Wenn eine Perücke das Vorstellungsvermögen der Rechten übersteigt
Freitag war ein guter Tag für trans Rechte
-Der Bundestag hat am Freitag nach einer emotionalen Debatte grünes Licht für das neue Selbstbestimmungsgesetz gegeben. Unser Autor schreibt in seinem Kommentar* über die beginnende Transition seiner Nichte und die Sache mit den Perücken.
Es ist Freitag, und wie so oft hole ich meine Nichte vom Berliner Hauptbahnhof ab und begleite sie dann eigentlich zu ihrer Therapie. Diesmal geht das nicht. Denn im Bundestag soll das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen werden (MANNSCHAFT berichtete). Auf der Wiese vor dem Reichstag gibt es Kundgebungen von Befürworter*innen und von Gegnerinnen (fast ausschliesslich Frauen, hier wäre der Genderstern verschwendet) des Gesetzes, da will ich hin.
Zeitgleich hat mein Patenkind Therapie. Aber Laura ist den Weg zum Therapeuten im Norden der Stadt schon öfter alleine gefahren. Dafür kommt sie seit letztem Herbst immer wieder aus einer niedersächsischen Kleinstadt angefahren, mit Hin- und Rückfahrt ist sie gut und gerne 8 Stunden unterwegs, aber dort, wo sie wohnt, hat sie keinen Therapieplatz bekommen, nicht mal im benachbarten Braunschweig, wo es immerhin etwas mehr als eine Handvoll transfreundlicher Therapeut*innen gäbe.
Seit Herbst läuft die Therapie. Kürzlich bekam Laura das Go, sich auf die Suche nach einer endokrinologischen Betreuung zu machen. Jetzt am Bahnhof erzählt sie mir, dass sie am Morgen im Radio gehört hätte, dass das Selbstbestimmungsgesetz kommt. Da habe sie direkt lächeln müssen. Es läuft also für meine Nichte.
Während sie nun also bei ihrem Therapeuten sitzt, wird im Bundestag von Vertreter*innen der Ampelparteien leidenschaftlich für das Gesetz geworben, der Vertreter der AfD nutzt seine Redezeit natürlich für Hetze. Ich werde ihm nicht den Gefallen tun und seinen Namen hier nennen.
Unter anderem meinte dieser Grobmotoriker: Ein Mann «werde» nicht «zur Frau», «wenn er eine Perücke trägt». An diesem Satz ist so vieles falsch, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen soll. Aber ich will es mal probieren.
«Ein Mann … » ist ja in dem Zusammenhang schon mal Quatsch. Und von «werden» kann auch keine Rede sein: Worum es bei der Transition und auch bei dem nun verabschiedeten Gesetz geht, ist, dass das eigene Geschlechtsempfinden, das ja schon da ist, nun endlich in Ausweispapieren – glaubhaft vorzeigbar, für jene, die ausschliesslich an Ausweispapiere glauben – vermerkt wird.
«Werden» ist in diesem Zusammenhang also dummes Zeug: Das einzige, was wird, ist der neue Geschlechtseintrag. Die Frau ist ja schon. Dafür braucht es keine Perücke, keinen Rock, keine Highheels.
An dieser Stelle hat der AfD-Mensplainer zufällig ein kleines bisschen Recht, wenn er sagt: Ein Mann «werde» nicht zur Frau, «wenn er eine Perücke trägt». Das hat aber auch niemand behauptet. Das nennt man dann eher Travestie; was «der Mann» dann «wird», ist möglicherweise eine Dragqueen. Aber von solchen Feinheiten will man in einer Partei, die nur Draufhauen und Diffamieren kennt, wenn es um Minderheiten geht, natürlich nichts wissen,
Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer braucht übrigens nicht mal eine Perücke zum Frausein, wie man am Freitag im Bundestag sehen konnte, wo sie sich mit Glatze zeigte, die von Tribal Tattoos bedeckt war – nicht wie sonst von einer üppigen blonden Langhaarperücke. Was der parlamentarische Hooligan der AfD dazu sagt? Ich möchte es lieber nicht wissen.
Und meine Nichte soll es lieber auch nicht erfahren: Die ist happy und zählt derweil die Tage. Das Selbstbestimmungsgesetz wird zwar erst ab November wirksam, aber schon ab dem 1. August kann sie die behördliche Erklärung abgeben, sodass die Änderung pünktlich am 1. November wirksam wird. Dann steht es endlich in ihrem Pass: Sie ist eine Frau.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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