T-Shirt, Mütze, Regenbogen – Die neue Strenge im Bundestag

Es soll «sehr, sehr viel zustimmende Zuschriften» geben

11.07.2025, Berlin: Julia Klöckner (M,CDU), Bundestagspräsidentin, spricht im Bundestag zu Beginn der Debatte zum 30. Jahrestag des Völkermords von Srebrenica
Julia Klöckner im Bundestag (Bild: Katharina Kausche/dpa)

Zurechtweisungen, Ordnungsrufe, Sitzungsausschluss – Bundestagspräsidentin Klöckner und ihre Vizes nutzen alle Mittel, um für gesittete Debatten zu sorgen. Nicht jedem gefällt der Stil der CDU-Frau.

Von Ulrich Steinkohl, dpa

Vielleicht wird sie kurz durchatmen: Wenn sich am Abend des morgigen Samstags der Umzug zum CSD in Berlin wie üblich laut und fröhlich durch die Stadt geschoben hat, ist Julia Klöckner ein leidiges Thema erst mal los. Nichts hat ihr in den ersten Monaten ihrer Amtszeit mehr Kritik eingebracht als die Ansage, dass sich diesmal kein offizieller Wagen der Bundestagsverwaltung daran beteiligen dürfe (MANNSCHAFT berichtete). Privat könnten die Bediensteten ja machen, was sie wollten - aber anders als in früheren Jahren nicht mit dem Label des Bundesadlers.

Keine Frage: Diese Bundestagspräsidentin pflegt einen ganz anderen Stil als alle ihre Vorgänger an der Spitze des Parlaments. Zu streng, zu parteiisch, zu politisch - so lautet die Kritik an ihr. Das gilt für den Umgang mit dem Thema CSD, zu dem auch das Nicht-Hissen der Regenbogenfahne auf dem Reichstagsgebäude an diesem Tag gehört (MANNSCHAFT berichtete). Und es gilt ganz allgemein für ihren Stil beim Leiten des Bundestags. «Eiserne Lady» wurde sie im Bayerischen Rundfunk in Anlehnung an die einstige britische Premierministerin Margaret Thatcher schon genannt.

Klöckner über das Präsidium: Wir ticken sehr einheitlich «Wir sind strenger geworden», gibt die 52-Jährige im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur unumwunden zu. «Wir sind streng, wir sind sehr klar und auch fair. Und das schon zu Beginn der Legislaturperiode.» Das «wir» soll signalisieren: Ihre vier Stellvertreter*innen gehen ähnlich vor wie sie. «Wir ticken im Präsidium sehr einheitlich.»

Ein Blick auf die bislang 13 Ordnungsrufe in der noch jungen Wahlperiode ergibt: Klöckner erteilte drei, ihre Stellvertreter Bodo Ramelow (Linke) fünf, Omid Nouripour (Grüne) zwei, Andrea Lindholz (CSU) zwei und Josephine Ortleb (SPD) einen.

Dass 12 dieser 13 Ordnungsrufe an AfD-Abgeordnete ergingen, zeigt das Problem, vor dem Klöckner und ihre Stellvertreter stehen: Schon in der vergangenen Legislaturperiode fiel die AfD durch ständige Provokationen in den Plenarsitzungen auf. Mit der Bundestagswahl im Februar verdoppelte sich ihre Stärke im Parlament fast. Gleiches gilt für die Linke.

Auch der Linken sind Provokationen nicht fremd. Der 13. Ordnungsruf ging auf ihr Konto. Zudem wurde ihre Abgeordnete Cansin Köktürk des Plenarsaals verwiesen, weil sie ein T-Shirt mit der Aufschrift «Palestine» trug. Und der Abgeordnete Marcel Bauer wurde von der laufenden Sitzung ausgeschlossen, weil er eine Baskenmütze auf dem Kopf hatte und partout nicht abnehmen wollte. Jedes Mal war die Empörung gross.

Erst Baskenmütze, dann Basecap und schliesslich Stahlhelm? Es gebe eine klare Vereinbarung, dass man im Parlament keine Kopfbedeckung trage, erwidert Klöckner den Kritikern. «Und wenn man eine Baskenmütze zulässt, kann der Nächste mit einer Basecap kommen und der Dritte mit einem Stahlhelm. Man bedenke das Ende!»

Für die Bundestagspräsidentin steht fest: «Nur mit dieser Klarheit werden wir diesen Deutschen Bundestag unter den erschwerten Bedingungen durch die Legislaturperiode führen können. Es geht darum, dass die Institution Bundestag wieder an Vertrauen und Reputation in der Bevölkerung gewinnt.» Die Debatten im Bundestag setzten auch den Ton für die Debatten im Land und in den digitalen Medien.

Gleiche Massstäbe für alle Fraktionen Klöckner macht deutlich, dass dabei an alle Fraktionen dieselben Massstäbe angelegt werden. «Es kriegt auch meine eigene Fraktion ab.» So stelle sie etwa das Mikrofon ab, wenn jemand zu lange redet. Sie habe bei der Regierung auch schon eine stärkere Anwesenheit von Ministern im Plenum erbeten oder sie aufgefordert, Anfragen der Opposition ordentlicher zu beantworten. Für diese Art der Sitzungsleitung erhalte sie «sehr, sehr viel zustimmende Zuschriften», sagt Klöckner.

Zustimmung bekommt sie auch von einem, der das Parlament und seine Regeln bestens kennt: Wolfgang Kubicki. Der stellvertretende FDP-Chef war von 2017 bis 2025 selbst Vizepräsident des Bundestags.

Er sagt etwa zum Tragen des «Palestine»-Shirts: «Das T-Shirt war natürlich als politisches Statement gedacht und ist auch nur so zu verstehen. Im Plenum werden aber die Argumente allein durch Rede und Gegenrede ausgetauscht. Wer das nicht akzeptieren kann oder will, ist im parlamentarischen Betrieb falsch aufgehoben.»

Neutral und unparteiisch - so charakterisiert Klöckner ihren Führungsstil im Parlament. Andere sprechen ihr gerade diese Eigenschaften ab. «Julia Klöckner ist Präsidentin des Parlaments, nicht Sprachrohr der Bundesregierung. Da muss sie sich noch beweisen», sagt beispielsweise die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Ihre Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic wies Klöckner eben in der Auseinandersetzung um das Tragen von Ansteckern im Plenarsaal darauf hin, wie wichtig es in ihrem Amt sei, «eine präsidiale Ruhe und Differenziertheit auszustrahlen».

Für Kubicki gilt: Eine Bundestagspräsidentin dürfe nicht neutral sein, sondern müsse im Gegenteil sogar parteiisch sein – für den Parlamentarismus und die Institution Deutscher Bundestag. «Als frei gewählte Abgeordnete hat sie natürlich weiterhin auch einen Anspruch auf ihre eigene politische Haltung, die sie nicht verheimlichen muss. Sie muss nur in ihrer Amtsführung über jeden Zweifel der parteipolitisch motivierten Voreingenommenheit erhaben sein.»

Auch frühere Bundestagspräsidenten waren hochpolitisch Weitere Restriktionen sieht der FDP-Mann nicht. «Norbert Lammert war auch ein hochpolitischer Bundestagspräsident und wird zu Recht als einer der besten betrachtet, den wir hatten.»

Klöckner verweist ebenfalls auf ihre Vorgänger: «Norbert Lammert, Wolfgang Thierse waren alles andere als unpolitisch, auch nicht partei-unpolitisch.» Auch Wolfgang Schäuble und Rita Süssmuth seien «sehr exponiert» gewesen und hätten ihre Meinung gesagt. «Neutral zu sein in der Amtsführung und in der Durchsetzung der Regeln bedeutet nicht, ein politisches Neutrum zu sein.»

U-Bahnhof Bundestag regenbogen­bunt: «Helfen beim Flagge zeigen». Nach Angaben eines BVG-Sprechers wurden auch andere Stationen dekoriert (MANNSCHAFT berichtete)

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