«Shwule Grüsse vom Balkan» (20) – Bruder Alen in Tränen

Eine zerstörte Fussballkarriere?

Foto: Pixabay
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Aleksandar aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan» hat einen Bruder: Alen. Der weiss nicht mehr weiter. Ist seine Fussballkarriere zu Ende?

Was bisher geschah … 

Von wegen Food-Blogger: Nach Jaschas Geheimnistuerei hat ihm Aleks in den nächsten Tagen unauffällig nachgestellt und herausgefunden, dass er für ein Klatschmagazin arbeitet. «Darum all der teure Fummel, weil er als Klatschreporter Konzerte und High Society Anlässe besucht», regt sich Aleks innerlich auf und beschliesst, vorerst mal auf Abstand zu seinem Lover zu gehen.

Umso mehr freut er sich, wieder mal Zeit für sich zu haben. «Heute Abend gönne ich mir meinen Lieblingskrimi und dazu ein Glas Rotwein», bringt er sich beim Einkaufen in Stimmung. Zuhause angekommen schenkt er sich in der Küche seinen Wein ein und begibt sich ins Wohnzimmer zum Sofa. Dort wartet seine Kuscheldecke samt Krimi auf ihn. Er nistet sich ein wie eine Glucke und schlägt das nächste Kapitel seiner neurotischen Lieblingskriminologin «Inga Ek» auf.

Zeitgleich tobt draussen ein klirrend kalter Wind. Ein Schneesturm ist vorhergesagt. In der wohligen Wärme nippt Aleks am Wein und blättert entspannt im Buch, als es unerwartet an der Türe klingelt. Verwundert steht er auf und schlurft in seinen ausgeleierten Hausschuhen durch den Flur.

An der Türschwelle steht ihm sein betrunken-wankender Bruder gegenüber. «Alen, alles ok mit dir?», fragt Aleks verwirrt. Da bricht Alen in Tränen aus: «Ich habe Aids!», schluchzt er verzweifelt. Aleks hat seinen Bruder noch nie so ergreifend weinen gesehen: «Komm‘ erst mal rein», versucht er ihn zu beruhigen, «frierst du? Soll ich dir einen Tee machen? Oder magst du was Härteres?»

Bist du dir sicher, dass du HIV-positiv bist?

Alen nimmt Letzteres. Eine Rakija aus Pflaumen, die ihr Onkel im Sommer fassweise gebrannt und bei seinem letzten Besuch der ganzen Familie aufs Auge gedrückt hat. «Was ist denn genau passiert? Bist du dir sicher, dass du HIV-positiv bist?», fragt Aleks nochmals nach. «Ja, hab’ mich zweimal mit einem Selbsttest getestet», winselt Alen und stösst dabei einen markerschütternden Schrei aus.

Aleks bemüht sich, ruhig zu bleiben. Aber es fällt ihm schwer: War es für ihn als Shwuler doch immer seine grösste Angst gewesen, sich mit dem HI-Virus zu infizieren – besonders nach dem Aufklärungsunterricht in den 90ern, als er von der Aids-Epidemie in den 80ern erfahren hatte. Nun hat sich sein Bruder angesteckt: «Ich glaube, ich habe mir das im Trainingslager in Russland geholt», wimmert Alen weiter, «als wir am Tag vor der Abreise in einem Moskauer Club feiern waren. Jetzt kann ich meine Karriere abhaken.»

«In was für einem Club?», fragt ihn Aleks immer noch stark berührt. «Ich hatte im Stripclub was mit einer Tänzerin und keinen Gummi bei mir», schnieft Alen, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hat. «Nicht dein Ernst!» Aleks ist ausser sich. Nicht wegen Alens Nachlässigkeit: «Du weisst doch, dass die Politik in Russland so homo- und xenophob ist und alles über HIV und HIV-Betroffene totschweigt. Gerade darum stecken sich immer noch viele Menschen an. Sie würden lieber präventiv die PrEP verteilen, anstatt das Thema zu tabuisieren und die Menschen zu stigmatisieren …»

«PrEP? Was ist das?», fragt ihn Alen heulend. «Ein Medikament, das eine Ansteckung mit HIV verhindert, die sogenannte Prä-Expositionsprophylaxe. Es ist eine Pille, die du täglich nimmst. Sie schützt dich vor HIV wie ein Kondom, auch wenn du mal keins dabeihast», klärt ihn Aleks auf, «aber natürlich nicht vor den anderen Geschlechtskrankheiten – wie auch das Kondom nicht.»

Alen beginnt wieder zu heulen und fragt schniebend nach: «Nimmst du die PrEP?» «Ja, seit zwei Jahren», antwortet Aleks, nimmt einen grossen Schluck Wein und umarmt seinen Bruder: «Kopf hoch, Brate. Ich werde für dich da sein, wann immer du mich brauchst. Allerdings solltest du umgehend mit deiner Therapie starten, damit das mit deiner Fussballkarriere noch was wird.»

«Wie? Du meinst, ich kann immer noch Profi werden?», guckt ihn Alen hoffnungsvoll an. «Nun, das weiss ich nicht so genau, bin ja kein Arzt. Aber wer mit der Therapie rasch anfängt, kann die Viren ziemlich schnell zurückdrängen und für eine gute Lebensqualität sorgen», erwidert Aleks tröstend und ergänzt: «Ausserdem bist du dann nicht mehr ansteckend und kannst immer noch Kinder zeugen.»

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic

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