«Von Anfang an war ich von vielen Schwulen umgeben»
Róisín Murphy über Corona, Perfektionismus und die Liebe zur LGBTIQ-Community
Sie ist das Duracell-Häschen unter den Musiker*innen und eine wahre Inspirationsquelle für die LGBTIQ-Community. Die Ex-Moloko-Frontfrau Róisín Murphy meldet mit ihrem neuen Soloalbum «Róisín Machine» zurück: eine Platte, die vor wilden Grooves, hypnotisierenden Beats und fesselnder Leidenschaft nur so strotzt. Wir sprachen mit ihr am Telefon.
Róisín, wie geht es dir in diesen seltsamen Zeiten, die aktuell unsere Welt beherrschen? Gut! Mir geht es sehr gut! Wir haben wundervolles Wetter hier in London.
Wie ist die Stimmung in der Stadt? Wir geben unser Bestes, durchzuhalten. Gott sei Dank dürfen die Kinder wieder in die Schule. Ansonsten ist es schwer, zu verstehen, was die Regierung uns zu sagen versucht. Uns erreichen viele gemischte Botschaften. Das stiftet Verwirrung.
Während des Lockdowns scheint dich die Muse geküsst zu haben und du überraschtest deine Fans mit höchst einfallsreichen Liveübertragungen aus deinem Wohnzimmer. Wie war das Feedback darauf? Grossartig! Die Leute waren dankbar, dass es überhaupt irgendeine Art von Performance gab, was mich wiederum sehr glücklich machte. Ein Grossteil der verwendeten Visuals war eigentlich für meine Livekonzerte gedacht. Diese hatte ich schon zuvor als One-Woman-Show konzipiert. Vor dem Lockdown schaffte ich es, einmal aufzutreten. Dabei stieg ich in einen riesigen, sich bewegenden Screen, tanzte und sang, während der Lichttechniker mich mit Projektionen beschoss. Insofern war das Ganze leicht auf diesen intimeren Rahmen übertragbar.
Wobei ich mich auch ein wenig mehr auf meine schauspielerischen Qualitäten verlassen musste. Immerhin war bei den Streams jedes Detail deutlich sichtbarer, als wenn ich auf der Bühne stehe. Sie entpuppten sich somit als perfekte Möglichkeit, meine Grenzen neu auszuloten.
Fehlen dir Konzerte, Clubbesuche und das Tanzen? Mit dem Tanzen habe ich gar nicht erst aufgehört! Wir schmeissen hier zu zweit oder zu dritt regelmässig kleine Partys. Quasi Mikro-Club-Erfahrungen. Das ist sehr gesund! Sowohl für den Kopf als auch für den Körper. Es gibt keinen Grund, die Arme und Beine längerfristig stillzuhalten.
Gab es denn in den letzten Wochen und Monaten irgendwelche Gelegenheiten für dich, vor Publikum aufzutreten? Nicht wirklich. Nur auf der Geburtstagsfeier eines Freundes. In kleinem Kreis. Sehr familiär. Es war wundervoll, aber auch höchst emotional. Ich konnte kaum singen, da ich weinen musste. Mir wurde bewusst, dass ein Teil von mir momentan stark vernachlässigt wird. Auch, wenn es nicht anders geht. Trotzdem möchte ich das in Zukunft ändern und wieder mehr Liveauftritte wagen. Vor allem jetzt, wo die Veröffentlichung der neuen Platte bevorsteht. Normalerweise folgt darauf immer das Touren.
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Welchen Rat würdest du Menschen erteilen, die zunehmend ihren Optimismus verlieren? In Zeiten der Not werde ich meist kreativ. Es hilft mir, mich auszudrücken. Egal in welcher Form. Selbst, wenn ich in einem Käfig sitzen muss. Vielleicht tut das auch dem ein oder anderen gut.
Denkst du, dass diese Pandemie die Zukunft der Musikbranche verändern wird? Sicherlich. Diese Pandemie verändert alles. Nicht nur unsere Branche. Aber wohin es gehen wird, das kann ich nicht beurteilen. Ich bin leider keine Hellseherin. Es wird positive und negative Entwicklungen geben. Momentan aber tut es gut, dass wir alle einmal dazu gezwungen sind, eine Pause einzulegen. So können wir die Dinge besser reflektieren und müssen anfangen, nach Sinnhaftigkeit zu suchen, wo wir es sonst vielleicht nie getan haben.
Dein neues Album erscheint dieser Tage. Bist du aufgeregt? Total! Für mich muss jede Platte die beste sein, die ich je gemacht habe. Zumindest solange, wie ich daran arbeite.
Was kannst du über den Entstehungsprozess berichten? Alles begann bereits vor Jahren. Der Track «Simulation» bildete damals den eigentlichen Startschuss. Kurz darauf spielte ich jedoch einige Konzerte, verliebte mich in einen Italiener, nahm eine italienische EP auf und schliesslich noch zwei weitere Alben zusammen mit Eddie Stevens, bis ich mich dem Projekt erneut annahm. «Incapable» war dann der nächste Track, den mein Kollaborateur und Kumpel Crooked Man und ich veröffentlichten. Vor sieben Monaten setzten wir uns dann final zusammen und schufen in vier Monaten den Rest der Platte.
Weshalb der Titel «Róisín Machine»? Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes eine Maschine. Alles, was visuell mit dem Album zusammenhängt, produziere ich selbst. Zudem organisiere ich das Touren eigenständig und arbeite parallel noch an vielen anderen Dingen. Aber irgendwie wird das ja auch von uns Künstler*innen erwartet. Wie am Fliessband sollen wir Alben herausbringen, Konzerte spielen und dann den Kreislauf wieder von vorn bedienen. Normalerweise muss man dafür seine Band von überall her zusammensammeln, sie ins Studio oder auf die Bühne bringen. Da ich meine Abelton-Software allerdings zuhause hatte und keine Livemusiker brauchte, konnte ich dieses Mal meinem eigenen Zeitplan folgen.
Welche Motive und Themen versammelst du auf dem Album? Es geht viel um Individualismus, Selbstverwirklichung und wie man das Beste aus sich herausholen kann. Statt zu jammern, sollte man sich seinen Dämonen stellen und verändern, was einem nicht guttut.
Könntest du dir vorstellen, irgendwann ein Album aufzunehmen, das sich stilistisch deutlich von House, Electro und Disco entfernt? Sag niemals nie. Wir alle verändern uns. Und das immerzu. Vielleicht habe ich irgendwann Lust, mich mit einem Orchester zusammenzutun. Auch die Arrangements meiner Songs haben sich über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt. Vielleicht verknalle ich mich aber auch irgendwann in einen Folkmusiker und habe plötzlich das Gefühl, eine Country-Platte aufnehmen zu müssen. (lacht) Was ich jedoch nie tun werde, ist, ein Album nur deswegen zu produzieren, weil es zwanzig Leute hinter einem Tisch, der von Kabeln gesäumt wird, so wollen.
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Du zählst zu den grossen zeitgenössischen Schwulenikonen. Kannst du dir vorstellen, warum? Schon zu Beginn meiner Karriere war ich von vielen homosexuellen Männern umgeben. Ausserdem bediente sich die Musik, die wir damals mit Moloko machten, bei Einflüssen der schwulen Popkultur. Ich schätze, dass es deshalb schon immer eine Verbindung gab. Mich inspiriert die LGBTIQ-Community. Das ist von Herzen als Kompliment zu verstehen.
Lustigerweise sprach mich vor Kurzem eine Person of color an und sagte, dass sie meine Songs liebe und sich deswegen keinesfalls schlecht fühle. (lacht) So wie ich die schwarze Kultur aus Großbritannien kenne, ist Musik schon früh Teil der Erziehung und hat einen hohen Stellenwert. In Irland, wo ich aufwuchs, ist das ähnlich. Wenn nicht das Radio oder eine Schallplatte läuft, dann singt jemand. Musik ist Kommunikation ohne Sprache. Sie verbindet uns Menschen. Wenn die Schwulen mich also lieben, bitte! Ich bin dabei!
Es freut, zu hören, dass du dich unserer Szene gern anschliesst! Ich fühle mich sehr verbunden mit euch. Vor Jahren meinte mal jemand zu mir, ich sei eine Dragqueen. Verdammt, dachte ich, das ist wahr! Ich bin eine weibliche Dragqueen. Ein dem Nachtleben entstiegenes buntes Wesen.
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