehen ausserdem ein Zeichen des Triumphs sein. Manche Profifussballer können es nicht lassen, sich das Trikot beim Torjubel abzustreifen – obwohl das verboten ist.
«No Shirt, no Service» Gleichzeitig gibt es in den westlichen Gesellschaften einen Trend zur Awareness und zu Schutzräumen (safe spaces), in denen sich alle Menschen sicher vor Übergriffen oder Diskriminierung fühlen können sollen. Bei politisch bewussten Festivals oder Popkonzerten hat das etwa zu einer «No Shirt, no Service»-Kultur geführt. Sprich: Wer kein Shirt trägt, wird nicht bedient.
Schliesslich können Frauen nicht so ohne weiteres oben ohne herumlaufen. Hintergrund ist auch die Überlegung, dass es für andere unangenehm sein kann, sich an schweissnassen Rücken und Bäuchen vorbeidrücken zu müssen. Aus Solidarität sollen deshalb auch Männer ihr T-Shirt einfach anbehalten.
«Der v-förmige und muskulöse Oberkörper mit flacher Brust ist neben dem Bart eines der körperlichen Merkmale, bei denen sich Männer und Frauen unterscheiden», sagt die Psychologin Ada Borkenhagen. «Und für viele Frauen und auch Männer ist ein männlicher Oberkörper durchaus sexy.»
Ohne Shirt kommen Gym-Arbeit und Tattoos besser zur Geltung In der Männermode sei der Oberkörper schon oft hervorgehoben worden. «Wurden die breiten Schultern zum Beispiel in den 80ern mit Schulterpolstern oder in den 90ern durch ein Muskelshirt betont, geht es 2025 oft deutlich freizügiger zu - sei es im Park, auf Festivals oder auf Partys. Man könnte sagen: Der freie männliche Oberkörper ist jetzt selbst eine angesagte Mode.»
Sobald es heiss werde, zeigten sich in erster Linie trainierte Männer gern oben ohne. «Denn erst ohne Shirt lässt sich die harte Fitnessarbeit am eigenen Body so richtig in Szene setzen», sagt die Professorin und Buch-Autorin Borkenhagen («Bin ich schön genug? Schönheitswahn und Body Modification»). «Und auch Tattoos kommen so am besten zur Geltung.»
Manchmal geht es Jungs auch darum, Tanlines zu bekommen, also dass der Oberkörper und die Beine gut gebräunt sind, im Gegensatz zu Schambereich und Po, die weiss bleiben. Man zieht sozusagen mit den Bikinistreifen von Frauen gleich. Manchen Menschen gelten 2025 - eine Art 80er-Nostalgie - Bräunungsstreifen doch tatsächlich als Schönheitstrend.
«Denn im Gegensatz zur weiblichen Brust, die in unserer Kultur ein sexualisiertes Geschlechtsmerkmal ist, darf die männliche Brust eben sehr viel freizügiger gezeigt werden.»
Ada Borkenhagen, Psychologin
Psychologin Borkenhagen sagt, Aktivist*innen , die für geschlechtsneutrale Körper eintreten, sei ein entblösster Männer-Oberkörper ein Dorn im Auge. «Denn im Gegensatz zur weiblichen Brust, die in unserer Kultur ein sexualisiertes Geschlechtsmerkmal ist, darf die männliche Brust eben sehr viel freizügiger gezeigt werden.»
Frauenkörper dagegen sind gesellschaftlich weit mehr unter Beobachtung und sozialer Kontrolle. Die Sexualisierung der weiblichen Brust lässt Frauen oft übergriffiges Verhalten und ungewollte Aufmerksamkeit erleben - auch schon bei enger Kleidung oder Dekolleté.
Haben nun Männer oder doch Frauen mehr Mode-Freiheit? Doch auch Männer können sich nicht alles erlauben. In Bus oder Bahn würde ein noch so schöner Halbnackter ebenfalls Anstoss erregen - im Restaurant, Büro oder bei einem Business-Meeting ohnehin.
Die Psychologin Ada Borkenhagen meint dennoch: «Generell haben Frauen in unserer Kultur vielleicht sogar mehr Freiheit bei der Bekleidung und sonstigen Verzierung des Körpers. Sie können freier zwischen Röcken, Kleidern, Hosen oder bauchfreien Tops wählen. Bei Männern wird bei einem Rock oder bauchfreien Look dagegen immer noch meist komisch geguckt.»
Deshalb ihre vielleicht provokante Frage: «Sollten wir zeigefreudigen Männern nicht ihren nackten Oberkörper gönnen?» Von Gregor Tholl, dpa
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