«Shwule Grüsse vom Balkan» (14) – Sonnenbrand im Beichtstuhl
Des frommen Paters unzüchtige Schlange
Aleksandar aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan» ist mit Mutter Bogdana in Kroatien gelandet. Ein Pater soll ihn von seinem Shwulsein heilen.
Flughafen Zürich am ersten Sommerferientag. Schreiende Kinder da, überforderte Eltern dort: «Iss jetzt dein Quinoa-Sandwich», pflaumt eine Mutter ihren Bub an, während ihr Gatte die zwei anderen Schreihälse beschwichtigt. «Ich will Chicken Nuggets!», lärmt der Quinoa-Deserteur. «Nein, wir leben vegan – aus Liebe zur Umwelt», belehrt ihn die Mutter.
Unweit der veganen Kriegsfront wartet Aleks mit seiner Mutter Bogdana auf den Flug nach Dubrovnik und beobachtet amüsiert die Szene: ‹Vegan leben, aber um den halben Globus jetten – samt Edelstein-bestückter Tante und Gold-behängter Oma. Den Schmuck haben sie bestimmt aus dem Garten Eden, genauso wie die Blutdiamanten an ihren manikürten Fingern.›
Diese Bigotterie nervt Aleks. Wie diejenige der Moralapostel, die ihm in Kroatien sein Shwulsein ausreden wollen. ‹Gibt es neben CO2-Kompensationen auch Fleischfress-Zertifikate, falls jemand drei Jahre nicht fliegt, dafür fünf Jahre lang alles vom Grill vertilgen darf, das ohne Photosynthese gediehen ist?›, überlegt Aleks zynisch, dem als Karnivoren die Milchdrüsen beschlagen, sobald er avocadoisierten Tofu-Templern mit einem ökologischen Fussabdruck eines Titanosauriers begegnet.
«Nach unserer Landung geht’s direkt zum Wallfahrtsort der heiligen Maria …», «die ab und zu die Tränendrüse quetscht, um Pilger-Touris anzulocken, weil die Kirchenkasse mal wieder wie Jesus in der Wüste darbt …», spöttelt Aleks beim Boarding. Indes drehen sich kroatische Pilger um und töten ihn mit verachtenden Blicken. Nur mit Blicken. Weil Gebot Nummer 5, Nächstenliebe etc. pp. Bogdana läuft derweil von unten bis oben rot an, als kippte jemand gerade ein Fass feurigen Ajvars in sie.
In Medjugorje angekommen empfängt sie Pater Elias, ein Franziskaner-Twen aus dem ansässigen Kloster. Der, wie Aleks erkennt, alles andere als konservativ zu sein scheint: Sein schelmisches Lächeln, sein Bizeps, der nicht vom klösterlichen Kräuterpflücken kommt, oder seine Smartphone-Affinität widersprechen der demütig-abstinenten Haltung von Franz von Assisi.
«Seid willkommen. Ich bin Pater Elias, der euch auf eurer wundersamen Reise begleiten wird», begrüsst er sie. «Aleksandar oder nur Aleks», schüttelt der leibhaftige Sünder Pater Elias’ Hand. Unchristlich lange. «Bogdana», drängt sie sich dazwischen, um die shwulen Dämonen ihres Sohnes von Beginn an der herzegowinischen Steinwüste anzuvertrauen. «Freut mich», entgegnet Elias und führt beide ins Pfarrzimmer, wo er das Prozedere der Konversionstherapie kurz erläutert und sie wieder ziehen lässt: «Aber ihr habt auch Urlaub. Davon will ich euch nicht abhalten», endet er und empfiehlt ein paar Restaurants und Sehenswürdigkeiten in Neum und Klek, rund eine Autofahrstunde von Medjugorje.
Beim Surfen im langsamen Hotel-Internet entdeckt Aleks ein paar Cruising-Strände. Von Pater Elias in Wallung gebracht beschliesst er, seinen Urlaub an einem FKK-Strand zu starten, während seine Mutter noch einen auf Reparativtherapien spezialisierten Psychiater in Split aufsucht.
Am besagten Strand offenbart sich ihm ungeahnt der fromme Elias im Adamskostüm. Ohne Eva, dafür mit seiner unzüchtigen Schlange. Die beiden fackeln nicht lange und landen gemeinsam in den Büschen. Zwar fühlt sich Aleks sündig, aber auch erlöst von dem ganzen Bösen, das ihm in den nächsten Tagen droht: Dem Bibelzitate-Bumerang, wonach er ein widernatürlicher Christ sei.
Dem Psychoanalytiker, der ihm einredet, seine Mutter sei in seiner Kindheit dominant, sein Vater abwesend gewesen, sodass er sich nun nach männlicher Nähe sehnt. Der ihm auch eine Elektroschock-Therapie aufschwatzen will, die ihn vom Irrweg abbringen soll. Den Ex-Gays, die in der kombinierten Fussball- und Kuscheltherapie davon schwärmen, wie sie mit Frau und Kindern frei von Sünde leben.
Bis Aleks ein paar Tage später einen dieser Ex-Gays hinter dem Vorhang im Beichtstuhl ertappt, wie dieser Pater Elias’ Schlange huldigt. ‹Daher wohl der Name «Glory Hole»›, denkt sich Aleks höhnisch, als er seine Strandsünde mit Sonnenbrand beichten will. Im selben Moment taucht Bogdana auf, in der Hand das Therapie-Programm der zweiten Wochenhälfte: «Was tust du da? Belauschst du die Beichte von anderen?», raunt sie ihm erzürnt zu. Er dreht sich zu ihr um, lüftet theatralisch den Vorhang und verkündet in aller Lautstärke: «Oh Mutter, schau her, welch Wunder Konversionstherapien bewirken.»
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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