Queers bei Patreon: Die Freiheit hinter der Paywall?
Mehr Fairness und Unabhängigkeit mit dem Social-Payment-Anbieter?
Über Patreon beziehen Kreative ein regelmässiges Einkommen. Fans zahlen monatliche Beiträge und erhalten exklusive Inhalte. Ein Modell, dass sich immer grösserer Beliebtheit erfreut. Auch viele Queers nutzen das Netzwerk, darunter Tom Daley (MANNSCHAFT berichtete).
Text: Bruno Gaigl
Es ist April 2020, Berlin im ersten Lockdown der Coronapandemie. In normalen Zeiten steigt im Technoclub Berghain um diese Zeit die SNAX, eine in der Szene bekannte Fetischparty. «I should be covered with cum right now, but I am not», ärgert sich DaNiel, während er mit wütenden Schritten an den Gittern vor dem massiven Clubgebäude entlangläuft. «This should be my walk of shame, my walk of pride», schimpft er weiter. «Everyone is like: the air is so fresh», imitiert er in verächtlichem Ton und macht unmissverständlich klar: Die Luft ist es nicht gewesen, wegen der er nach Berlin kam.
DaNiel ist der fiktive Protagonist der «It’s Berlin»-Videos des kroatisch-kanadischen Stand-up-Comedians Daniel-Ryan Spaulding. In seinen Videos macht sich Spaulding über den ignorant hedonistischen Lifestyle vieler Expats lustig, die in den hippen Vierteln der deutschen Hauptstadt in ihren Party-Filterblasen leben. Viele Mittdreissiger führten hier ein Leben von Frühzwanzigern, findet Spaulding. Als er mit den Videos anfing, lebte der Komiker noch in Amsterdam, war aber regelmässig in Berlin. «Bei meinen Besuchen ist mir aufgefallen, dass die Leute ihr selbstzerstörerisches Verhalten immer mit den Worten ‹It’s Berlin› entschuldigt haben.» So entstand die Idee, einen Charakter zu erschaffen, der dieses Benehmen auf die Spitze treibt. Mit der Zeit wurde DaNiel immer beliebter. Das SNAX-Video haben mittlerweile über 50 000 Leute auf Youtube gesehen.
Schaut man weitere Videos der «It’s Berlin»-Reihe, in denen DaNiel Monologe über das Leben in Berlin hält, drängt sich die Frage auf, wie viel Spaulding steckt in der Figur von DaNiel. «Er ist eine sehr oberflächliche Version von mir selbst, ich bin viel netter», meint der 36-Jährige Spaulding. Doch fremd ist ihm der Lifestyle nicht, den seine extrovertierte Kunstfigur lebt. Wie DaNiel geht auch Spaulding gerne in Clubs, hängt viel mit anderen Expats ab und hat auch nach drei Jahren in Berlin noch kaum Deutsch gelernt.
Corona führt zu einem jähen Kreativitätsstopp Spauldings Produktion der «It’s Berlin»-Videos kam mit dem Herunterfahren des öffentlichen Lebens im Frühjahr 2020 vorerst zu einem Ende. «Das Leben im Lockdown war schon für mich hart genug», sagt er. «Ich wollte nicht, dass auch DaNiel das Ganze durchmachen muss. Es hätte ihn sehr unglücklich gemacht.» Deshalb entschied sich Spaulding, seinem psychisch labilen Hipstercharakter eine Pause zu gönnen. Seitdem konzentriert er sich darauf, Probleme in Berlin lebender Expats und deutsche Eigenarten auf die Schippe zu nehmen.
Wie so viele Kreative zwang die Pandemie auch Spaulding. Weil er in prä-pandemischen Zeiten seine Einkünfte hauptsächlich über Liveauftritte generierte, stand er im letzten Jahr plötzlich vor einem Problem. Zum Glück konnte er auf seine Fangemeinde zählen, die ihn über verschiedene Spendenaktionen unterstützte. Ende des Jahres stiess Spaulding dann auf eine Plattform, die es ihm ermöglicht, seine Kunst auf direktem Wege zu Geld zu machen. Auf Patreon unterstützen Fans, die auf der Plattform Patrons heissen, ihre Stars, die Creators, direkt und bekommen dafür exklusive Inhalte zur Verfügung gestellt. Wer an den Inhalten von Spaulding teilhaben möchte, kann zwischen drei verschiedenen Abostufen wählen. Wer bereit ist, 21 € zu zahlen, erhält den Level-3-Status und ist damit ein Wild Spaulding Lover. Neben Behind-the-scenes-Videos darf man sich dann über personalisierte Grussvideos und «dirty, funny, sexy stories» freuen.
Patreon biete die Möglichkeit, sich in intimer Atmosphäre mit wirklichen Fans auszutauschen, so Spaulding. «Während ich in den gängigen sozialen Medien kaum mit meinen Follower*innen in Kontakt trete, reagiere ich bei Patreon auf jede Nachricht meiner Patrons. Meine Fans geben mir Feedback zu meinen Videos und inspirieren mich zu neuen Ideen.» Er habe sich sogar schon mit einigen seiner Patrons im echten Leben getroffen, verrät er.
«Bei uns können sich die Creators ausschliesslich auf Leute konzentrieren, die ihre Arbeit wirklich wertschätzen», sagt Ronny Krieger, Europachef von Patreon. Durch die Paywall befinde man sich in einem geschützten Raum, in dem man mit seinen Fans ungestört kommunizieren könne. Besonders für die LGBTIQ-Community biete Patreon deshalb eine attraktive Plattform. Queere Menschen seien in dem Netzwerk weder Trolls oder Bots noch irgendwelchen Hatern ausgesetzt.
Mehr Geld als bei Spotify,Youtube und Co. Seit Herbst 2019 arbeitet Krieger für das Unternehmen, das Anfang 2020 eine Dependance in Berlin eröffnete, um eine aktivere Präsenz in Europa aufzubauen. Der 47-Jährige blickt auf 30 Jahre in der Kreativbranche zurück. Fragt man Krieger, warum eine Plattform wie Patreon gerade jetzt besonders stark wächst, verweist er auf Entwicklungen in der Musikbranche. Musiker*innen hätten sich jahrelang von grossen Plattformen wie iTunes oder Spotify diktieren lassen, was sie mit ihrer Musik verdienen. Das führte 2013 dazu, dass der Musiker Jack Conte die Idee für Patreon entwickelte, nachdem er bei über einer Million Klicks auf Youtube mit seinem neuen Musikvideo gerade mal 166 Dollar verdient hatte.
Mittlerweile sind weltweit mehr als 200 000 Kreative auf Patreon unterwegs und mehr als 7 Millionen Fans. Seit der Gründung 2013 haben die Creators über 200 Milliarden Dollar verdient. Je nach gewähltem Dienstleistungspaket gehen 5 bis 12 Prozent der Einnahmen an Patreon. Seitdem die Seite auch auf Deutsch verfügbar ist, bekommt die Plattform auch im deutschsprachigen Raum wachsenden Zulauf. 2020 konnten laut Patreon über 20 Millionen Euro allein an deutsche Kreative ausgezahlt werden. «Der Erfolg hat natürlich auch mit der Coronapandemie zu tun. Viele Kreative und Künstler*innen haben sich nach alternativen Einkommensmöglichkeiten umgeschaut und sind dabei auf Patreon gestossen», erklärt Krieger.
Einen besonders starken Start konnte beispielsweise die Comedienne Hazel Brugger mit ihrem Partner Thomas Spitzer hinlegen. Erst im Juni 2020 stellten die beiden ihre Patreon-Seite «Hazel & Thomas» online. Bereits kurze Zeit später konnten sie von ihren fünfstelligen monatlichen Patreon-Einnahmen ein kleines Produktionsteam finanzieren. Solche Erfolgsgeschichten sind aber nicht unbedingt die Regel. «Creators überschätzen sich immer wieder», sagt Krieger.
«Wir empfehlen, erstmal klein anzufangen.» Denn wer auf Patreon Erfolg haben will, muss einiges investieren. Wie die Abonnent*innen über einen längeren Zeitraum bezahlen, müssen auch die Creators dauerhaft Content produzieren. Je mehr Patrons ein Creator hat, desto mehr Interaktion mit der Community ist gefordert. Das kostet Energie und braucht viel Motivation.
«Warum machen wir uns so abhängig von Giganten wie Facebook und Instagram?»
Patreon bietet keine Entdecken-Funktion Davon hat Andrea Vollgas genug. Die Künstlerin heisst eigentlich anders. Ihren richtigen Namen konnten Freund*innen allerdings nur mit Mühe aussprechen. So kam Vollgas zustande. «Das passt», findet sie. «Ich hatte eh schon immer Hummeln im Hintern». Als Kind ungarisch-rumänischer Herkunft wuchs sie in Deutschland auf. Nach der Uni arbeitete Vollgas als Branddesignerin in Zürich. Anschliessend gründete sie mit einer Freundin eine Galerie im Zentrum der Stadt. Nach vier Jahren wurde beiden klar, dass sie eigentlich selbst Kunst machen wollen, anstatt sie zu verkaufen. Seitdem macht die quirlige 36-Jährige unter dem Namen Vollgas-Studio hauptberuflich Illustrationen. Der Fokus ihrer Arbeiten liegt auf Themen rund um LGBTIQ, Feminismus und Sexualität. Generell versucht sie, soziale Normen zu hinterfragen – ob beruflich oder privat.
Im Frühjahr 2020 wurde die Facebook-Seite von Vollgas gehackt. Durch eine Verknüpfung mit ihrem Paypal-Konto gelang es den Hacker*innen, Werbung zu schalten. Als sie den Schaden meldete, löschte Facebook ihren kompletten Account. Zahlen musste sie die Werbung selbst. «Das war der Punkt, an dem ich angefangen habe, zu hinterfragen, warum wir uns von Giganten wie Facebook oder Instagram so abhängig machen», sagt Vollgas. Auf der Suche nach alternativen Wegen jenseits des gängigen Social-Media-Wahnsinns stiess sie auf Patreon. Im Frühjahr 2020 ging Vollgas mit ihrer eigenen Seite auf der Plattform online. Im Gegensatz zu Facebook oder Instagram erhalte man auf Patreon für einen kleinen Betrag die Funktion, alle Inhalte eines Creators ungefiltert zu sehen, so Vollgas. «Es gibt keinen Algorithmus, der dir irgendetwas vorsetzt.» (Und auch keine Zensur, wie in diesem Fall – MANNSCHAFT berichtete).
Auch wenn ihre Abozahl auf Patreon wächst, ist die Plattform nicht das Medium, mit dem sie ihren Lebensunterhalt finanziert. «Patreon ist ein Becken für die Leute, die sich wirklich ernsthaft damit beschäftigen wollen, was ich tue.» In einem Podcast informiert Vollgas über Neuigkeiten in ihrem Leben und erzählt von ihrer Arbeit, spricht über Themen, die sie aktuell interessant findet. Wie bei Daniel-Ryan Spaulding bekommen Abonnent*innen je nach Beitragshöhe einen breiteren Zugang zu ihren Produkten. Jeden Monat gibt es eine neue Illustration, immer passend zu den Themen, die sie auch in ihren Podcasts mit ihren Patrons teilt. Wer bereit ist, Vollgas mit 12 € im Monat zu unterstützen, kann diese Illustrationen in hoher Auflösung herunterladen. Wer sie mit 4 € unterstützt, bekommt die Illustrationen zum selbst Ausmalen.
Neben all den Vorteilen, die Patreon biete, gebe es aber auch einen problematischen Punkt, findet Vollgas. Als Künstlerin mit einer vergleichsweise kleineren Community sei es schwer, neue Patrons über die Plattform zu gewinnen. Im Gegensatz zu Instagram verzichtet Patreon auf eine Entdecken-Funktion, mittels der man erforschen kann, welche Kreativen ausserhalb des eigenen Kreises in dem Netzwerk unterwegs sind. «Patreon ist abhängig von anderen sozialen Medien», meint Vollgas. «Nur wenn du deine Community in anderen Netzwerken fütterst, schliessen sich auch mehr Follower*innen von diesen Plattformen deiner Community auf Patreon an.» Denn auf Patreon könne man bislang nur direkt nach Profilen suchen, es fehle also sozusagen die Laufkundschaft, kritisiert Vollgas.
Dass Patreon attraktiver sei für Kreative, die bereits eine grosse Reichweite haben, hört Ronny Krieger häufiger. «Grundsätzlich war Patreon nie als Discovery-Plattform gedacht. Jack Conte, unser Gründer und CEO, wollte kein weiteres parasitäres System schaffen, in dem Follower*innen von der Konkurrenz abgeworben werden können», erklärt er. Da sich die Nachrichten der Creators aber mittlerweile häuften, sei nun eine Änderung in diesem Punkt geplant.
Ein queerer Comic über eine aussergewöhnliche Liebe Eli Baum und Viv Tanner haben bereits eine grosse Anhängerschaft auf Patreon. Ihre fast 400 Patrons finanzieren den beiden Comiczeichnenden einen grossen Teil ihres Lebensunterhalts. Kennen gelernt hat sich das Paar über Twitter. «Uns haben die Illustrationen der jeweils anderen gut gefallen, und dann haben wir angefangen zu chatten», erzählt Baum. Nach dem Abschluss ihres Studiums im Fach Animationen an der Hochschule Luzern zog Tanner zu Baum nach Wien. Seitdem arbeiten die beiden Endzwanzigerinnen an einem gemeinsamen Comicprojekt.
«Heart of Gold» erzählt die Geschichte des jungen panromantischen Pianisten Ionel, der unter Albinismus leidet. Da die Krankheit sein Sehvermögen mehr und mehr einschränkt, sucht Ionel einen katholischen Wunderheiler auf, der homosexuell ist, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt. Doch der Wunderheiler verweigert ihm zunächst seine Dienste. Daraufhin fängt Ionel argwöhnisch an zu recherchieren und kommt einem Geheimnis auf die Spur. «Es ist eine LGBTIQ-Romance-Story, die Anziehungskraft zwischen Ionel und dem Priester wird im Laufe des Geschehens immer stärker», erzählt Baum. Die Geschichte handelt von der Beziehung zweier Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Vom Priester Dunant, dem Fatalisten, und von Ionel, dem Gutmenschen. Und sie handelt von der Vereinbarkeit von Queerness und Glauben.
«Wir arbeiten ständig an neuen Ideen.»
«Heart of Gold» ist ein Webcomic. Baum und Tanner setzen in regelmässigen zeitlichen Abständen Stück für Stück den weiteren Verlauf der Geschichte online. Zahlende Patrons erhalten die Updates zwei Monate früher. Ausserdem gibt es für die Abonnent*innen Zeichentutorials und Videos, die den Entstehungsprozess der Comics dokumentieren. Die beiden Illustrierenden sehen in Patreon aber vor allem auch eine Spielwiese. «Wir arbeiten ständig an neuen Ideen», sagt Tanner. Die Community auf Patreon sei perfekt, um sich erstmal Feedback einzuholen, bevor man Neues offiziell veröffentliche.
Auch Daniel-Ryan Spaulding arbeitet an neuen Ideen. Bis zum Jahresende soll sich seine Community auf Patreon deutlich vergrössern. Mit sinkenden Inzidenzzahlen in Berlin und einer Rückkehr zu mehr Normalität will er aber zunächst die extrovertierte Version seiner selbst wieder aus dem Winterschlaf erwachen lassen. «Ich denke, es ist an der Zeit, DaNiel zurückzuholen», verrät der Wahlberliner. Die SNAX-Party hat DaNiel auch dieses Jahr verpasst. Bis man in den Clubs der Hauptstadt wieder die Nächte durchfeiern kann, wird es wohl noch eine Weile dauern. Das mache aber nichts, sagt Spaulding. «Partys auf Terrassen sind für den Anfang auch okay.»
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