Priester liebt Priester – Karriere oder Liebe?
Der SWR hat eine Doku-Reihe über «aussergewöhnliche Liebespaare» produziert, die zeigen, wie divers im Ländle heute gelebt wird
Beim deutschen Regionalsender SWR ist eine vierteilige Dokureihe an den Start gegangen, die «Alles Liebe!» heisst und in der «aussergewöhnliche Liebespaare ihre Geschichte offenbaren». Eines der Paare sind die schwulen Ex-Priester Heiko und Marius.
Manchmal lohnt es, sich durch in den Tiefen der ARD-Mediathek zu klicken und bei einzelnen regionalen Sendern zu schauen, was dort im Angebot ist. Die Doku-Reihe «Alles Liebe!» wurde nicht gross in den Fokus der Hauptseite gerückt und ist daher – seit dem Start am 15. Oktober auf dem SWR-Unterkanal – relativ unbemerkt geblieben.
Das ist bedauerlich, denn die vier 30-minütigen Teile zeigen anhand von vier Beispielen das Motto der Serie: «Liebe ist grenzenlos, Liebe ist mutig, Liebe ist kompliziert, Liebe ist, so angenommen zu werden, wie man ist.» Es geht, laut Trailer, um «neu leben, neu vertrauen, neu lieben». Und zwar explizit um «neu» lieben im stark von den christlichen Kirchen geprägten wertkonservativen «Schaffa, schaffa, Heisle baua»-Ländle.
Liebe ist grenzenlos, Liebe ist mutig, Liebe ist kompliziert, Liebe ist, so angenommen zu werden, wie man ist
Zum einen wird die Geschichte von Jadu präsentiert, der mit drei Partnerinnen («kleine Göttinnen») eine polyamore Beziehung führt, in deren Rahmen auch die Kinder gross werden. Es ist der einzige Doku-Teil, zu dem es einen YouTube-Link gibt, er gibt jedoch einen guten Eindruck vom Gesamtstil der Reihe:
In «Schwäbin liebt Inder – Der Himalaya bringt sie zusammen» geht es um Bernadette, die am Frühstücksbuffet ihrer Urlaubsunterkunft Rinku kennenlernte. Und mit ihm eine Beziehung einging, «trotz der kulturellen Unterschiede». Heute leben beide zusammen in Deutschland.
Beziehung mit trans Mann und trans Pflegekind Auch die Beziehung von trans Mann Gabriel und cis Frau Claudia wird vorgestellt. Beide sprechen über ihre anfängliche Angst, wie der/die Partner*in jeweils mit dem/der anderen klarkommen würde. Die Beziehung sei zu Beginn «für beide ein grosses Wagnis» gewesen, heisst es, und beide mussten im Alltag «Vorurteilen standhalten». Was für Vorurteile das sind, wird anhand von Alltagsbeispielen erklärt. Etwa, wenn sich Claudia von alten Freundinnen, die sie seit 20 Jahren kennt, plötzlich fragen lassen musste: «Wie, du stehst jetzt auf Frauen? Bist du lesbisch?» Oder wenn Gabriel erzählt, dass er versucht habe, sich umzubringen. Und bei einer Nahtoderfahrung begriffen habe, dass das nicht der richtige Weg sei – sondern er eine «Aufgabe» habe, um für andere ein Vorbild zu sein.
Es kommt Gabriels Ex-Mann Oliver zu Wort, der darüber spricht, wie das vor der Transition war und wie er damit umgegangen ist, als ihm seine damalige Ehefrau Eva sagte, dass «sie» trans sei. Auch Claudias Tochter spricht über die neue Beziehung zu ihrer Mutter, die durch Gabriel «viel, viel lebensfroher» geworden sei. Inzwischen lebt auch der 16-jährige Aaron bei den beiden, der auf seine jugendliche Weise seine Transidentität in einem «neuen Zuhause» ausleben kann – auf eine Art, wie das bei seiner leiblichen Familie nicht möglich war. Das Jugendamt habe zu Aaron gesagt, «Dich nimmt sowieso keine Pflegefamilie», erzählt Aaron. Claudia fand das «krass» und reagierte zusammen mit Gabriel.
Genauso krass sind die Geschichten Aarons aus dem Schulalltag, wo er ständig verprügelt wurde. «Dass ich trotzdem noch hier sitze, darauf kann ich stolz sein», erzählt der Teenager. Und dass er noch immer so positiv eingestellt sei, das verdanke er Freund*innen wie Claudia und Gabriel. Zusammen – auch mit den Ex-Ehemännern und Kindern aus der früheren Beziehung – seien sie alle jetzt «Little Family», was am Ende des Films mit einem Lagerfeuer am See perfekt illustriert wird. (MANNSCHAFT berichtete über einen interaktiven Diskussionsabend in Zürich vom Dachverband Regenbogenfamilien für schwule und trans Männer mit Kinderwunsch.)
Nicht geeignet für den Beruf des Seelsorgers? Mittendrin, als Teil 3 der Doku-Reihe, werden Heiko und Marius vorgestellt. Die beiden lernten sich im Priesterseminar kennen, beide ungeoutet. Das war vor über 20 Jahren. Damals hiess es offiziell in der katholischen Kirche: «Wenn man tiefe homosexuelle Neigungen hat, ist man nicht geeignet für den Beruf des Seelsorgers.» (MANNSCHAFT berichtete über einen Priesterschüler, der wegen eines Fotos mit «Prince Charming» im April 2021 aus dem Seminar geworfen wurde.)
Zwischen den beiden jungen gläubigen Katholiken mit Kirchenkarriereabsichten funkte es sofort, aber beide trauten sich nicht, sich ihre Attraktion zueinander einzugestehen. Geschweige denn, den nächsten Schritt zu wagen. Denn der hätte bedeutet, dass sie eine «Sünde» begehen und ihre Kirchenlaufbahn ruinieren würden.
Der erste Kuss am See Genezareth war ein heiliger Moment
Doch dann nahm die Liebe trotzdem ihren Lauf: in einer Bibelschule am See Genezareth, gleich zu Beginn des neuen Millenniums. Es kam zum ersten Kuss. Heiko sagt im Rückblock: «Es war ein toller Moment – ein heiliger Moment.» Der zu einem völligen Umschwung führte.
Heiko dachte damals, es sei eine «Zeit der Prüfung», die er durchleben müsse, inzwischen spricht er von einer «Zeit der Reifung», die ihn zu der glücklichen und offenen Person gemacht habe, die er heute ist.
Die beiden wandten sich an den Priester und Theologen Pierre Stutz, der in den 1990er-Jahren ein «offenes Kloster» gegründet hatte, eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, auch verheirateten. 2002 legte er sein Priesteramt nieder und lebte mit seinem Lebensgefährten zusammen. Stutz stand Heiko und Marius bei, was dazu führte, dass beide sich outeten – und die Kirche verliessen.
Denn, wie Marius in der Doku erzählt, «so realistisch» waren sie schon, um zu erkennen, dass die Kirche sich nicht so stark ändern würde, um einen Platz für sie bereit zu halten. «Vielleicht ändert sich noch was bei den Institutionen», sagt Marius, denn «bei der Basis hat sich schon viel verändert». (MANNSCHAFT berichtete über YouTuber Nico, der dem liberalen Pfarrer Wolfgang F. Rothe unangenehme Fragen zum Umgang der Kirche mit Homosexualität stellte.)
Nun hatten Heiko und Marius keine Arbeit mehr, keine Perspektive, keine Wohnung.
Zurück zu den Eltern und zum Geschwätz im kleinen Ort Sie zogen gemeinsam zu den Eltern, bis sie sich neu sortieren konnten. Ein Vorzug der Doku ist, dass nicht nur die sehr bewegenden Äusserungen von Heiko und Marius zu sehen sind, sondern auch die Mütter der beiden sprechen dürfen.
Die eine ältere Dame erzählt, dass es Anfang der 2000er noch eine andere Welt gewesen sei, in der man lebte. Und dass es damals schwer für sie war, sich «mit dem Geschwätz in dem kleinen Ort» auseinanderzusetzen, als Heiko und Marius als Paar bei ihr wohnten. Doch sie habe dieses Geschwätz konfrontiert, und heute sei die Partnerschaft der beiden Männer für sie das Selbstverständlichste von der Welt.
Entsprechend äussert sich auch die Mutter von Marius. Und pocht darauf, dass jeder so glücklich werden müsse, wie es für ihn oder sie richtig sei.
Die beiden Männer sind immer noch stark vom Glauben geprägt. 2011 haben sie in Stuttgart geheiratet. Heute arbeiten sie in einem Bestattungsunternehmen, wo sie Menschen in Ausnahmesituationen begleiten. Mit Trost, Seelsorge und menschlicher Unterstützung.
Vorbild für andere Regionalsender Alle Teile der SWR-Doku zeigen die Rückblenden aus den Beziehungsgeschichten als Graphic Novel, was eine angenehme visuelle Auffrischung ist. Was die Geschichte von Heiko und Marius zusätzlich auffrischt, sind die Zitate aus Briefen und Tagebüchern aus der Prüfungs- und Reifezeit. Im Scherz sagt Heiko zwischendurch, ob man diese Schriftstücke nicht mal als Buch herausbringen sollte. Das wäre sicher eine gute Idee.
Idealerweise würde solch ein Buch auch die Geschichten der anderen Doku-Teile enthalten, eine Reihe, die sich mühelos erweitern liesse. Und von der man hoffen darf, dass weitere ARD-Anstalten sich ein Vorbild nehmen und ihrerseits «aussergewöhnliche Liebespaare» aus ihren Regionen zeigen werden. Das Aussergewöhnliche dabei ist, wie alltäglich diese Paare – inzwischen – sind. Nicht nur in Baden-Württemberg. Und das sollte viel öfter im Fernsehen zu sehen sein.
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