Renée Richards: «Was eine trans Frau nicht erwarten kann»
Die Tennis-Spielerin wird am Montag 90
Sie war die erste trans Frau im Profitennis und ist heute gegen die Teilnahme von trans Personen an professionellen Sportwettkämpfen. Ein Portrait über Renée Richards.
In der ersten Hälfte ihres Lebens war Renée Richards ein nettes jüdisches Kind, das alle nur Dick nannten. Geboren wurde Dick am 19. August 1934 in New York. Die Eltern waren Ärzt*innen. Der Vater spielte leidenschaftlich gern Tennis, und so verbrachte Dick die Wochenenden der Kindheit damit, dem Vater Tennisbälle hinterherzutragen.
Schon mit neun Jahren bemerkte Dick: Ich bin anders. Dick probierte die Kleider der Schwestern an und fand sich schön darin.
An der Yale-Universität wurde Dick Kapitän des Tennis-Teams und Medizinstudent. Von aussen war das Bild perfekt. Doch innerlich war Dick zerrissen. Dick rasierte sich die Beine, strich über die glatte Haut und nannte sich heimlich Renée, französisch für wiedergeboren.
Dick war sehr gut im Studium und sehr gut im Tennis, wurde Augenarzt mit Spezialgebiet Augenmuskelchirurgie und gewann viele Tennismeisterschaften. Dick ging in Psychotherapie, um Renéé zu unterdrücken und liess sich auf Anraten des Therapeuten einen Bart wachsen. Wenn Dick nun in den Spiegel sah, war dort ein Mann mit Bart. Es war schwer, Renée dahinter zu finden.
Alles lief gut, bis Dick sich bei der Marine verpflichtete. Der Bart musste ab. Es war ein Befreiungsschlag für Renée. Gegen Ende der Dienstzeit liess Dick sich weibliche Hormone spritzen, Östrogen und Progesteron. Der Körper wurde weicher. Monatelang lebte Dick als Frau in Paris und reiste dann nach Casablanca, um den letzten Schritt zu gehen. Ziel: eine Geschlechtsangleichung.
Das Geld dafür hatte Dick dabei, doch auch Angst. Freund*innen hatten von unhygienischen Operationen erzählt. Als Arzt konnte Dick darüber nicht hinwegblicken und kehrte in die USA zurück – als Dick.
So sollte es nun auch bleiben. Vielleicht war es nur eine Frau, die Dick fehlte? Dick verliebte sich in ein Model, heiratete sie nach sechs Monaten, bekam mit ihr einen Sohn, Nicholas. Nach drei Jahren lag die Ehe in Scherben und Dick stand wieder vor Renée, wollte Renée nicht mehr verstecken.
1975 die geschlechtsangleichende Operation. Aus Dick wurde endlich Renée Richards. Sie verliess ihr Zuhause in New York und zog nach Kalifornien, ans andere Ende der USA. «Ich änderte meinen Namen, zog 3’000 Meilen weit weg, bekam einen Job und verbarg mein früheres Leben vor so vielen Leuten wie möglich», sagte sie im Interview mit Yale Magazine.
Ausserdem nahm Renée an Tennisturnieren für Damen teil. Allen Sorgen ihrer Freund*innen zum Trotz. Die warnten Renée, sie könnte enttarnt werden. Eine grossartige Tennisspielerin Mitte 40 kommt nicht aus dem Nichts. Irgendwann würde ihr die Presse auf die Schliche kommen. Doch Renée war beflügelt von ihrem neuen Leben. «Ich spielte in einem wunderbaren Club, und lernte viele neue Freund*innen kennen. Und nach und nach liessen sie mich an Clubspielen teilnehmen, und dann liessen sie mich an diesem Turnier in La Jolla teilnehmen. Und als ich es gewann, brach mein ganzes Leben zusammen», sagte sie im Interview mit dem Radiosender Npr. Als Renée nämlich 1976 die Meisterschaft in La Jolla gewann, titelten die Zeitungen: Der Gewinner bei den Damen ist ein Mann.
Renée wurde das professionelle Spielen verboten. Begründung: Sie sei keine echte Frau.
Renée wurde das professionelle Spielen verboten. Begründung: Sie sei keine echte Frau. Die New York Times schrieb sogleich: «Keine Ausnahmen und keine Renée Richards.» Das stachelte sie an. «Mir wurde plötzlich gesagt, dass ich etwas nicht tun könne, von dem ich dachte, dass ich es auf jeden Fall tun dürfte, wenn ich es gewollt hätte, obwohl es nicht auf meiner Liste stand», sagte sie im Interview mit Npr. «Also traf ich die Entscheidung, für mein Recht zu kämpfen, es zu tun, vor allem, weil mir gesagt wurde, dass ich es nicht tun dürfte.» Mit einem Anwalt wollte sie ihre Teilnahme bei den US Open durchsetzen.
Ihr Kampf um Gleichberechtigung spaltete die Tenniswelt. Da waren professionelle Spieler*innen wie Billie Jean King und Martina Navratilova, die hinter ihr standen. Queere und jüdische Fans jubelten ihr zu. Aber es gab auch Spieler*innen, die sich weigerten Renée bei einer Niederlage die Hand zu geben. Zwei kamen mit selbst bedruckten T-Shirts auf den Platz. Die Aufschrift: «Ich bin eine echte Frau.» Die mehrfache Wimbledon-Siegerin Rosie Casals sagte laut Tennis Magazin: «Richards ist physisch gesehen immer noch ein Mann und das gibt ihr einen erheblichen und unfairen Vorteil. Das muss gestoppt werden.»
Es war eine schwere Zeit für Renée. Im Interview mit Optican erinnert sie sich: «Ich erhielt Morddrohungen, es gab Leute, die mich hassten, es gab Leute, die mir sagten, ich sei unmoralisch, und Leute sagten mir, ich sei schrecklich. Es gab einige Spieler*innen, die den Platz verliessen, wenn ich gegen sie spielte, oder sie wollten überhaupt nicht gegen mich spielen.»
Sie alle sahen in Renée eine Bedrohung. Schon ihre 1,88 Meter Körpergrösse war einschüchternd. Andere Tennisspieler*innen waren zwar ähnlich gross. Doch die waren einfach nur gross. Bei Renée hingegen stellte sich die Frage: Sie ist gross. Was ist sie noch?
Die Muskelmasse eines Mannes liegt zwischen 37 Prozent und 57 Prozent. Die einer Frau zwischen 27 Prozent und 43 Prozent. Hatte Renées Körper einen natürlichen Vorteil? War sie zu stark? Schwer zu sagen. Durch die weiblichen Hormone hatte Renée circa 30 Prozent ihrer Muskelmasse verloren. Dazu ihr Alter von 43 Jahren. Sie betonte immer wieder, dass sie für andere Top-Spieler*innen keine ernsthafte Bedrohung sei. Aber erklär das mal jemandem, der gerade gegen dich verloren hat.
Letztendlich zählte nur die Meinung der Ärtz*innen. Und die sagten, dass Renée in Muskelentwicklung, Gewicht, Grösse und Körperbau der weiblichen Norm entspreche. Im Jahr 1977 entschied der Oberste Gerichtshof New York deshalb, Renée Richards ist eine Frau. Und als solche könne sie bei Turnieren antreten. «Bei dieser Aussicht wurde mir das Herz leichter. Ich war dabei, das zu tun, was mich schon so oft gerettet hatte – und zwar auf der grössten Bühne der Welt, als Renée», sagte die trans Spielerin laut Nachrichtenportal Tennis. Der Weg zu professionellen Sportwettkämpfen war geebnet. Ein Meilenstein für alle trans Personen.
Im selben Jahr schaffte es Renée bei den US Open ins Doppelfinale. Auf der internationalen Weltrangliste lag sie auf Platz 20. Die höchste Platzierung einer trans Person jemals.
Ihre Erfolge haben Renée zum Grübeln gebracht. «Vielleicht hätte man letzten Endes nicht einmal mir erlauben sollen, auf der Damentour zu spielen. Ich denke, trans Personen haben jedes Recht zu spielen, aber vielleicht nicht auf professionellem Niveau», sagt sie. Sie ist gegen die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees von 2004, die trans Personen nach einer Operation und zwei Jahren Hormontherapie die Teilnahme am Profi-Wettkampf ermöglicht.
Keine genetische Frau hätte mir das Wasser reichen können, wenn ich mich mit 22 operieren lassen hätte und auf Tour gegangen wäre.
«Keine genetische Frau hätte mir das Wasser reichen können, wenn ich mich mit 22 operieren lassen hätte und dann mit 24 auf Tour gegangen wäre», sagte sie laut dem Nachrichtenportal Slate. «Ich habe meine Meinung überdacht. Eine trans Frau kann heiraten, als Frau leben, all diese anderen Dinge tun, und niemand sollte ihr das jemals nehmen dürfen. Aber es gibt eine Sache, die eine trans Frau leider nicht erwarten kann: Profisport in ihrem gewählten Bereich betreiben.»
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