Queeros 2022: Das «#360baleado Bonanza»-Festival in Köln
Das Event gewann beim Voting für die Region Deutschland
Die Künstler Hans Diernberger und Will Saunders sind ein Ehepaar. Gemeinsam haben sie in Köln das «#360baleado Bonanza»-Festival ins Leben gerufen: «Für Musik, Performance, Kunst und Film von internationalen trans und nicht-binären Künstler*innen». Damit haben sie sich beim Queeros-Voting 2022 für die Region Deutschland beworben – und gewonnen.
Nachdem «Bonanza» als Sieger feststand (MANNSCHAFT berichtete), verabredeten wir uns mit Diernberger und Saunders, als sie noch beim Familienbesuch in Grossbritannien waren, wo Will herkommt und wo sie sich einst kennengelernt haben. Will hat an der Westminster University in London studiert und ist Klangkünstler, während Hans am Goldsmiths College in London studierte und Foto- bzw. Videokünstler ist. Sie rücken jetzt dicht an dicht auf dem Sofa zusammen, um beim Zoom-Gespräch gemeinsam in die Kamera ihres Laptops gucken zu können.
Man merkt sofort, dass zwischen den beiden eine grosse Vertrautheit herrscht. Und dass sie ein perfekt eingespieltes Team sind. Sie beenden die Sätze des jeweils anderen, werfen sich die gedanklichen Bälle zu. Und sie sind – beide um die 40 Jahre alt – ein Duo, das sich leidenschaftlich für LGBTIQ-Rechte interessiert und für mehr Sichtbarkeit von queeren Menschen im öffentlichen Raum kämpft. Vor allem deswegen haben sie sich beim Queeros-Voting beworben, wie Hans betont: «Wir wollen, dass das Festival Aufmerksamkeit bekommt und es sich rumspricht, weil es deutschlandweit das Erste seiner Art ist.»
Wenn sie nicht gerade auf Familienbesuch in England sind, leben Will und Hans in Köln und arbeiten schon lange gemeinsam an Kunstprojekten, wie zum Beispiel dem «Bonanza»-Festival, das 2022 erstmals stattfand und 2023 fortgesetzt werden soll.
«Gender, Gender!» «Es ist nicht leicht für solche Festivals öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen», sagt Will. «Die Mainstream-Presse hält sich sehr zurück in der Berichterstattung.» Warum? «Ich habe oft das Gefühl: Wenn Journalist*innen nicht selbst direkt mit der trans Community zu tun haben, dann ist es für sie leider nicht von grossem Interesse. Und wenn sie denken, sie hören sowieso schon überall ‹Gender, Gender!›, dann sehen einige scheinbar auch nicht die Dringlichkeit, etwas weiteres dazu zu machen. Da wird schon im Vorfeld viel ‹weggedacht›», meint Hans.
Will sagt zynisch zugespitzt: «Wir hatten keinen ‹Skandal›, sondern sind ein Kunstfestival mit Musik, Film und Literatur. Das ist zwar wichtig und interessant, bietet aber für die Presse keinen Aufreger.» Er ergänzt: «Die ganze sogenannte Transdebatte ist oft Clickbait, und Bonanza passt da nicht rein.»
Queere Künstler*innen hätten es viel schwerer in die Medien zu kommen und Aufmerksamkeit zu kriegen, sagen Hans und Will, denn sie hätten nicht wie Helene Fischer eine Produktionsmaschinerie hinter sich. «Das macht es für viele LGBTIQ-Künstler*innen schwieriger, überhaupt irgendwo auftreten zu können», so Hans. «Das war ein Grund, warum wir dieses Festival machen wollten. Damit trans und nicht-binäre Leute die Chance bekommen, ihre Kunst auf einer großen Bühne zu zeigen. Damit diese Top-Leute mit ihren Top-Arbeiten zu sehen sind – nicht nur in kleinen queeren Venues, wie meist der Fall, sondern ausserhalb der queeren Bubble.»
Die Venue, die Hans und Will für die erste Ausgabe ihres Festivals in Köln fanden, war das Comedia Theater in Köln.
«Braver Space» «Alle sind eingeladen», lautete ihr Motto. Will und Hans sehen das Festival als einen sogenannten «Braver Space». Was das heisst? «Es war auch für uns ein neues Wort, das wir von der trans Community gelernt haben», so Hans.
«Safe Spaces sind nicht wirklich umsetzbar, sobald man eine grössere Gruppe einlädt. Vor allem, wenn Menschen dabei sind, die man vorher nicht kennt. Daraus ging das Wort Braver Space hervor», erklärt Hans. «Alle sind eingeladen, aber es ist ein Bewusstsein da, dass es zu Diskussionen kommen kann und zu Rückfragen, die teils für die trans Community nervig oder verletzend sind, weil sie diese Fragen zum hundertsten Mal beantworten müssen. Das lässt sich nicht wirklich vermeiden. Es ist aber auch ein Ort der gemeinsamen Verpflichtung zu Verantwortlichkeit und Wachstum durch Selbstreflexion. Zu Zustimmung und Konsens, Respekt und der Einbeziehung aller.»
Will fügt hinzu: «Viele Räume für die Menschen mit Marginalisierungserfahrungen sind immer schon Braver Spaces, z.B. aufgrund von rassistischen, sexistischen oder querfeindlichen Strukturen in unserer Gesellschaft. Deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, das auch zu benennen. Wir haben überall grosse Schilder aufgehängt, die daran erinnern, dass wir uns alle anstrengen müssen, damit das Miteinander funktioniert und so eine klare Vision für eine Welt zu entwickeln, in der wir leben wollen.»
«Einander sensibel und respektvoll begegnen» «Konstruktive Diskussionen rund um Geschlechtsidentität und -ausdruck brauchen Platz und Zeit und Plattformen», so Will weiter. Diesen Platz bot «Bonanza» zwischen Konzerten und Partys, bei Workshops, Lesungen, in der Queerlesen Pop-Up Bibliothek und in Rückzugsräumen.
Obwohl Will und Hans als Organisatoren während des Festivals alle Hände voll zu tun hatten und deshalb nicht selbst an allen Veranstaltungen teilnehmen konnten, erlebten sie den Auftritt von CN Lester. Lester las aus dem selbst verfassten Buch «Trans Like Me: A Journey for All of Us». Will erinnert sich: «Danach hat man wirklich gespürt, dass es ein extrem emotionaler Moment war, der alle zusammenrücken liess. Und daraus sind dann wichtige und intime Unterhaltungen hervorgegangen zwischen dem All-Gender-Publikum. Eine anwesende cis Person sagte zu CN und trans Menschen im Allgemeinen: ‹You are the flowers of tomorrow.› Das hat uns sehr berührt.»
Damit beim Festival alles friedlich und aggressionsfrei verlaufen konnte, gab es ein Awareness-Team, das auf dem Festival erkennbar unterwegs war. «Zu dem Team konnten Menschen gehen, wenn es zu Situationen kam, die aus dem Ruder zu geraten drohten oder wo das Gefühl bestand, da ist was komisches passiert, da braucht jemand Unterstützung», so Will. «Wir stehen alle in einem sehr fragilen Gleichgewicht zueinander. Mein Gefühl ist: Wenn die Leute anderen Menschen sensibel und respektvoll begegnen, dann bekommen sie das auch zurück», sagt Hans.
Ballspiel namens «Baleado» Wie kamen sie auf die Idee zu dem Festival? 2018 waren beide Teil einer Künstler*innenresidenz in Salvador de Bahia in Brasilien, eingeladen vom Goethe Institut. Damals wurde ihnen von einer Gruppe von trans und nicht-binären Personen erzählt, die ganz unbeschwert und frei am Strand eine Art Völkerball spielten. «Wir fanden die Stärke und Sichtbarkeit der Community am Strand – beim Ballspielen – imposant. Obwohl die Situation für sie in Brasilien alles andere als einfach ist (MANNSCHAFT berichtete). Trotzdem waren sie mutig, sich zu zeigen. Und wir wollten daraus etwas machen», so Hans.
Sie entwickelten daraufhin ihr Kunstprojekt #360baleado. Dabei haben sie zwei Gruppen von trans und nicht-binären Personen gefilmt, die gegeneinander ein Ballspiel namens «Baleado» spielen. Mit einer Virtual-Reality-Brille stand man dann als Besucher*in der Ausstellung mitten in diesem Spiel und wurde Teil davon. Dazu kamen Porträts von den Spieler*innen mit ihren jeweiligen Perspektiven.
«Uns wurde schnell klar, dass wir dieses Projekt auch in der Stadt machen mussten, aus der wir kommen, nicht nur am anderen Ende der Welt», so Hans. Deswegen haben sie das Projekt nochmals in Köln durchgeführt, mit Mitgliedern der lokalen trans und nicht-binären Community. Es kamen viele Menschen aus der regionalen Community, aber auch aus Berlin, um sich die finale Ausstellung anzuschauen. Um diese Gemeinsamkeit weiter zu fördern, entstand die Idee, ein Festival zu veranstalten.
Als sie sich an die Arbeit machen wollten, ein solches Festival zu planen und Gelder zu akquirieren, kam 2020 Corona. Also starteten sie zwischen Lockdowns eine Poster-Aktion in Köln mit dem Spruch «Trans* Menschen zuhören tut gut!». «Diese Poster hingen zwei Monate lang an 200 Stellen in der Stadt», erinnert sich Will. «Dazu gab’s super Feedback.» Dann kam noch ein Jahr Corona, bis sie 2022 endlich die Chance hatten, ihr Festival als Präsenzveranstaltung durchzuführen.
Das Festival wurde vom Kulturamt der Stadt Köln gefördert sowie vom Diversitätsfonds des Landes NRW, plus einigen queeren Organisationen in Köln wie der Landeskoordination Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in NRW oder dem Netzwerk für Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW. Trotzdem sei viel an Will und Hans selbst hängengeblieben, das sie ehrenamtlich geleistet haben. Denn: «Geld wirft so ein Festival nicht ab.»
Diskussion um «White Saviors» Nun ist gerade in queeraktivistischen Kreisen oft Kritik an sogenannten «White Saviors» zu vernehmen, also weissen Personen, die sich als Retter und Helfer der Ausgegrenzten präsentieren. Will und Hans mussten sich das im Zusammenhang mit «Bonanza» nicht anhören. Aber sie finden die Kritik «total angebracht»: Deshalb haben sie für 2023 die künstlerische Leitung des Festivals an die trans und nicht-binäre Community übergeben und sich selbst aus der Entscheidungsposition zurückgezogen. 2023 helfen die beiden aber noch mit, das Festival umzusetzen.
Sie sehen sich als weisse cis Männer trotzdem in der Verantwortung gegenüber denen, die mehr Ausgrenzung als sie selbst erleben: Als selbstständige Künstler, die jahrelang öffentlich finanzierte künstlerische Projekte umgesetzt haben, haben sie wichtige Erfahrungen mit Anträgen und Geldgeber*innen gesammelt. Daraus sei ein Vertrauensvorschuss bei Förderinstitutionen erwachsen. «Leute aus der trans und nicht-binären Community, die auf so eine Arbeit Bock haben, sind meist jüngere Menschen. Die schreiben natürlich auch Anträge, aber die fliegen leider oft raus, weil die Grundlage fehlt», so Will. «Das ist schade, aber das ist leider so.»
Er ergänzt: «Dass wir die Zeit haben, in solch ein Projekt Zeit zu investieren, und bei den vielen Absagen immer wieder zu sagen, wir probieren es nochmal und nochmal, das ist ein Privileg, das viele trans Personen nicht haben. Die haben oft weder die Zeit noch das Geld aufgrund von Diskriminierung oder auch ihrer Transition.» Immerhin sei in der Kulturverwaltung der Stadt Köln derzeit ein starker Wille zu erkennen, Projekte rund um trans und nicht-binäre Menschen zu fördern, sagt Hans.
Sex und Cruising «In Deutschland gibt es oft das Narrativ vom Leidensweg von trans Personen. Darüber liest man viel, über positive Stories dagegen sehr wenig», so Hans weiter. «Aber es ist wichtig, dass auch positive Geschichten in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, zu zeigen, dass trans Personen tolle, selbstbestimmte Menschen sind, die einfach nur sie selber sein möchten. Da fehlt auf deutscher Seite ein bisschen das Bewusstsein, mehr Leute in die mediale Öffentlichkeit einzuladen, um das Gespräch zu suchen.»
Da waren viele Leute in der Schwulensauna, die da normalerweise nicht zu sehen sind
Sex und Cruising, wichtige «verbindende» Elemente der Schwulenkultur in der Vergangenheit, waren übrigens bei «Bonanza» nicht das, worum es ging. Aber Will und Hans berichten von einem anderen queeren Event in Köln, wo Performances und Kunst in einer klassischen Schwulensauna stattfanden – mit Cruising. «Das war sehr sehr aufregend, und auch sehr harmonisch», so Hans, «denn da waren viele Leute in der Schwulensauna, die da normalerweise nicht zu sehen sind».
«Es gab eine FLINTA-Cruising-Area, die abgegrenzt war, und auch andere Bereiche, die offen für alle waren», fügt Will hinzu.
Seit Corona sei viel in Bewegung, meinen die beiden Künstler, und viele junge Gruppen würden derzeit spannende Events in Köln und NRW organisieren, aber auch in Berlin und anderswo. Das «Bonanza»-Festival zählt zweifellos dazu und geht im Sommer 2023 wieder an den Start. Diesmal vom 1. bis 2. Juli 2023 im Alten Pfandhaus Köln, einem grösseren Ort, denn man brauche mehr Platz um all die Veranstaltungen und Rückzugsräume, Partys, Konzerte, Ausstellungen und Lesungen unterzubringen. Es bleibt also spannend.
Und wer weiss, vielleicht gewinnt ja das «Bonanza»-Festival nochmal das Queeros-Voting als echter Doppel-Wumms?
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